Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (6 U 46/21) konnte sich anlässlich der auf einem Haushaltsartikel neben einem Warenlogo aufgedruckten Werbeaussage „klimaneutral“ zu der Frage äußern, ob dies darauf schließen lasse, dass das herstellende Unternehmen ausschließlich klimaneutrale Ware produziere. Im Gegensatz zum unscharfen Begriff der „Umweltfreundlichkeit“ enthalte der Begriff der „Klimaneutralität“ eine klare Aussage: Nämlich die Aussage, dass die damit beworbene Ware eine ausgeglichene CO2-Bilanz aufweist.
Die Angabe „klimaneutral“ enthält dagegen nicht die weitere Aussage, dass die ausgeglichene Bilanz durch die vollständige Vermeidung von Emissionen bei der Herstellung erreicht wird. Dies gilt mit dem Gericht erst recht, wenn die Angabe mit dem deutlich sichtbaren Hinweis verbunden wird, dass zur Erreichung der Klimaneutralität Klimaschutzprojekte unterstützt werden, wobei erläuternde Angaben zu Art und Umfang der Kompensationsmaßnahmen nicht erforderlich sind.
Zur umweltbezogenen Werbung bei uns:
- Landgericht Karlsruhe entscheidet über die Bewerbung von Produkten als „klimaneutral“ oder „umweltneutral“
- OLG Düsseldorf: Werbung mit Klimaneutralität
- OLG FFM: Werbung mit dem Logo „Klimaneutral“ ohne Aufklärung irreführend
- LG MG: Werbung mit Klimaneutralität bei Kompensationsmaßnahmen
- OLG SH: Irreführung bei Werbung für Müllbeutel mit der Angabe „klimaneutral“
- Green Claims: EU-Kommission nimmt Greenwashing ins Visier
- Empowering Consumers Directive
- European Critical Raw Materials Act
- Recht auf Reparatur geplant
Aus der Entscheidung des OLG:
Die Angabe „klimaneutral“ ist nicht dadurch irreführend, dass der Verbraucher ohne nähere Erläuterungen nicht beurteilen kann, wie Klimaneutralität erreicht werde. Entscheidend darin hat der Kläger ausweislich seines Abmahnschreibens ursprünglich die irreführende Wirkung der Aussage gesehen.
aa) Für die Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen gilt ähnlich wie für die Gesundheitswerbung ein strenger Maßstab. Die beworbene Umweltverträglichkeit einer Ware hat mittlerweile großen Einfluss auf das Kaufverhalten. Zugleich sind die hierbei verwendeten Begriffe – wie etwa umweltfreundlich, umweltverträglich, umweltschonend oder bio – vielfach unklar. Deshalb besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis des angesprochenen Verbraucherkreises über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe. An die zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen aufklärenden Hinweise sind grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen, die sich im Einzelfall nach der Art des Produktes und dem Grad und Ausmaß seiner angeblichen Umweltfreundlichkeit bestimmen. Fehlen die gebotenen aufklärenden Hinweise in der Werbung oder sind sie nicht deutlich sichtbar herausgestellt, besteht im besonders hohen Maß die Gefahr einer kaufentscheidenden Täuschung der Verbraucher (grundlegend BGH NJW 1989, 711, 712 unter Ziff. II.2.a – Umweltengel; BGH GRUR 1996, 367 unt. Ziff. II.3a – Umweltfreundliches Bauen; OGH GRURInt 2013, 580, 583 unter Ziff. 2.2; OLG Hamburg BeckRS 2008, 7230 Rn. 16 – schnell biologisch abbaubar; OLG Koblenz wrp 2011, 1499, 1501 – CO²-neutral; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 2.182; krit. Büscher/ders., 2019, § 5 Rn. 348).
Bei einer blickfangmäßigen Werbung mit der Umweltfreundlichkeit eines Erzeugnisses muss wegen der unterschiedlichen damit verbundenen Vorstellungen und Erwartungen darüber aufgeklärt werden, woraus sich die Umweltfreundlichkeit ergeben soll (BGH NJW 1989, 711 – Umweltengel; JurisPK-UWG/Diekmann, Stand 15.01.2021, § 5 Rn. 381). Jede einzelne zur Umweltfreundlichkeit getroffene Aussage muss erkennen lassen, welcher Umweltvorzug herausgestellt werden soll, um die Gefahr einer Irreführung durch die Verwendung des unscharfen Begriffs der Umweltfreundlichkeit auszuschließen. Mehr allerdings, auch dies ist zu beachten, verlangen die §§ 3, 5 UWG nicht. Sie enthalten ein Irreführungsverbot, begründen aber kein Informationsgebot (BGH GRUR 1996, 367, 368 unt. Ziff. II.3.a – Umweltfreundliches Bauen – zu § 3 UWG; OLG Hamburg BeckRS 2008, 7230 Rn. 17 – schnell biologisch abbaubar – zu § 5 UWG).
