Strafrecht: Fortwirken der Pflichtverteidigung bei Strafbefehl?

Wie lange wirkt die Beiordnung als im Strafbefehlsverfahren? Nach §§408b, 407 II S.2 ist jemandem, der keinen Verteidiger hat, ein Pflichtverteidiger im Strafbefehlsverfahren beizuordnen, wenn bis zu einem Jahr festgesetzt werden soll. In diesem Fall ist mitunter umstritten, ob die Beiordnung sich alleine auf die Zeit bis zum Ende des Einspruchsverfahrens bezieht – oder auch auf die im Falle des Einspruchs danach.

Rechtsprechung bis Ende 2019: Pflichtverteidigerbeiordnung bis in die Hauptverhandlung

Das (2 Ws 386/09) ist der Auffassung:

„Allerdings ist hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Beiordnung […] davon auszugehen, dass diese nicht mit der Einlegung des Einspruchs endet, sondern auch für das weitere Hauptverfahren gilt.“

Die Entscheidung widmet sich den hier vertretenen Argumenten sehr umfangreich und vertritt im Ergebnis nachvollziehbar, dass die sich hiernach anschliessende Hauptverhandlung keine „normale Hauptverhandlung“ ist und insofern eine Pflichtverteidigung angezeigt sein sollte. Nicht zuletzt die Anwendbarkeit des §420 StPO, der im Zuge des beschleunigten Verfahrens die Verlesung von Aussagen statt einer Vernehmung zulässt, wird hier als Argument heran gezogen: Kaum ein Laie wird damit im Moment der Hauptverhandlung umgehen können und etwa von einem Antrag der Staatsanwaltschaft „überrumpelt“ werden. Das OLG Oldenburg schloss sich dem noch 2017 an:

Der Senat schließt sich insoweit der zunächst durch das Oberlandesgericht Köln (Beschluss v. 11.09.2009, 2 Ws 386/09, NStZ-RR 2010, 30), diesem folgend auch durch das Oberlandesgericht Celle (Beschluss v. 22.02.2011, 2 Ws 415/10, StraFo 2011, 291) und der überwiegenden Kommentarliteratur (vgl. LR-Gössel, StPO, 26. Aufl., § 408b Rz 12, 13; KK-Maur, StPO, 7. Aufl., § 408b Rz. 8; HK-Kurth/Brauer, StPO, 5. Aufl., § 408b Rz. 6; a.A. aber Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl, § 408b Rz. 6; BeckOK StPO/Temming § 408b Rz. 5) vertretenen Auffassung an, wonach die Beiordnung nach § 408b StPO auch für die auf den Einspruch folgende Hauptverhandlung gilt.

OLG Oldenburg, 1 Ss 96/17

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Seit 2020: Es kommt drauf an

Mit der Reform der Pflichtverteidigung Ende 2019 änderte sich die rechtliche Lage durch eine geringe Änderung des §408b StPO, den der Gesetzgeber nun so verstanden wissen möchte:

Insoweit ist vor allem strittig, ob die Bestel- lung mit Einlegung des Einspruchs endet oder aber darüber hinaus das erstinstanzliche Verfahren erfasst. Die Neufassung soll zu mehr Klarheit führen (…) Bezüglich der Dauer der Bestellung soll ebenfalls die allgemeine Regelung in § 143 Ab- satz 1 und 2 StPO-E gelten. Dies bedeutet für den Fall des Strafbefehlserlasses, dass die Bestellung endet, wenn dieser in Rechtskraft erwächst. Legt der Angeschuldigte dagegen Einspruch ein und folgt eine Hauptverhandlung gemäß § 411 Absatz 2 StPO, so ist zu unterscheiden: Ist die Verhängung einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu erwarten, liegt – schon nach bisheriger Rechtsprechung zu § 140 Absatz 2 Satz 1 StPO ohnehin ein Fall notwendiger Verteidigung vor, so dass die Bestellung jedenfalls fortdau- ert, vgl. § 143 Absatz 1 StPO-E. Ist hingegen eine darunter liegende Freiheitsstrafe zu erwarten, so kann die Bestellung, wenn im Einzelfall kein Fall des § 140 StPO-E vorliegt, nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts aufgehoben werden. Dies ist sachgerecht, weil die Entscheidung nicht mehr im schriftlichen Strafbefehlsverfahren ergeht; im Rah- men des Ermessens können dennoch Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes, die für eine Beibehaltung der Bestellung streiten, ausreichend Berücksichtigung finden. Die Re- gelungen zu Verteidigerwechsel und Rechtsmitteln finden ebenfalls Anwendung, theoretisch ist auch § 144 StPO-E anwendbar, dürfte in der Praxis aber kaum eine Rolle spielen.

Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, dort Seite 57

Das bedeutet: Es kommt drauf an. Da der von der Geständnisfiktion getragen wird, dürfte bei allen Freiheitsstrafen „kurz vor“ einem Jahr die Pflichtverteidigung weiterwirken, da hier realistisch mit einem Jahr Freiheitsstrafe bei aktiver Verteidigung gerechnet werden muss. Wenn etwa 10 Monate im Strafbefehl stehen und der Angeklagte sich zu verteidigen gedenkt, dürfte die Pflichtverteidigung fortwirken.

Sollte dagegen kein Fall einer Pflichtverteidigung durch das Gericht gesehen werden, darf es nicht tatenlos bleiben, sondern muss die Pflichtverteidigung nach pflichtgemäßem Ermessen aufheben. So oder so: Arbeit für das Gericht. Ebenso, wie man nun zwingend den Angeklagten hinsichtlich der Verteidigerauswahl anzuhören hat.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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