Unversteuerte Zigaretten im Steuerstrafrecht: Für die Hinterziehung von Tabaksteuern hat der Bundesgerichtshof in seiner aktuellen Rechtsprechung darauf abgestellt, dass ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil nur dann gegeben ist, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch niederschlägt, dass er aus den Tabakwaren einen Vermögenszuwachs erzielt (BGH, 1 StR 479/18, 1 StR 679/18, 1 StR 620/18, 1 StR 199/19, 1 StR 271/19 und 1 StR 403/19).
Dabei stellt der BGH klar, dass unversteuerte Zigaretten bei der Tatvariante der Erwerbshehlerei („Sichverschaffen“, § 374 Abs. 1 Variante 1 AO, mit der Untervariante des „Ankaufens“) als Tatertrag der Vorschrift des § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB unterfallen.
Grund hierfür ist die bei Verbrauchsteuern bestehende Korrelation zwischen dem Besitz und Inverkehrbringen der Ware sowie der Steuer. Denn Verbrauchsteuern werden auf (verbrauchsteuerpflichtige) Waren erhoben, die im Steuergebiet in den Wirtschaftskreislauf treten und ver- oder gebraucht werden (BGH, 1 StR 199/19).
Die Annahme eines für die Einziehung relevanten Vermögenszuwachses setzt voraus, dass der Täter eine wirtschaftliche Zugriffs- und Verwertungsmöglichkeit hinsichtlich dieser Waren hat, über diese also wirtschaftlich (mit-)verfügen kann.
Unversteuerte Zigaretten: Erlangtes Etwas bei Steuerhinterziehung
Nun kann ein Täter auch dadurch „etwas“ i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB erlangen, dass er sich Aufwendungen erspart. Infolgedessen kann bei einer Steuerhinterziehung (Unversteuerte Zigaretten) grundsätzlich auch ein Betrag in Höhe nicht gezahlter Steuern in Gestalt ersparter Aufwendungen der Einziehung unterliegen.
Das kann aber nicht der Fall sein, wenn die Verfügungsmöglichkeit zwar zunächst erlangt wurde, diese jedoch durch die Sicherstellung wieder verloren geht (so nun ausdrücklich BGH, 1 StR 403/19). Denn: aufgrund der Sicherstellung ist ein (weiteres) Inverkehrbringen und eine wirtschaftliche Verwertung der – der Steuer unterliegenden – Waren, auf das für die Verbrauch- bzw. Warensteuern als Entstehungstatbestand allgemein abgestellt wird, ausgeschlossen (BGH, 1 StR 199/19):
Beim Delikt der Steuerhinterziehung kann die verkürzte Steuer „etwas Erlangtes“ im Sinne des § 73 Abs.1 StGB sein, weil sich der Täter Aufwendungen für diese Steuern erspart hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2019 – 1 StR 620/18 Rn. 19, BGHSt 64, 146 mwN). Dies gilt jedoch nicht schlechthin, weil die Einziehung an einem durch die Tat tatsächlich beim Täter eingetretenen Vermögensvorteil anknüpft und damit mehr als die bloße Tatbestandserfüllung voraussetzt (BGH, aaO).
Im Hinblick auf den Charakter der Tabaksteuer als Verbrauchs- bzw. Warensteuer ergibt sich ein unmittelbarer wirtschaftlicher Vorteil nur, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters niederschlägt, dass er aus den Tabakwaren, auf die sich die Hinterziehung von Tabaksteuern bezieht, einen Vermögenszuwachs erzielt, beispielsweise in Form eines Vermarktungsvorteils.
Offene Steuerschulden begründen hingegen nicht stets über die Rechtsfigur der ersparten Aufwendungen einen Vorteil im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB. Maßgeblich bleibt immer, dass sich ein Vorteil im Vermögen des Täters widerspiegelt. Nur dann hat der Täter durch die ersparten Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt (BGH, aaO Rn. 20; Beschluss vom 31. März 2020 – 1 StR 403/19 Rn. 12 mwN).
