Reform der Pflichtverteidigung: Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung 2019

Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung: Lange hat sich der Gesetzgeber geweigert und auch jetzt ist man eher zögerlich – schliesslich ist die (EU) 2016/1919 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren bereits seit 2016 in Kraft getreten und muss bis zum Mai 2019 umgesetzt werden.

Gleichwohl geht man das Thema nun endlich an und hat seitens des Bundesjustizministeriums einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die Pflichtverteidigung modernisiert werden soll. Und in der Tat gibt es zumindest einige Schritte in Richtung Zukunft, wenn auch langsam.

Update: Das Gesetz wurde am 14.11.2019 zum dritten Mal im Bundestag beraten, die teils unterirdischen Redebeiträge kann bei Interesse hier nachlesen (ab Seite 15880 (B)). Es steht nun zu erwarten, dass diese weitgehende gesetzliche Reform der Pflichtverteidigung kommen wird, ich habe die wenigen Änderungen des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz in diesen Artikel mit aufgenommen.

Fall notwendiger Verteidigung

Das Gesetz wird nun einheitlich darauf umgestellt, dass ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegen muss und eben dieser Fall normiert wird. Dabei wird der Katalog des §140 StPO aufgebohrt, allerdings sind die „neuen“ Fälle insoweit nichts neues, als das zumindest im Raum des OLG Köln gelebte Praxis nun ins Gesetz geschrieben wird, so soll ein Fall notwendiger Verteidigung insbesondere vorliegen, wenn

  • die Anklage erstinstanzlich zum Schöffengericht führt;
  • zu erwarten ist, dass eine von wenigstens einem Jahr im Raum steht, wobei die Gestezesfassung hinter der Rechtsprechung zurück bleibt! Denn während nach aktueller Anwendung eine Freiheitsstrafe von einem Jahr unter Berücksichtigung von noch unter stehenden Freiheitsstrafen ausreichend ist stellt die Gesetzesfassung alleine auf die „verhängte“ Freiheitsstrafe ab;
  • der Beschuldigte zur Entscheidung über Haft oder einstweilige vorzuführen ist, was eine Verbesserung sein kann, da es mitunter Diskussionen gibt, wenn in der Vorführung in der Tat vom Erlass eines Haftbefehls abgesehen wird (und damit keine Beiordnung erfolgt – in der neuen Fassung reicht bereits die Vorführung zu Beiordnung, die somit zu Beginn der Vorführung zu beantragen wäre!);
  • bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
  • ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt;

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Eigenes Antragsrecht des Beschuldigten im Vorverfahren/Ermittlungsverfahren

Ich glaube es ja kaum – während man sich in der letzten Reform der StPO aktiv dagegen ausgesprochen hat, das längst überfällige eigene Antragsrecht auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers während des Ermittlungsverfahrens zu schaffen, wurde es nun endlich aufgegriffen. Im vollständig neu geschaffenen §141 StPO steht nun, dass in einem Fall notwendiger Verteidigung ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, „sobald der Beschuldigte dies beantragt“ – oder wenn anwaltliche Mitwirkung notwendig ist.

Letzteres ist im Gesetzentwurf definiert als spätester Fall, wenn

  1. eine Vernehmung des Beschuldigten oder eine Gegenüberstellung mit dem Beschuldigten durchgeführt werden soll;
  2. der Beschuldigte einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll oder
  3. der Angeschuldigte gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist.

Die Ziffern 1 und 2 verstehe ich dabei so, dass bereits die Anordnung von Vernehmung oder Vorführung seitens der StA ausreichend sind – und dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist. Wobei nach einer Änderung des BT-Ausschusses nun „nach Belehrung ausdrücklich“ durch den Beschuldigten nach einem Pflichtverteidiger gefragt werden muss und bei Ziffer 3 aus der „Erforderlichkeit“ eine „ersichtliche Erforderlichkeit“ gemacht wurde. Ebenso muss bei einer Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls nach § 127b Absatz 2 oder über die Vollstreckung eines Haftbefehls gemäß § 230 Absatz 2 oder § 329 Absatz 3 ausdrücklich danach gefragt werden (Änderung durch den Ausschuss).

Das Problem ist das Stufenverhältnis der §§140, 141 StPO, das ich so verstehe, das in erster Stufe (§140 StPO) ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegen muss, damit die Notwendigkeit eines Verteidigers in den „spätestens-Fällen“ auf Stufe 2 (§141 StPO) vorliegt. Damit also die Anordnung einer Vernehmung die notwendige Mitwirkung eines Verteidigers nach §141 Abs.1 S.2 Ziffer 1 StPO auslöst muss zugleich ein Fall aus §140 Abs.1 StPO gegeben sein, wobei hier bei nicht inhaftierten Mandanten wohl in erster Linie Ziffer 3 in Betracht kommt („dass eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt oder ein Berufsverbot angeordnet wird“). Im bietet sich dies also wohl alles dann an, wenn wegen eines Verbrechenstatbestandes ermittelt wird, während es bei Vergehen beim alten Prozedere bleibt. Anders dagegen bei inhaftierten Mandanten – hier wird man wohl nach geplantem neuen Recht schon während des Ermittlungsverfahrens eine Beiordnung erreichen können, ebenso bei Menschen mit Einschränkungen im Bereichen Sehen/Hören/Sprache.

