Zur Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen

durch Bildaufnahmen, §201a StGB: Der § 201a StGB („Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“) fristet bis heute ein gewisses Schattendasein. Einst im Jahr 2004 geschaffen, um dem Ausspionieren von Menschen in modernen Zeiten strafrechtlich begegnen zu können, gibt es bis heute kaum tiefgehende Rechtsprechung zum Thema.

Der Tatbestand ist wie geschaffen für das Ausspähen von privaten Räumlichkeiten über Webcams (so auch das AG Düren zu Recht); doch losgelöst von einem derartig klaren Sachverhalt gibt es eher Fragen als Antworten.

Dazu auch bei uns:

Entwicklung des §201a StGB

Früher einmal war der §201a StGB sehr einfach gehalten, denn er hatte nur ein simples Ziel:

Wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt Bildaufnahmen herstellt oder überträgt und dadurch deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt, wird mit bis zu einem Jahr oder mit bestraft.

Alte Fassung des §201a STGB

In den vergangenen Jahren aber veränderte der Gesetzgeber den §201a StGB und machte daraus ein wahres Ungetüm – der ursprüngliche Tatbestand ist heute in der Ziffer 1 zu finden, darüber hinaus ist das Verbreiten solcher Aufnahmen strafbar sowie die Erstellung von Aufnahmen die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellen. Ebenso wird inzwischen weiterhin bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht.

Bildaufnahmen anderer Personen

Am Rande erwähnt sei, dass – was zuerst Selbstverständlich erscheint – nur „Bildaufnahmen“ von „anderen Personen“ geschützt sind. Damit ausgeschlossen sind alle anderen Fixierungen, etwa Zeichnungen. Was lapidar klingt, macht in der heutigen zeit schon wieder viel her – wie geht man etwa mit als Ölgemälde verzerrten/bearbeiteten Aufnahmen um? Die h.M. möchte hier den Schutzbereich eröffnen, da es sich letztlich dem Grunde nach um das gleiche Schutzobjekt handelt und es auf eine Erkennbarkeit des Betroffenen nicht ankommt. Dies mag überzeugend klingen – warum dann aber nur Personen betroffen sind, also etwa Nacktaufnahmen von frisch Verstorbenen nicht erfasst sein sollen, wird dann wieder fraglich.

Verteidigung Gegend en Vorwurf der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen: Sie müssen Umsichtig sein. In unserer Praxis kennen wir Fälle, in denen von den Behörden vollkommen überzogen agiert wird – aber auch Fälle, in denen die Täter schlicht zu wenig Einsicht zeigen. Gerade letzteres kann, wenn man schlecht beraten wird, das Strafmaß nochmals massiv steigern.

avatar

Jens Ferner

Strafverteidiger

Räumlicher Schutzbereich

Hochgradig kritisch dagegen ist der räumliche Schutzbereich, der nur auf den ersten Blick mit „Wohnung“ und sonst geschütztem „Raum“ eingängig festgelegt ist. tatsächlich kann man trefflich argumentieren, dass „die Beschränkung auf bestimmte räumliche Schutzbereiche gleichheitswidrig, unbestimmt und konzeptionell verfehlt“ ist (so etwa deutlich Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB – Strafgesetzbuch Kommentar, 2. Auflage 2014).

Losgelöst von rechtsstaatlichen Erwägungen bietet der räumliche Anwendungsbereich des §201a StGB in der Praxis ganz erhebliche Probleme, die im Rahmen der Gesetzgebung nicht gerade professionell angegangen wurden. So stand bereits im Gesetzentwurf:

Der Entwurf beschränkt den Strafschutz auf den „letzten Rückzugsbereich“ des Einzelnen und grenzt den der Strafe würdigen und bedürftigen Kern auf diese Weise ein. Umfasst sind zunächst eigene und fremde Wohnungen einschließlich Gäste- oder Hotelzimmer. Hingegen sind Räumlichkeiten, die einer (beschränkten) Öffentlichkeit zugänglich sind, wie Geschäfts- oder Diensträume, grundsätzlich nicht einbezogen. Der Strafschutz wird jedoch erstreckt auf Räume, die gerade gegen unbefugten Einblick geschützt sind. Dies soll mit dem Merkmal „besonders gegen Einblick geschützt“ zum Ausdruck gebracht werden.

Man wollte also den „letzten Rückzugsbereich“ schützen, wusste aber selber nicht genau, wie man das nun definieren soll. Was am Anfang noch sinnvoll klingt, verkümmert bereits in der zitierten Gesetzeserläuterung, wenn man liest, dass es (a) sein soll, aber nicht (b), ausser (c), wobei die Ausnahmeklausel (c) allgemeiner gehalten ist als die grundsätzliche Definition (a). Ein Paradebeispiel der „Qualität“ gesetzgeberischer Leistung der heutigen Zeit. Wer juristischer Logik mächtig ist, wird hier bereits sehen, dass der Versuch eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses, mit einer allgemeineren Ausnahme als Regel, von vornherein zum Scheitern verurteilt sein muss.

