In einer aktuellen Entscheidung hebt der Bundesgerichtshof hervor, dass man als Gericht auch non-verbale Kommunikation, wie Mimik, in seiner Beweiswürdigung beachten kann und muss. Allerdings führt dies nun dazu, dass der Bundesgerichtshof hervorhebt, dass auch das äußere Erscheinungsbild des nach § 55 StPO die Aussage verweigernden Zeugen verwertet kann und zwar ohne den Angeklagten darauf hinzuweisen.
Zum Thema Beweiswürdigung im Strafprozess beachten Sie bei uns:
Insoweit ist es nichts neues, dass ein Gericht bei der Überzeugungsbildung nach § 261 StPO nicht nur alles verwerten darf, sondern auch muss, was Gegenstand der Hauptverhandlung ist. Hierzu gehören mit dem BGH gerade auch äußere Erscheinung, Mimik, Gestik, Auftreten und Sprachverhalten von Angeklagten, Zeugen und Mitangeklagten – und zwar ausdrücklich auch dann, wenn ein Angeklagter oder Zeuge die Aussage oder das Zeugnis berechtigt verweigert. Dabei hebt der BGH allerdings hervor, dass es diesbezüglich keine Hinweispflicht gibt:
Verwertet das Gericht solche für jeden Verfahrensbeteiligten sichtbaren visuellen Eindrücke nach § 261 StPO, muss es die Verfahrensbeteiligten nicht ausdrücklich darauf hinweisen (…) Denn das Tatgericht ist grundsätzlich nicht verpflichtet, sich zum Inhalt oder Ergebnis von Beweiserhebungen ausdrücklich zu erklären (…)
BGH, 5 StR 175/20
Die Entscheidung ist nur von einem formalen Standpunkt aus vertretbar und ein – erneuter – Baustein in einer Verteidigungsfeindlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die zunehmend unvertretbar wird.
Zum Zeugenbeweis bei uns:
Sie hat der BGH längst festgestellt, dass man weder als Angeklagter noch als Verteidiger einen Anspruch darauf hat, einen „frontalen Blick“ auf einen Zeugen zu haben (siehe BGH, 5 StR 228/18), ein jedenfalls seitlicher Blick ist ausreichend aus Sicht des BGH. Nun sieht der BGH zumindest hier dann Hinweispflichten des Gerichts, wenn es in die Mimik eines Zeugen etwas hineindeuten möchte:
Führt dies zu einer deutlich eingeschränkten Teilhabe an der Zeugenvernehmung, etwa weil auch die Sicht des Verteidigers auf den Zeugen gravierend behindert ist, kann das Gericht bei vorheriger Beanstandung der Sitzanordnung oder Offensichtlichkeit der Behinderung sein Urteil auf besondere Beobachtungen der Mimik und Gestik eines Zeugen nur stützen, wenn es zuvor den übrigen Verfahrens- beteiligten in der Hauptverhandlung davon Mitteilung und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Geschieht dies, liegt die Verletzung der Grundsätze des fairen Verfahrens oder des Rechts auf eine effektive Verteidigung durch eine Sitzanordnung des Gerichts regelmäßig fern.
BGH, 5 StR 228/18
Solche Rechtsprechung ist aus Sicht der Verteidigung schlicht nicht mehr nachvollziehbar – hier wird hoffnungslos verkannt, dass es eben keine objektive Deutung eines Gesichtszuges oder einer Mimik insgesamt geben kann, sondern dass non-verbale Kommunikation, wie jede Kommunikation, sowohl einen „Sender“ als auch einen „Empfänger“ hat, dabei die Wertung des Empfängers massgeblich ist, die insgesamt hochgradig subjektiv sein kann.
Das Problem ist dabei weniger die Wertung als solche, als die mangelnde Kommunikation: Jeder mag vielleicht (!) wahrnehmen, ob der Zeuge das Gesicht verzieht während er die Aussage verweigert. Was das aber bedeutet, welche persönlichen Attribute des Zeugen mithineinfliessen – all das ist nicht ersichtlich. So könnte ein Zeuge etwa die Tatsache, dass das Gericht ihn überhaupt geladen hat optisch zum Ausdruck bringen und das Gericht Aussagen hinsichtlich des Angeklagten hier hineindeuten.
Jens Ferner
StrafverteidigerEin moderner rechtsstaatlicher Strafprozess lebt von Kommunikation, er lebt – im Gegensatz zum Kafkaesken Prozess – davon, dass der Angeklagte weiss was ihn erwartet und was gerade mit ihm geschieht. So zu tun, als würde in absolut objektiver Richter auch nur existieren, dieser dann wiederum eine eindeutige und nur auf eine Art auszulegende non-verbale Kommunikation wahrnehmen, die er auch nur auf diese eine Art versteht – und dass dies dann auch jedem anderen im Saal zumindest möglich war – geht an allem vorbei, was die letzten Jahrzehnte Kommunikationslehre erarbeitet haben. Hier wird mit formaler Betrachtung dafür gesorgt, dass man im Urteilsspruch erst erfährt, was das Gericht in den vielleicht (!) wahrnehmbaren Prozessverlauf hineingedeutet hat. Ein moderner Strafprozess sieht beileibe anders aus.
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