Der Bundesfinanzhof (IX B 104/22) hat klargestellt, dass bei einer Videovernehmung nach § 91a der Finanzgerichtsordnung jeder Beteiligte die Richterbank und die anderen Beteiligten gleichzeitig optisch und akustisch wahrnehmen können muss.
Zum Zeugenbeweis bei uns:
Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn ein Beteiligter im Sitzungssaal den zugeschalteten Beteiligten nur sehen kann, wenn er sich selbst um 180 Grad dreht:
Nach § 91a Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird dann gemäß § 91a Abs. 1 Satz 2 FGO zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Die „Videoübertragungstechnik“ soll auf der Grundlage dieser Vorschrift „ohne Verlust an rechtsstaatlicher Qualität“ genutzt werden (BTDrucks 17/1224, S. 10). Das Geschehen muss vollständig übermittelt werden. Der Bildausschnitt darf sich deshalb nicht auf einzelne Beteiligte ‑‑etwa den Vorsitzenden‑‑ beschränken (Wieczorek/Schütze/Gerken, 5. Aufl., § 128a ZPO Rz 11). Jeder Beteiligte muss zeitgleich die anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen können (MüKoZPO/Fritsche, § 128a Rz 6; Müller-Teckhof, in: Kern/Diehm (Hrsg.), ZPO, 2. Aufl. 2020, § 128a Rz 4). Verbale und nonverbale Äußerungen müssen wie bei persönlicher Präsenz wahrnehmbar sein (…)
Es war dem Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung … nicht möglich, gleichzeitig die Richterbank und das FA zu sehen. Er musste sich vielmehr umdrehen, um die Vertreter des FA auf dem Bildschirm hinter ihm sehen zu können. Unter diesen Umständen ist nicht generell ausgeschlossen, dass ihm Einzelheiten, zum Beispiel in Mimik und Gestik der Vertreter des FA oder der Richter, entgangen sein können. Anders als in der mündlichen Verhandlung unter Anwesenheit aller Beteiligter konnte eine mögliche nonverbale Kommunikation zwischen einem Beteiligten und der Richterbank nicht wahrgenommen werden. Dem steht nicht entgegen, dass im Regelfall die Beteiligten einer Gerichtsverhandlung nebeneinander vor der Richterbank sitzen. Denn in diesem Fall kann eine nonverbale Kommunikation zumindest regelmäßig „aus dem Augenwinkel“ wahrgenommen werden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass durch das wiederholte Hin- und Herschauen möglicherweise die Gefahr bestand, dass der Geschäftsführer der Klägerin abgelenkt wurde und deshalb seine Konzentration auf den Prozessstoff beeinträchtigt war.
Die hier geäußerten grundsätzlichen Erwägungen werden sich auch auf die anderen Prozessordnungen übertragen lassen, soweit dort Videoverhandlungen überhaupt vorgesehen sind.
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