Der Bundesgerichtshof (5 StR 40/16) betont, dass die Aktenkenntnis des Nebenklägers nicht zwingend in den Urteilsgründen bei der Würdigung von Zeugenaussagen zu berücksichtigen ist, da dies den Aussagegehalt nicht zwingend infrage stellen soll:
Der Senat hat bereits entschieden, dass grundsätzlich keine Erörterungspflicht in Bezug auf eine etwaige Kenntnis eines Nebenklägers vom Inhalt der Verfahrensakten besteht (BGH, Beschluss vom 15. März 2016 – 5 StR 52/16). Regelmäßig drängt auch in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen die Aufklärungspflicht das Gericht nicht dazu, Feststellungen zur Wahrnehmung des sich aus § 406e Abs. 1 StPO ergebenden Akteneinsichtsrechts zu treffen.
Auch in solchen Fällen bedarf es im Rahmen der Beweiswürdigung in der Regel keiner ausdrücklichen Würdigung des Umstands, dass ein Verletzter vermittelt durch einen Rechtsanwalt Zugang zum Inhalt der Ermittlungsakten – insbesondere auch zu Niederschriften seiner früheren Vernehmungen – hatte.
Denn mit der Wahrnehmung dieses gesetzlich eingeräumten Verletztenrechts geht nicht typischerweise eine Entwertung des Realitätskriteriums der Aussagekonstanz einher (aA wohl OLG Hamburg, Beschluss vom 24. Oktober 2014 – 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105, 107; BeckOK-StPO/Eschelbach, § 261 Rn. 55.3). Durch die generalisierende Annahme, dass mit Akteneinsicht durch den Nebenklägervertreter die Glaubhaftigkeit der Angaben eines Belastungszeugen stets in besonderer Weise in Zweifel zu ziehen sei, würde zudem seine freie Entscheidung, Akteneinsicht zu beantragen, beeinträchtigt werden (vgl. zu § 52 StPO: LR-StPO/Ignor/Bertheau, 26. Aufl., § 52 Rn. 40).
Maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalls. Diese können etwa dann zu einer ausdrücklichen Bewertung möglicher Aktenkenntnis des (einzigen) Belastungszeugen im Rahmen der Beweiswürdigung drängen, wenn Hinweise auf eine konkrete Falschaussagemotivation des Zeugen oder Besonderheiten in seinen Aussagen hierzu Anlass geben. Daran fehlt es hier. In der Person der Nebenklägerin oder in ihren Aussagen liegen keine Umstände vor, durch die das Landgericht sich zu einer Erstreckung der Beweisaufnahme auch auf den genannten Gesichtspunkt hätte gedrängt sehen müssen und die eine ausdrückliche Würdigung auch dieses Aspekts im Rahmen der durch das Landgericht eingehend und sorgfältig vorgenommenen Analyse der Angaben der Nebenklägerin erforderlich gemacht hätten.
Die Entscheidung ist ein Paradebeispiel für aus dem Ruder laufende Rechtsprechung, die „sollen und sein“ verwechselt: Weil dem Opfer ein Recht grundsätzlich zustehen soll, tut man so, als würde die Kenntnis des Akteneinhalts keinerlei Einfluss auf die Aussage haben – was mit der Kognitionspsychologie schlichter Quatsch ist, wie der Bundesgerichtshof selber weiß! Denn bei Angeklagten unterstellt der BGH bereits dann mangelnde Aussagekraft, nur weil man einen Anwalt hat der Schreiben zur Akte gereicht hat.
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