bb) Auch nach dem demnach gebotenen strengen Maßstab ist die Werbung nicht zu beanstanden.
aaa) Der Senat hält die Werbung mit „klimaneutral“ schon für sich betrachtet – also ohne aufklärende Hinweise – nicht zwangsläufig für irreführend. Anders als der unscharfe Begriff der Umweltfreundlichkeit enthält der der Klimafreundlichkeit eine klare und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbare Aussage.
(1) In der DIN EN ISO 14021, die die Anforderungen an umweltbezogene Anbietererklärungen regelt (Anlage K 10), wird der Begriff „CO²-neutral“ so bestimmt, dass er sich auf ein Produkt beziehe, bei dem der Carbon Footprint null oder ausgeglichen worden sei (DIN EN ISO S. 47 Ziff. 7.17.3.1). Der Begriff umfasst also beides, entscheidend für die „Neutralität“ ist die Bilanz unter erlaubter Berücksichtigung von Kompensationsmaßnahmen. Es darf davon ausgegangen werden, dass er sich in diesem Sinne im Verständnis des an Umweltaussagen interessierten Verbraucherkreises etabliert hat (ebenso OLG Koblenz wrp 2011, 1499, 1501). Belegt wird dies auch durch die Pressemitteilungen des BMZ und des BMU, in denen die Ministerien die angestrebte behördeneigene Klimaneutralität darstellen und dabei als selbstverständlich zugrunde legen, dass in gewissem Umfang CO²-Ausstoß unvermeidlich ist und durch Emissionszertifikate kompensiert werden muss (BMU Anl. B 12; BMZ Anl. B 13, S. 8 u.a.).
Für die Angabe „klimaneutral“ auf den Müllbeuteln folgt daraus, dass sie dem Verbraucher zwar eine Produktion mit ausgeglichener CO²-Bilanz verspricht. Insoweit weckt sie eine klare Erwartung. Sie lässt aber offen, in welcher Weise dies geschieht. Es ist schon zweifelhaft, dass ein erheblicher Teil der verständigen Verbraucher dem Irrtum unterliegen könnte, dass Müllbeutel wie die beworbenen könnten ohne jeden CO²-Ausstoß hergestellt werden könnte. Der Kläger räumt selbst ein dass die Unvermeidbarkeit von Emissionen im Herstellungsprozess offensichtlich ist (Schriftsatz vom 05.05.2021 S. 8). Doch auch wenn der Verbraucher eine emissionsfreie Herstellung für grundsätzlich möglich hielte, kann er der schlichten Angabe der Klimaneutralität nicht entnehmen, dass dies hier gelungen ist. Er kann ihr nur das Versprechen einer – wie auch immer – ausgeglichenen Emissionsbilanz entnehmen. Gerade deshalb fehlt es hier an einer Irreführung. Irreführung setzt das Hervorrufen einer Fehlvorstellung voraus. Der Begriff der Klimaneutralität erweckt aber keine Fehlvorstellung über die Art und Weise, wie die ausgeglichene Klimabilanz erreicht wird, sondern beinhaltet nur die Zusage eines entsprechenden Ergebnisses.
(2) Die von dem Kläger in Bezug genommene landgerichtliche Rechtsprechung steht der hiesigen Bewertung – mit Ausnahme einer Entscheidung des Landgerichts Frankfurt/M. – nicht entgegen.
Die Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf (Urteil vom 19.07.2013 – 38 O 123/12, BeckRS 2013, 18721), dass die Bewerbung von Kerzen als „klimaneutral“ irreführend i.S.d. § 5 UWG sei, steht dieser Bewertung nicht entgegen. Die Irreführung lag aus Sicht des Landgerichts offenbar darin, dass eine klimaneutrale Verbrennung der Kerzen nicht nachgewiesen sei. Dahin ging ausweislich des Tatbestands jedenfalls auch der Klägervortrag. Nicht die emissionsfreie Herstellung, sondern die in der Tat vielleicht vorstellbare CO²-freie Nutzung der Kerzen war missverständlich beworben worden. Um einen Fall dieser Art geht es hier jedoch nicht, denn eine Irreführung über den klimaneutralen Gebrauch der Müllbeutel und die an eine solche Behauptung zu stellenden Anforderungen steht hier nicht in Rede.
