Zulässiges Verteidigungsverhalten

Zulässiges Verteidigungsverhalten darf nicht negativ beeinflussen: Wenn der Angeklagte vorgeworfene Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies mit dem grundsätzlich ein zulässiges Verteidigungsverhalten. Ein solch zulässiges Verteidigungsverhalten darf dem Angeklagten ausdrücklich nicht angelastet werden; andernfalls wäre er nämlich gezwungen, seine Verteidigungsstrategie aufzugeben, will er einer ihm ungünstigen Entscheidung entgegenwirken (BGH, 4 StR 134/19).

Der Punkt ist zwar zu betonen, zugleich aber ist an die Praxis zu Erinnern: Wenn ein Gericht im Hinterkopf ein missliebiges Verhalten hat und dies in die Waagschale wirft ohne es gleichwohl im Urteil zu thematisieren ist – wenn nicht gravierende Abweichungen bei der Strafzumessung der Höhe nach vorliegen – kein ernsthafter Angriffspunkt sichtbar.

Die Grenze ist mit dem BGH erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers oder eines Dritten sich als Ausdruck besonders verwerflicher des Täters darstellt, etwa weil die Falschbelastung mit einer oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht (BGH, 4 StR 200/19, 1 StR 320/14 und 5 StR 267/11).

Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens, wie der BGH immer wieder betont. So steht es dem Angeklagten bekanntlich frei, ob er sich zur Sache einlässt oder nicht zur Sache aussagt (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 ).

Ein unbefangener, angstfreier Gebrauch dieses Schweigerechts wäre gefährdet, wenn ein Angeklagter die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste (gefestigte Rechtsprechung des BGH, dazu nur 3 StR 196/14). Aus dem diesem Grund dürfen weder aus durchgehender noch anfänglicher Aussageverweigerung – und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem sich der Angeklagte erstmals einlässt, siehe sogleich – nachteilige Schlüsse gezogen werden (zusammenfassend dazu BGH, 3 StR 344/15 und 3 StR 11/15).

Zeitpunkt des Geständnisses

So kommt es dann auch, dass der BGH immer wieder betont, dass etwa der Zeitpunkt des Geständnisses grundsätzlich nicht negativ Einfluss nehmen darf (also etwa ob es früh oder spät kam); gleichwohl wird es berücksichtigt, sogar mündlich thematisiert – aber eben nicht ins Urteil geschrieben. Aber ein zu später Zeitpunkt kann etwa gegen die Glaubhaftigkeit sprechen!

Selbiges gilt bei der in einer Anstalt oder in der , ein Zulässiges Verteidigungsverhalten darf insoweit weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden:

Andernfalls wäre er gezwungen seine Verteidigungsstrategie aufzugeben, will er hinsichtlich der Sicherungsverwahrung einer ihm ungünstigen Entscheidung entgegenwirken (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2020 – 4 StR 134/19, Rn. 24; Beschluss vom 24. Oktober 2019 – 4 StR 200/19, NStZ-RR 2020, 15 mwN). Wenn der Angeklagte ihm zur Last gelegte Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten.

BGH, 4 StR 588/19

Aber Vorsicht: Inzwischen hat der BGH klargestellt, dass Verteidigererklärungen einen geringeren Beweiswert haben, die Rechtsprechung sollte bekannt sein!

„Taktisches Aussageverhalten“

Der Bundesgerichtshof zeigt auf, wie die Gratwanderung funktioniert. Es ging um ein landgerichtliches Verfahren, in dessen Urteilsgründen beweiswürdigend ausgeführt wurde, der Angeklagte habe ein „ausgesprochen taktisches Aussageverhalten“ gezeigt. Als ihm am ersten Hauptverhandlungstag Gelegenheit gegeben worden sei, sich zur Sache einzulassen, habe er noch von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht; erst nach der Vernehmung der Nebenklägerin in der habe er eine erste Einlassung zur Sache abgegeben. Das LG verlor sich dann in taktischen Überlegungen aus Sicht des Angeklagten:

Die Strafkammer habe hierdurch den Eindruck gewonnen, der Angeklagte habe mit Absicht die ihm am ersten Hauptverhandlungstag eingeräumte Gelegenheit für eine Einlassung zur Sache verstreichen lassen; vermutlich in der Hoffnung, die Nebenklägerin werde aufgrund ihrer psychischen Belastung gar nicht in der Lage sein, in der Hauptverhandlung eine „brauchbare“ Aussage zu machen, habe er deren Aussage abgewartet, damit er seine Einlassung entsprechend anpassen könne (UA S. 15 f.). Die „eindeutig taktisch motivierten“ Angaben des Angeklagten haben zwar keinen Beleg für dessen Schuld erbracht; seine Einlassung habe jedoch auch keinen positiven Erkenntniswert (UA S. 19).

BGH, 1 StR 139/22

Mit dieser „Würdigung“ wurde dann aber rechtsfehlerhaft darauf abgestellt, dass der Zeitpunkt der Einlassung des Angeklagten gegen deren Richtigkeit spreche; der Bundesgerichtshif formuliert aus, was ihn stört und wie es „besser“ ginge:

Das Landgericht hat nicht allein – was für sich genommen zulässig gewesen wäre – darauf abgehoben, dass einer in Kenntnis der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung abgegebenen Einlassung ein geringerer Beweiswert beigemessen werden kann, weil der Angeklagte die Möglichkeit hatte, seine Darstellung an deren Inhalte und die bisherigen Ermittlungserkenntnisse insgesamt anzupassen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 5 StR 411/20 und Urteil vom 5. Juli 2017 – 2 StR 110/17 Rn. 9, jeweils mwN).

Vielmehr hat es aus dem vom Angeklagten gewählten Einlassungszeitpunkt auf dessen Verteidigungstaktik geschlossen und seiner „eindeutig taktisch motivierten“ Einlassung einen geringeren Wert zugemessen. Damit hat es in unzulässiger Weise die Gründe für sein Aussageverhalten bewertet und aus dem Zeitpunkt seiner Einlassung nachteilige Schlüsse für den Angeklagten gezogen.

BGH, 1 StR 139/22

Pauschales Bestreiten keine Teileinlassung

Am Rande ist daran zu erinnern, dass ein pauschales Bestreiten des Tatvorwurfs durch einen Angeklagten im , aber auch im gerichtlichen Verfahren einem Schweigen gleichzusetzen ist und gerade keine Teileinlassung darstellt (dazu BGH, 1 StR 139/22, 1 StR 324/12, 1 StR 196/92 und 5 StR 122/92).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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