Der eigene Antrag des Beschuldigten ist kein „zahlloser“ Tiger: Wenn der Antrag gestellt ist entscheidet nicht die StA in eigener Autonomie! Der Antrag muss von der StA unverzüglich einem Gericht zur Entscheidung vorgelegt werden.

Reformiertes Bestellungsverfahren

Eine echte Reform gibt es hier nicht, die Gerichte bzw. Richter entscheiden hier weiter in eigener Autonomie. Dabei wurden in den §142 StPO viele Regelungen aufgenommen, die man so auch in der OLG-Rechtsprechung findet, wie etwa, dass ein wichtiger Grund gegen einen ausgewählten Verteidiger spricht, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Dort wo es „um die Wurst“ geht traut man sich dann nicht, hinsichtlich der Auswahl sieht der Reform-Vorschlag vor:

Wird dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger bestellt, den er nicht bezeichnet hat, so soll aus den im Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 der Bundesrechtsanwaltsordnung) eingetragenen Rechtsanwälten entweder ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein anderer Rechtsanwalt, der gegenüber der Rechtsanwaltskammer sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat und für die Übernahme der Verteidigung geeignet ist, ausgewählt werden.

Also man soll einen Fachanwalt nehmen. Oder jeden anderen Rechtsanwalt. Und als Hilfestellung ist das Gesamtverzeichnis der Anwälte heran zu ziehen, sind ja nur knapp 300.000 Kollegen die man da zur Auswahl hat. Ich hoffte, da würde sich im Rechtsausschuss des Bundestages noch einiges tun – die aber haben (mal wieder) Totalversagen bewiesen.

Hinweis: In jedem Fall ist das Recht der Auswahl durch den Betroffenen gestärkt! Ausdrücklich soll auch bei einem – auch in der – vor Erlass der Betroffene angehört werden, welchen Verteidiger er wünscht, siehe dazu hier bei uns.

Ende der Pflichtverteidigung

Das ist nicht neu, nun steht es aber mal im Gesetz: Die Bestellung des Pflichtverteidigers endet mit der oder dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens. Vielleicht hat man ja auch irgendwann mal Lust, ins Gesetz zu schreiben, wann so ein erlischt (das nur am Rande, steht nämlich nicht im Gesetz, dazu musste sich mal das BVerfG in den 1960ern äussern um zu klären wie man damit umgeht).

Gefährlich ist, dass die Bestellung aufgehoben werden kann, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung mehr vorliegt, also die Voraussetzungen des §140 Abs.1 StPO nachträglich wieder weg gefallen sind. Anders ist dies nur bei der Haft, das soll nur eine Rolle spielen, wenn der Beschuldigte mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung aus der Anstalt entlassen wird. Wiederum eine Gegenausnahme: Wenn eine Beiordnung auf einem Sicherungshaftbefehl beruht soll die Bestellung mit der Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls aufgehoben werden.

Sonderfall Strafbefehl: Bisher umstritten war, wie lange die Verteidigerbestellung bei einem Strafbefehl fortwirkt. Dies hat der Gesetzgeber nun auch geregelt: Grundsätzlich gilt sie fort, das Gericht kann nach einem Einspruch aber die Beiordnung aufheben.

Verteidigerwechsel

Auch hier lese ich zuerst einmal, dass OLG-Rechtsprechung umgesetzt wurde:

Die Bestellung des Pflichtverteidigers ist aufzuheben, wenn der Beschuldigte einen anderen Verteidiger gewählt und dieser die Wahl angenommen hat. Dies gilt nicht, wenn zu besorgen ist, dass der neue Verteidiger das Mandat demnächst niederlegen und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen wird, oder soweit die Aufrechterhaltung der Bestellung aus den Gründen des § 144 erforderlich ist.

So macht es das OLG Köln seit Jahren und sollte nicht neu sein. Weiterhin verweist das Gesetz zur Entpflichtung auf ein „endgültig zerstörtes Vertrauensverhältnis“, auch nicht neu.

Neu ist aber die Umpflichtung, die nun im Gesetz geregelt sein soll. Das ist durchaus spannend normiert:

Die Bestellung des Pflichtverteidigers ist aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn der Beschuldigte, dem ein anderer als der von ihm bezeichnete Verteidiger beigeordnet wurde oder dem zur Auswahl des Verteidigers nur eine kurze Frist gesetzt werden konnte, innerhalb von zwei drei Wochen nach der Bestellung beantragt, ihm einen anderen von ihm bezeichneten Verteidiger zu bestellen, und dem kein wichtiger Grund entgegensteht. 

