Aussage gegen Aussage

Aussage gegen Aussage im Strafprozess: Keineswegs ist es so, dass bei einer „Aussage gegen Aussage“-Situation zwingend ein Freispruch zu erfolgen hat. Das Gericht kann aber auch nicht einfach irgendeinem Folgen: Vielmehr hat der in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert.

Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und in einer Gesamtschau gewürdigt hat (siehe dazu nur BGH, 2 StR 408/15, 5 StR 394/12, 4 StR 511/98). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (BGH, 1 StR 40/02, 2 StR 235/16). Erforderlich sind vor allem:

  • Eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben (BGH, 2 StR 7/20 und 2 StR 222/20)
  • Eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, 4 StR 98/05 und 2 StR 222/20)
  • Eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (BGH, 4 StR 73/03 und 2 StR 222/20)
  • Eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (BGH 2 StR 565/11, 2 StR 447/17 und 2 StR 222/20)

Hinweis: Diese Grundsätze gelten nicht nur, wenn der Angeklagte den Tatvorwurf bestreitet, sondern auch, wenn er in der von seinem Schweigerecht Gebrauch macht (BGH, 6 StR 281/22)!

Aussage gegen Aussage im Strafprozess

Der Bundesgerichtshof (2 StR 101/15) hatte auch in einer von uns geführten Revision ein Urteil des Landgerichts Aachen aufgehoben. Wie so oft in ging es um eine Situation „Aussage gegen Aussage“, wobei sich das (vermeintliche) Tatopfer vor Gericht in Widersprüche verstrickt hatte, die sich auch auf das Kerngeschehen bezogen haben.

Das Landgericht sah hierin letztlich aber keinen Umstand, Zweifel an der Täterschaft zu haben – die Begründung im Urteil überzeugte den BGH aber nicht. So fasst der BGH dann nochmals zusammen, wie sich der aktuelle Sachstand bei der Abfassung der Urteilsgründe in einer „Aussage gegen Aussage“ Situation darstellt:

Beruht die Überzeugung des Gerichts von der Täterschaft des Angeklagten allein auf der Aussage eines Belastungszeugen, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, so sind an die Überzeugungsbildung des Tatrichters strenge Anforderungen zu stellen.

Die Urteilsgründe müssen in Fallkonstellationen der genannten Art erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (…) Insbesondere die Aussage des Zeugen selbst ist einer sorgfältigen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen (…) Macht der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung in einem wesentlichen Punkt von früheren Tatschilderungen abweichende Angaben, so muss sich der Tatrichter mit diesem Umstand auseinandersetzen und regelmäßig darlegen, dass und aus welchem Grund insoweit keine bewusst falschen Angaben vorgelegen haben (…)

Darüber hinaus ist es in Fallkonstellationen, in denen die Angaben des einzigen Belastungszeugen in der Hauptverhandlung in wesentlichen Teilen von seinen früheren Angaben abweichen, geboten, jedenfalls die entscheidenden Teile seiner Aussagen in den Urteilsgründen wiederzugeben, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (…)

In den Urteilsfeststellungen sollten die Angaben eingehend dahingehend geprüft wrden, ob die Annahme, eine Aussage sei falsch, widerlegt werden kann (sog. Nullhypothese, grundlegend dazu vgl. BGH, 1 StR 618/98).

Aussage gegen Aussage: Darstellung der Aussagen notwendig

Das sind sehr beachtliche Anforderungen, die der Bundesgerichtshof hier an die schriftlichen Urteilsgründe stellt. In Situationen der „Aussage gegen Aussage“ will der BGH nämlich in der Lage sein, Aussagequalität und Aussagekonstanz zu prüfen, was hier nicht mehr möglich war:

Es fehlt schon an einer aus sich heraus verständlichen, zusammenhängenden Darstellung der Aussage der Zeugin in der Hauptverhandlung, die eine Überprüfung der Aussagequalität und der Aussagekonstanz sowie eine Auseinandersetzung mit den festgestellten, auch das Kerngeschehen betreffenden Abweichungen durch das Revisionsgericht ermöglicht.