Das Ergebnis ist blankes Chaos: Der Blick unter den Rock einer Frau soll erfasst sein (Flechsig ZUM 2004, 610), grosse Partys in einer Discothek auch (siehe MüKO-StGB unter Verweis auf das AG Ingolstadt), eine Sauna dagegen nicht (dazu sogleich). Der Rechtsprechung mag man hier keinen Vorwurf machen, das Gesetz ist inhaltlicher Murks und lädt zum murksen somit geradezu ein. Dabei hat sich inzwischen verdeutlicht, dass nicht einmal auf das Schutzgut abgestellt werden kann, da eine Intime Aufnahme nicht zwingend in Abhängigkeit der Räumlichkeit „intim“ sein muss – Aufnahmen einer Putzkraft beim Reinigen der Toiletten mögen in einem noch so intimen Bereich gemacht werden, sie sind dennoch nicht, was dem Gesetzgeber vorschwebte.


Entscheidung des OLG Koblenz

Das OLG Koblenz (1 Ws 535/08) hat sich zu dieser Frage geäußert und die herrschende Kritik wohlwollend aufgegriffen. So liest man dort etwa

Nach § 201a StGB macht sich strafbar, „wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt Bildaufnahmen herstellt … und dadurch deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt“. Mit diesem sprachlich eher missglückten und dem Gebot der Normenklarheit wenig Rechnung tragenden Tatbestand wollte der Gesetzgeber den „höchstpersönlichen - und Geheimbereich“ vor unbefugten Bildaufnahmen schützen.

Im Fall des OLG Koblenz ging es um den Saunabereich eines Erlebnisbades – und dort liest man, m.E. vollkommen korrekt, dann, dass dieser eben nicht vom Schutzbereich erfasst ist:

Der Saunabereich eines Erlebnisbades, den jeder betreten kann, der Eintritt zahlt, und der Hunderten von Besuchern zugänglich ist, gehört nicht zum letzten Rückzugsbereich eines Menschen, auch wenn er gegen Blicke von Passanten oder Besuchern anderer Gebäudeteile geschützt ist. Vielmehr erfasst § 201a StGB nach dem Normzweck neben Wohnungen nur Räumlichkeiten, die entweder von vorn herein dazu bestimmt sind, einen Menschen vor den Blicken eines jeden anderen und damit auch vor Bildaufnahmen zu schützen (wie Toiletten- und Umkleidekabinen) oder in denen es allein vom Willen der berechtigt Anwesenden abhängt, ob und von wem sie dort ohne Überwindung von Sichtschutzeinrichtungen gesehen werden können (wie private Saunen oder Gärten mit Sichtschutz).

Das mag überraschen, ist aber sinnvoll und der Sorge gewidmet, dass verhindert wird, dass der §201a StGB nach Gutdünken dort zur Anwendung kommt, wo man nach eigenem Empfinden eine besondere Betroffenheit sieht. In einem Rechtsstaat muss hier gelten, dass ein schlecht gemachtes Strafgesetz im Zweifelsfall eben nicht zur Anwendung findet – bevor man persönlichen Vorstellungen Tür und Tor öffnet.

Inzwischen hat Der hierzu klargestellt, dass ein Schuldspruch gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich der Täter beim Herstellen der Filmaufnahmen innerhalb des geschützten räumlichen Bereichs aufhielt und keinen Sichtschutz von außen zu überwinden hatte:

Nach ihrem Wortlaut, ihrem Schutzzweck und dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 15/1891 S. 7) beschränkt sich die Strafvorschrift nicht auf Fälle, in denen der Täter sich nicht im selben Raum wie das Tatopfer aufhält. Wo sich der Täter zum Zeitpunkt der Aufnahmen befindet, ist für den Tatbestand unerheblich (vgl. auch Eisele, JR 2005, S. 6, 8; SK-StGB/Hoyer, 8. Aufl., § 201a Rn. 13, 17; LK-StGB/Valerius, 12. Aufl. § 201a Rn. 16 mwN).

BGH, 5 StR 198/16

Eingeschränkte Strafbarkeit

Ein weiterer Aspekt ist zwingend zu beachten: Die Räumlichkeit alleine macht es nicht, mein Beispiel mit der Putzkraft oben sollte es verdeutlichen. Und eben dieses Beispiel hat auch das OLG Koblenz aufgegriffen, allerdings hier nur hinsichtlich der heutigen Nr.1 des Tatbestandes:

Das Fotografieren eines Menschen, der sich in einem von § 201a StGB erfassten Schutzbereich befindet, ist nicht per se strafbar. Selbst wenn man (…) als besonders geschützten Raum ansähe, wäre beispielsweise das Fotografieren eines vollständig bekleideten, mit Aufräumarbeiten befassten Angestellten straffrei. Hinzukommen muss, dass „dadurch“, also durch das Herstellen einer Aufnahme, der höchstpersönlichen Lebensbereich des Fotografierten verletzt wird.