(Unter Berücksichtigung der Änderung des BT-Ausschusses, der aus zwei Wochen drei Wochen gemacht hat)

Wer hier tätig ist weiss: Viele melden sich einfach gar nicht. Bis der Pflichtverteidiger bestellt ist, weil den will man dann auf keinen Fall – und nun wird ein Kollege gesucht. Das Gesetz ermöglicht nun innerhalb von 2 Wochen einen Wechsel, wenn „nur eine kurze Frist gesetzt werden konnte“. Und diese Wortwahl mag gleich in zweifacher Hinsicht ein wieder mal eindrückliches Beispiel dafür sein, dass der moderne Gesetzgeber verlernt hat, Gesetze zu schreiben (oder die deutsche Sprache zu beherrschen – beides ein ständiger Kritikpunkt bei mir):

  • es drängt sich die Frage auf, was eine „kurze Frist“ ist. Davon steht im Gesetz nichts und witzigerweise auch in den Erläuterungen nicht. Man spricht partout von kurzer oder längerer Frist in den Erläuterungen. Ob nun die üblichen 2 Wochen aber angemessen sind, 10 Tage kurz und 20 Tage „länger“ wird nirgendwo gesagt. Das wird die OLG dann einige Zeit beschäftigen;
  • lustig ist, dass der Entwurf darauf abstellt, dass die kurze Frist „gesetzt werden konnte“. Wenn das Gericht also vorsätzlich eine zu kurze Frist setzt, also eben nicht nur diese kurze Frist gesetzt werden konnte sondern man bewusst eine solch kurze Frist gewählt hat, greift die Ausnahme nicht? Natürlich ist es sprachlich nur ungenau, sicherlich soll der böswillig agierende Richter nicht bevorteilt werden – ein Gesetzgeber sollte es aber besser können.

Sicherungsverteidiger

Abschliessend der kurze Hinweis, dass die Sicherungsverteidigung im §144 StPO geregelt werden soll, da lese ich aber auch nichts wirklich neues:

In den Fällen der notwendigen Verteidigung können dem Beschuldigten zu sei- nem gewählten oder einem gemäß § 141 bestellten Verteidiger bis zu zwei Pflichtverteidiger zusätzlich bestellt werden, wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist. Die Bestellung ist aufzuheben, sobald die Mitwirkung des zusätzlichen Verteidigers zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens nicht mehr erforderlich ist. § 142 Absatz 3 bis 5 Satz 1 gilt entsprechend.

Fazit zum Entwurf des BMJ

Es ist sicherlich nicht der grosse Wurf, wobei man dem Ministerium anrechnen sollte, dass man die bestehende OLG-Rechtsprechung eingeflochten und nicht unnötig neue Baustellen für die OLG geschaffen hat. Wichtig ist, dass Beschuldigte von Verbrechen im Ermittlungsverfahren ein eigenes Antragsrecht hinsichtlich der Pflichtverteidigung erhalten – der bisherige Zustand in Deutschland hat sich längst überlebt und es war überfällig. Armselig – ein anderes Wort gibt es für mich hierzu nicht – ist und bleibt, dass es vorher bewusst nicht vom Gesetzgeber umgesetzt wurde, obwohl es ursprünglich mal in der letzten Reform geplant war bevor es dann zur Umsetzung gestrichen wurde.

Die Richtlinie selber wurde nach meinem Eindruck sauber umgesetzt. Insbesondere – der Begriff PKH ist hier etwas täuschend – geht es in der Richtlinie nicht darum, dass jeder in jedem Strafverfahren einen Verteidiger erhält! Die Staaten können die Gewährung von einer Bedürftigkeitsprüfung, materiellen Kriterien – oder beidem – abhängig machen (Art. 4 der Richtlinie). In Deutschland verbleibt man bei der materiellen Prüfung, es erhält also jeder einen Pflichtverteidiger, auch wenn er nicht bedürftig ist. Dabei gibt die Richtlinie als Kriterien vor:

  • Schwere der Straftat,
  • Komplexität des Falles,
  • Schwere der zu erwartenden Strafe Rechnung.

Im Fall von (Untersuchungs-(Haft) sind die Kriterien mit Art.4 der Richtlinie aber immer erfüllt!

Ein „grosser Wurf“ mag anders aussehen, aber der Gesetzesentwurf ist ein (kleiner) Schritt in Richtung moderner Rechtsstaat. Der Verfahrensgang beim Bundestag ist hier zu finden.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht. Beachten Sie unsere Tätigkeit im Steuerstrafrecht, digitaler gewerblicher Rechtsschutz, IT-Sicherheitsrecht sowie Softwarerecht.