Zur Strafbarkeit des Voyeurismus

Es geht um folgenden Sachverhalt:

Der Angeklagte hielt sein Mobiltelefon unter den Rock der Geschädigten, um Bildaufnahmen zu fertigen. Nach den Gesamtumständen wollte er dies heimlich tun; eine von der Geschädigten geschilderte Berührung mit dem Handy an ihrer Kniekehle erfolgte offensichtlich unbeabsichtigt.

Frage: Ist das Strafbar? Das Ergebnis überrascht sicherlich einige.

Ich denke, vielen Lesern wird als erstes der Begriff der „sexuellen Belästigung“ einfallen. Strafrechtlich gibt es diese „sexuelle Belästigung“ so aber nicht. Je nach Sachverhalt kann man eventuell eine in dem Verhalten erkennen, so dass die Strafbarkeit dann aus dem §185 StGB folgt. Oder man kann eine (versuchte) erkennen. Letzteres ist vorliegend problematisch, da erwiesen ist, dass die einzige körperliche Berührung unbeabsichtigt war. Zur Beleidigung komme ich gleich erst wieder.

Vom Schutzgedanken her wäre der §201a StGB passend, der gerade vor solchen Fotos schützen möchte. Allerdings geht §201a StGB zwingend davon aus, dass die Fotos in Wohnungen oder anders besonders geschützten Räumen erstellt werden. Man muss dazu wissen, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des §201a StGB insbesondere Aufnahmen in (öffentlichen) Toiletten, Umkleidekabinen, Paparazzo und Solarien vor Augen hatte.

Es verbleibt also nur der Blick auf den §185 StGB. Und in der Tat: Sowohl Amtsgericht als auch Landgericht Nürnberg erkannten in obigem Sachverhalt eine Beleidigung. Das begegnet schon bei oberflächlicher Betrachtung Bedenken: Eine Beleidigung verlangt eine – wie auch immer – geartete Kundgabe einer Missachtung. Das haben wir hier aber gerade nicht, vielmehr geht es ja im Ergebnis um die Verdeckung aller eigenen Aktivitäten, die eben nicht von aussen bemerkt werden sollen. Insofern ist es auch nicht überraschend, in der Literatur einhellig die Meinung zu finden, dass „reine Taktlosigkeiten“ und „Belästigungen“ an sich nicht darunter fallen (Fischer, § 185 Rn. 11c). In dieser Konsequenz ist letztlich das heimliche Beobachten an sich auch keine Beleidigung (Fischer, § 185 Rn. 11c; OLG Düsseldorf in NJW 2001, 3562, 3563; LG Darmstadt in NStZ-RR 2005, 140). Das wird natürlich schlagartig anders, wenn man die Aufnahme unter beleidigenden Gesamtumständen erstellt, etwa bei Gegenwehr mit den Worten „Nun hab dich nicht so“ oder auch „Macht doch nix“.

Die Urteile von Amtsgericht und Landgericht sind vor diesem Hintergrund zumindest überraschend, letztlich aber falsch. Das erkannte richtigerweise auch dann das OLG Nürnberg (1 St OLG Ss 219/10), das wohl korrekt den vorhergehenden Richtern Rechtspolitische Ambitionen unterstellt und diesen eine Absage erteilt mit den Worten:

Die Funktion der Beleidigungsdelikte ist es nicht, Lücken zu schließen, die moralisches Empfinden nicht hinnehmen möchte. § 185 StGB ist insbesondere kein „Auffangtatbestand“, der es erlauben würde, Handlungen allein deshalb zu bestrafen, weil sie der Tatbestandsverwirklichung eines Sittlichkeitsdelikts nahekommen (vgl. BGHSt 36, 145 [149]; OLG Zweibrücken NJW 1986, 2960 [2961]; Hilgendorf aaO., § 185 Rn. 31). Zu einer Änderung dieser Rechtslage ist allein der Gesetzgeber befugt.

Dem ist im Fazit nichts mehr hinzuzufügen: Es mag befremdlich erscheinen, aber das vorliegende Verhalten ist – in dieser konkreten Form – wohl ohne strafrechtliche Relevanz. Freilich bedeutet das keinen Ausschluss von Ansprüchen der Geschädigten, die zumindest in ihrem verletzt wurde und somit einen Unterlassungs-, Schadensersatz-, und Schmerzensgeldanspruch hat. Ja, in der Tat ist damit auch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch eine möglich, wobei evt. Schmerzensgeld-/Schadensersatzansprüche ggfs. schnell beigetrieben werden können.

Dass dieses Ergebnis nicht unbedingt gefällt ist vorhersehbar aber (zur Zeit) juristische Realität. Wer das ändern will, muss nach dem Gesetzgeber rufen, wobei – bei allem Verständnis – noch einmal an den Grundsatz zu erinnern ist, dass strafrechtliche Sanktionen in unserem Rechtssystem nur als Ultima Ratio in Betracht kommen. Ohne hier zu vertiefen, inwiefern ein entsprechender Tatbestand überhaupt bestimmt genug zu formulieren wäre und ob man hier nicht letztlich eher (früh)reife Teenager kriminalisiert, verbleibt letztlich die übliche Frage, ob bei jeder unsittlichen Geschmacklosigkeit wirklich ein neuer Straftatbestand geschaffen werden muss.

Abschliessend nochmals der Hinweis, dass damit „Voyeurismus“ an sich keineswegs straflos ist: Wer in Räumlichkeiten beobachtet, bewegt sich schnell im Rahmen des §201a StGB (dazu diese Meldung beachten). Auch wenn Aufnahmen im gegenseitigen Einverständnis erfolgen, muss man immer daran denken, dass hier Unterlassungsansprüche bestehen, die in ihren Kostenfolgen mitunter erheblich teurer sind als manches strafrechtliche Urteil. Und wer Aufnahmen benutzt, um einen anderen zu etwas zu zwingen, bewegt sich im Bereich der (versuchten) bzw. Nötigung, je nachdem worum es im Nötigungserfolg ging.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
Benutzerbild von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht. Beachten Sie unsere Tätigkeit im Steuerstrafrecht, digitaler gewerblicher Rechtsschutz, IT-Sicherheitsrecht sowie Softwarerecht.