Eben dies ist der springende Punkt, den man bei einer Verteidigung auch zwingend im Auge halten muss: Die Aufnahme alleine macht es nicht! Es muss weiterhin geprüft werden, ob tatsächlich eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs anzunehmen ist. Auch hier muss vor vorschnellen Gerichten gewarnt werden, der Strafverteidiger muss darauf achten, dass nicht in einem fatalen Umkehrschluss erst eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs angenommen wird, um dann über gekrückte Umwege die sonstigen Tatbestandsmerkmale zu bejahen (weil der Gesetzgeber das ja wollte!).


Erkennbarkeit der Person

Mit § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich also strafbar, wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblicke besonders geschützten Raum befindet, unbefugt eine Bildaufnahme herstellt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt. Aber sind von dieser Vorschrift auch Bildaufnahmen erfasst, die allein aus sich heraus eine Individualisierung der abgebildeten Person nicht ermöglichen, wo man also nicht sieht, um wen es konkret geht? Die Frage lässt der BGH (zuletzt in 3 StR 563/18 und 4 StR 328/14) bisher bewusst offen, denn oft wird in dem Fall schon fehlen, dass überhaupt eine Person als solche zu erkennen ist:

Denn tatbestandlich erfasst werden jedenfalls nur solche Bild- aufnahmen, auf denen erkennbar eine Person – ganz oder teilweise – abgebildet ist. Ermöglicht die Bildqualität schon nicht die Feststellung, dass es sich um die Abbildung einer Person bzw. Teile derselben handelt, ist der Anwendungsbe- reich des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht eröffnet. Denn eine Verletzung des Schutzgutes der Norm – des höchstpersönlichen Lebens- und Geheimbereichs des Einzelnen – ist durch die Anfertigung von Bildern unkenntlichen Inhalts nicht zu besorgen.

BGH, 3 StR 563/18

Hilflosigkeit einer Person

Was das Gesetz mit dem Begriff „Hilflosigkeit“ meint, wird in § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht näher erläutert, Der Bundesgerichtshof konnte hierzu klarstellen:

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird darunter ein Zustand verstanden, in dem eine Person sich – objektiv und im weitesten Sinne – selbst nicht helfen kann und auf Hilfe angewiesen ist, ohne sie zu erhalten (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 2002). Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und dem in ihr zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen ergeben sich weder Anhaltspunkte noch Kriterien für eine nähere Eingrenzung dieses Tatbestandsmerkmals. Die Begehungsvariante des § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB in ihrer jetzigen Fassung ist erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens in die Vorschrift eingefügt worden, weshalb die Gesetzesmaterialien im Hinblick auf die aufgeworfene Frage wenig aussagekräftig sind. Der entsprechenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 18/3202) ist aber unter Berücksichtigung des mit der Vorschrift insgesamt beabsichtigten umfassenden Schutzes des höchstpersönlichen Lebensbereichs vor Bildaufnahmen auch außerhalb von Wohnungen oder sonstigen besonders geschützten Räumen – der ursprüngliche Gesetzentwurf erfasste insoweit lediglich bloßstellende Aufnahmen (vgl. dazu BT-Drucks. 18/2601, S. 36) – zu entnehmen, dass der Gesetzgeber einen eher weiten Begriff der Hilflosigkeit vor Augen hatte.

Ein Indiz dafür sind auch die schon im ursprünglichen Gesetzentwurf beispielhaft erwähnten Fallkonstellationen, etwa die betrunkene Person auf dem Heimweg oder das verletzt am Boden liegende Opfer einer Gewalttat (BT-Drucks. 18/2601 aaO). Auch die systematische Auslegung unter Rückgriff auf das (enger gefasste) Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage in § 221 StGB (so Eisele/Sieber, StV 2015, 312, 313) bzw. den (ebenfalls engeren, weil gewahrsamsbezogenen) Hilflosigkeitsbegriff in § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StGB ergibt hier schon wegen des unterschiedlichen Schutzzwecks der jeweiligen Vorschriften keine Anhaltspunkte für eine nähere Eingrenzung des Merkmals der Hilflosigkeit. Gleichwohl können nach Auffassung des Senats gegen diese begriffliche Weite des Tatbestandsmerkmals (vgl. dazu auch SSW-StGB/Bosch, 3. Aufl., § 201a Rn. 11; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 201a Rn. 10a; Busch, NJW 2015, 977, 978; Seidl/Wiedmer, jurisPR-ITR 17/2015, Anm. 2) verfassungsrechtliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG) nicht erhoben werden (insoweit aber krit. Bosch aaO, Rn. 14). Denn in jedem Einzelfall muss eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch den Bildinhalt hinzutreten. § 201a Abs. 4 StGB enthält zudem eine die Sozialadäquanz betreffende Ausnahmeregelung.

BGH, 4 StR 244/16
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
Benutzerbild von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht. Beachten Sie unsere Tätigkeit im Steuerstrafrecht, digitaler gewerblicher Rechtsschutz, IT-Sicherheitsrecht sowie Softwarerecht.