Das von dem Kläger als Anlage K 9 vorgelegte Unterlassungsurteil des Landgerichts Frankfurt/M. (Urteil vom 21.05.2016 – 3-06 O 40/16) hat die irreführende Wirkung der Angabe „klimaneutral“ ausdrücklich daraus abgeleitet, dass sie „anders als bei der Werbung anderer Unternehmer mit dem Schlagwort einer Klimaneutralität“ weitere Angaben enthalte; dies sei entscheidend. In den weiteren Angaben erwecke die dortige Beklagte nämlich den Eindruck, dass ihr eine CO²-ausstoßfreie Produktionskette gelungen sei. Ersichtlich also hat das Landgericht Frankfurt allein dem Schlagwort der „Klimaneutralität“ eine solche Aussage nicht entnehmen wollen.
Das Landgericht Mönchengladbach (Urteil vom 25.02.2022 – 8 O 17/21, Anlage K 14) führt aus (UA Ziff. I. 2b), dass das Konzept der Klimaneutralität durch Kompensation zwar als bekannt vorausgesetzt werden könne, der durchschnittliche Verbraucher sich aufgrund der konkreten Formulierung der Werbeaussage jedoch keine bilanzielle Kompensation vorstelle, sondern die Aussage auf das konkrete Produkt und damit auf den Herstellungsprozess beziehe. Die Entscheidung beruht also auf der Gestaltung der konkreten Werbung, geht im Ausgangspunkt aber davon aus, dass der Begriff der Klimaneutralität an sich nicht mehr als eine ausgeglichene Bilanz verspricht.
Das Landgericht Oldenburg (Urteil vom 16.12.2021 – 15 O 1469/21, Anlage K 15) stellt klar, dass der durchschnittliche Verbraucher bei dem Begriff „klimaneutral“ bezogen auf Fleischprodukte davon ausgehe, dass bei der Produktion und Vertrieb der Produkte das ausgestoßene klimaschädliche CO²-Gas entweder im Sinne einer ausgeglichenen CO²-Bilanz an anderer Stelle eingespart bzw. kompensiert werde oder dass CO² gar nicht erst ausgestoßen werde. Zu einem Fehlverständnis könne es hier durch weitere Angaben der Beklagten in der Werbung kommen.
Einen sehr strengen Maßstab hat hingegen Landgericht Frankfurt/M.in dem Urteil vom 17.03.2022 (Anlage K 16) angelegt und gefordert, dass eine beworbene Klimaneutralität näher erläutert werden müsse. Dem folgt der Senat in dieser Allgemeinheit nicht. Das Landgericht Frankfurt geht in dieser Entscheidung davon aus, dass der Claim „klimaneutral“ ebenso wenig fest umrissen sei wie der Begriff „umweltfreundlich“, da die Zertifizierungskriterien äußerst vielschichtig und die Wege zum Erreichen der Zertifizierung äußerst unterschiedlich seien (UA S. 25, 27). Dieser Ausgangspunkt ist deshalb nicht zutreffend, weil zwar der Begriff „umweltfreundlich“ in der Tat keinen klaren Inhalt hat, der Begriff „klimaneutral“, wie dargelegt, jedoch durchaus. Sie enthält die nachprüfbare Erklärung einer ausgeglichenen Emissionsbilanz. Der Vorwurf, dahinter könne sich „Greenwashing“ verbergen, ist nicht gerechtfertigt, weil sich die Erklärung erkennbar nur auf das Ergebnis bezieht und offenlässt, wie es erreicht wird.
(3) Fernliegend ist die Annahme, der Verbraucher könne dem Irrtum unterliegen, dass etwaige Ausgleichsmaßnahmen für den CO²-Ausstoß in Deutschland erfolgten. Zu dieser Vorstellung soll er – so der Kläger – durch die auf der Verpackung abgebildete Deutschlandflagge gelangen. Diese ist dort jedoch im Zusammenhang mit Aussagen und Symbolen zur äußeren Beschreibung des Produkts abgebildet; sie soll hier die Herstellung in Deutschland ausdrücken. Dies wird auf der Produktverpackung auch noch einmal ausdrücklich an anderer Stelle erläutert, indem die Deutschlandflagge hinter der Herkunftsbezeichnung „Made in Germany“ abgedruckt wird. Weshalb der Verbraucher sie gerade mit der Aussage der Klimaneutralität in Verbindung bringen soll, erschließt sich nicht.
Umwelt und Strafrecht
Das Umweltstrafrecht wird sich zu dem wesentlichen Instrument der klimapolitischen Regulierung entwickeln. Wir beraten und verteidigen im gesamten Umweltstrafrecht – ebenso im Werberecht rund um umweltbezogene Aussagen!
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