Im Arbeitsleben spielen Zielvorgaben eine wesentliche Rolle für die Motivation und Leistung der Mitarbeiter. Dies wird besonders deutlich im Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 6. Februar 2024 (Aktenzeichen 4 Sa 390/23), das sich mit den Folgen einer verspäteten Zielvorgabe und deren Einfluss auf die Motivations- und Anreizfunktion beschäftigt.
Hintergrund des Falles
In diesem Fall ging es um die Klage eines ehemaligen Head of Advertising, der eine Entschädigung für das verlorene variable Vergütungselement seines Gehalts aufgrund einer verspäteten Zielvorgabe forderte. Die Zielvorgabe, die eine entscheidende Grundlage für die Berechnung seiner variablen Vergütung bildete, wurde ihm erst gegen Ende des Geschäftsjahres mitgeteilt, was laut Gerichtsurteil zu spät war, um eine sinnvolle Motivations- und Anreizfunktion zu erfüllen.
Kern des Urteils
Das Landesarbeitsgericht Köln stellte fest, dass Zielvorgaben, die zu spät im Geschäftsjahr gegeben werden, so zu behandeln sind, als wären sie überhaupt nicht erfolgt. Dies liegt daran, dass eine effektive Zielvorgabe bereits zu Beginn des Bewertungszeitraums vorhanden sein muss, um den Mitarbeitern genügend Zeit zu geben, ihre Arbeitsleistung entsprechend anzupassen und die Ziele zu erreichen.
Das Gericht erklärte, dass eine Zielvorgabe ihre Motivationsfunktion verliert, wenn sie erst ausgegeben wird, nachdem das Jahr bereits zu mehr als drei Vierteln vorüber ist:
Nach Auffassung der Berufungskammer ist eine in der Zielperiode pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe in gleicher Weise zulasten des Arbeitgebers schadensersatzauslösend, wie die pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossene Zielvereinbarung (ebenso LAG Hessen 30.04.2021 – 14 Sa 606/19 – Rn. 56; LAG Köln 26.01.2018 – 4 Sa 433/17 – Rn. 44 ff.; LAG Rheinland-Pfalz 15.12.2015 – 8 Sa 201/15 – Rn. 79; LAG München 20.06.2012 – 10 Sa 951/11 – Rn. 54; LAG Hamm 02.10.2008 – 15 Sa 1000/08 – Rn. 92; aA LAG Köln 15.12.2014 – 5 Sa 580/14 – Rn. 73; LAG Düsseldorf 29.10.2003 – 12 Sa 900/03 – Rn. 19; jeweils zitiert nach juris), allerdings ohne dass ein Mitverschulden des Arbeitnehmers in Betracht kommt. Zwar unterliegt die einseitige Zielvorgabe als Leistungsbestimmung der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB, mit der Folge, dass bei einem Unterbleiben der Zielvorgabe die Leistungsbestimmung grundsätzlich durch Urteil vorzunehmen ist (vgl. BAG 12.12.2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 23, BAGE 125, 147; LAG Köln 15.12.2014 – 5 Sa 580/14 – Rn. 73, zitiert nach juris). Nach teilweise vertretener Auffassung gilt dies auch dann, wenn die Zielperiode abgelaufen und wegen der Bonuszahlung ein Rechtsstreit anhängig ist (LAG Düsseldorf 29.10.2003 – 12 Sa 900/03 – Rn. 19; LAG Köln 15.12.2014 – 5 Sa 580/14 – Rn. 73; jeweils zitiert nach juris). Hiergegen spricht jedoch, dass die Gründe, aus denen das Bundesarbeitsgericht im Falle einer unterbliebenen Zielvereinbarung nach Ablauf der Zielperiode eine Festlegung der Ziele durch Urteil für ausgeschlossen hält und grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch annimmt, für den Fall der unterbliebenen einseitigen Zielvorgabe unterschiedslos ebenso zutreffen; auch im Hinblick auf die einseitige Zielvorgabe ist deren Zweck, nämlich die Motivation der Mitarbeiter durch das Setzen eines Leistungsanreizes, nicht mehr erreichbar, wenn die Zielperiode abgelaufen ist (ebenso LAG Hessen 30.04.2021 – 14 Sa 606/19 – Rn. 56 f.; LAG Köln 26.01.2018 – 4 Sa 433/17 – Rn. 45; LAG Rheinland-Pfalz 15.12.2015 – 8 Sa 201/15 – Rn. 79; jeweils zitiert nach juris).
Gleiches gilt für die betreffend die unterbliebene Zielvereinbarung erfolgte Erwägung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 12.12.2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 26, BAGE 125, 147), die nachträgliche Ermittlung angemessener, fallbezogener Ziele durch die Gerichte sei angesichts der Vielzahl der unterschiedlichen Gewichtung möglicher Ziele und auf Grund sich ständig ändernder Rahmenbedingungen in der Regel mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden oder sogar gar nicht möglich (ebenso LAG Hessen 30.04.2021 – 14 Sa 606/19 – Rn. 57; LAG Köln 26.01.2018 – 4 Sa 433/17 – Rn. 45; jeweils zitiert nach juris). Mit dieser Begründung lehnte das Bundesarbeitsgericht die Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB auf Fälle der unterbliebenen Zielvereinbarung ab. Zudem ist es nicht möglich, den Umstand, dass die Leistungsbestimmung verzögert wurde, im Urteil zu berücksichtigen (LAG Hessen 30.04.2021 – 14 Sa 606/19 – Rn. 57; LAG Köln 26. Januar 2018 – 4 Sa 433/17 – Rn. 45; aA LAG Düsseldorf 29.10.2003 – 12 Sa 900/03 – Rn. 18, zitiert nach juris).
Auswirkungen auf die Motivation
Die Entscheidung unterstreicht die psychologische Bedeutung, die Zielvorgaben für die Mitarbeitermotivation haben. Ziele setzen nicht nur Maßstäbe für die erwartete Leistung, sondern dienen auch als wichtiger Anreiz für die Mitarbeiter, sich in ihrer Arbeit zu engagieren und zu exzellieren. Wenn diese Ziele jedoch unrealistisch spät gesetzt werden, wird die Möglichkeit der Mitarbeiter, ihre Arbeit entsprechend zu planen und sich auf die Erreichung dieser Ziele zu konzentrieren, erheblich beeinträchtigt.
Juristische und betriebliche Konsequenzen
Das Urteil sendet eine klare Botschaft an alle Arbeitgeber über die Notwendigkeit, rechtzeitig und angemessen Zielvorgaben zu kommunizieren. Es zeigt auch, dass die Gerichte bereit sind, Arbeitnehmern Schadensersatz zu gewähren, wenn durch das Versäumnis des Arbeitgebers die Kernprinzipien der Leistungssteigerung und Motivation untergraben werden.
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Fazit
Dieses Urteil betont die Wichtigkeit von zeitnahen und klaren Zielvorgaben als Teil des Vertragsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es stellt sicher, dass Zielvorgaben nicht nur eine formale Übung sind, sondern eine echte, motivierende Kraft entfalten, die sowohl dem Einzelnen als auch dem gesamten Unternehmen zugutekommt. Arbeitgeber sollten dieses Urteil als Weckruf sehen, um ihre Praktiken rund um die Zielsetzung und Leistungsbewertung zu überdenken und sicherzustellen, dass diese effektiv zur Motivation ihrer Teams beitragen.
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