Dabei war vorliegend zu sehen, dass es um eine kindliche Zeugin ging, wobei hier das Gericht umfangreiche Feststellungen zur Aussageentstehung zu treffen hat. Dabei ist es nicht ausreichend, letztlich darauf hinzuweisen, dass Anhaltspunkte für eine bewusste Falschbelastung fehlen, wenn nicht klar ist, ob eine suggestive Falschbelastung möglich war, so der BGH.

Feststellungen des Gerichts bei unbewusst falscher Verdächtigung

Geht das Gericht davon aus, dass eine unbewusste vorlag, so bedarf es näherer Erörterung, auf welchen Umständen die Annahme einer solchen Phantasieoder Falschaussagehypothese beruht und weshalb diese nicht zurückgewiesen werden kann. Dies umso mehr, wenn die Angaben der Geschädigten und des Angeklagten im Kerngeschehen übereinstimmen.

Bei Abweichungen in den Angaben der Geschädigten sind zwingend einzustellen:

  • erheblicher Zeitraum zwischen Tat und Hauptverhandlung
  • Zustandekommen der seinerzeitigen polizeilichen Aussage, speziell wie Sprachbarrieren überbrückt wurden
  • wenn die Geschädigte weiterhin als Prostituierte tätig war
  • Bericht gegenüber mehreren Zeugen nach der Tat
  • Vorstrafe des Angeklagten im Waffenrechtlichen Bereich

Zu alledem siehe BGH, 2 StR 222/20.

Strafverteidigung bei Aussage gegen Aussage

Letztlich sind solche Fälle schwierig, die Anforderungen an Gerichte sind sehr hoch und gerade bei kindlichen Zeugen nur mit enormem Aufwand zu erfüllen. Dies aber auch aus gutem Grund, schliesslich sieht §241a die Vernehmung von Zeugen unter 18 Jahren alleine durch den Vorsitzenden vor, Fragen der Verteidigung werden ebenfalls über diesen an die Zeugin gerichtet (und mithin gefiltert). Diesen faktischen Mangel der Verteidigung durch die aufgezeigten Anforderungen bei der Urteilsbegründung auszugleichen ist nur Recht.

Weitere Ausführungen des BGH zur Situation Aussage gegen Aussage

Im Rahmen einer -Konstellation zum eigentlichen Tatgeschehen gelten besondere Anforderungen an die Begründung und Darstellung der tatrichterlichen Überzeugungsbildung. Hierzu ergänzend ist auf eine weitere Entscheidung des BGH (1 StR 53/16) hinzuweisen, in der sich der BGH ebenso geäußert hat:

Wenn – wie im vorliegenden Fall – Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, ist die Aussage der einzigen Belastungszeugin einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen.

Dabei müssen die Urteilsgründe nachvollziehbar erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 – 5 StR 544/12, NStZ-RR 2013, 119). Insoweit ist zunächst eine zusammenfassende Darstellung etwaiger bestreitender Angaben des Angeklagten notwendig; die Aussage des Angeklagten und die Bewertung seines Aussageverhaltens ist in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen (vgl. Miebach in MüKo-StPO, § 261 Rn. 209).

Beruht eine Verurteilung im Wesentlichen auf der Aussage einer Belastungszeugin und hat sich diese entgegen früheren Vernehmungen teilweise abweichend erinnert, bedarf es einer geschlossenen Darstellung der jetzigen und der früheren Aussagen der Zeugin, weil ansonsten eine vom Gericht erfolgte Konstanzanalyse revisionsrechtlich nicht überprüft werden kann (vgl. BGH aaO; Miebach aaO § 261 Rn. 236 mwN). Eine gravierende Inkonstanz in den Bekundungen eines Zeugen kann ein Indiz für mangelnde Glaubhaftigkeit darstellen, wenn es hierfür keine plausible Erklärung gibt (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172).

Stellt das Gericht in Fällen von Aussage gegen Aussage einen Teil der angeklagten Tatvorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO ein, bedarf es zudem einer Mitteilung der Gründe hierfür, weil diese im Rahmen der gebotenen umfassenden Glaubhaftigkeitsbeurteilung von Bedeutung sein können (vgl. Senat, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 160).

Abschliessend gilt: Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das Tatgericht bei der Würdigung der erhobenen Beweise alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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