BGH, 1 StR 78/20
Wenn Tabaksteuer hinsichtlich unversteuerter Zigaretten auf der Grundlage der Einfuhr aus einem Drittland in das deutsche Steuergebiet angefallen ist (§§ 19 Abs. 1, 21 Abs. 1 Satz 1 TabStG), kann für die insoweit außerdem angefallenen und hinterzogenen Einfuhrabgaben, mithin die Zollschuld sowie die Einfuhrumsatzsteuer mit dem BGH nichts anderes gelten, denn Bezug und Einfuhr der Tabakwaren bilden in diesem Fall tatsächlich und wirtschaftlich einen einheitlichen Vorgang, so dass die Frage des „erlangten Etwas“ im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB für die Hinterziehung der Einfuhrabgaben insgesamt in gleicher Weise zu bestimmen ist (so nun ausdrücklich BGH, 1 StR 403/19). Im Einzelnen gilt mit dem Bundesgerichtshof:
Zwischen Tatertrag und Tatobjekt ist im Wege einer tatbestandsspezifischen Wertung nach Maßgabe des geschützten Rechtsguts der einschlägigen Strafvorschrift zu differenzieren (…) „Ertrag“ im Sinne der §§ 73 ff. StGB ist der „wirtschaftlich messbare“, mithin geldwerte Vorteil, den der Täter durch die Straftat seinem Vermögen – und sei es nur vorübergehend – einverleibt (…)
Nach diesen Grundsätzen sind die Zigaretten ohne Steuerzeichen für den Erwerbshehler – anders als etwa für den diese in das deutsche Steuergebiet verbringenden Steuerhinterzieher (..)
Alle Fälle der steuerlichen Erwerbshehlerei sind gleich zu behandeln (…) Die fehlende Verkehrsfähigkeit von unversteuerten Zigaretten ist kein derart gravierender Unterschied zu verkehrsfähigen Waren, als dass eine abweichende einziehungsrechtliche Betrachtung geboten wäre.
Den unversteuerten Zigaretten kommt bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung ein messbarer Wert zu (…). Die Erhebung der Tabaksteuer beim Verbringen von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das deutsche Steuergebiet setzt gerade die Werthaltigkeit der Zigaretten voraus; bei Wertlosigkeit wäre eine Verbrauchsteuerpflicht, die an den Kleinverkaufspreis anknüpft (§ 3 TabStG), nicht möglich. Nichts anderes gilt für die Erhebung von Zoll, Einfuhrumsatz- und Tabaksteuer als Einfuhrabgaben (…) Bei der Zollschuld wird auf den Transaktionswert abgestellt (Art. 70 UZK). Auch die Einfuhrumsatzsteuer ist wertabhängig (…)
Für die Sachhehlerei (§ 259 Abs. 1 Variante 1 StGB) ist bereits entschieden, dass das vom Vortäter Erworbene Tatertrag ist (…)
Der Einordnung als Tatertrag steht der Verweis des § 375 Abs. 2 Satz 2 AO auf § 74a StGB, der die Einziehung abweichend von § 74 Abs. 3 StGB zulässt, wenn das Tatobjekt nicht dem Einziehungsbetroffenen gehört, nicht entgegen. Dieser Inbezugnahme ist nicht die Anordnung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass die verbrauchsteuerpflichtigen Waren stets als Tatobjekte dem Einziehungsregime der § 74 Abs. 2, §§ 74a ff. StGB unterfielen. Auch für § 375 Abs. 2 Satz 1 Variante 4 Nr. 1 AO, der die Steuerhehlerei erfasst, verbleibt ein sinnvoller Anwendungsbereich, namentlich und jedenfalls innerhalb der Tatbestandsvariante der Absatzhilfe (§ 374 Abs. 1 Variante 3 AO).
Unversteuerte Zigaretten: Wirtschaftlich lohnt es sich gar nicht, Unversteuerte Zigaretten zu schmuggeln – gleichwohl wird es immer wieder gemacht. Man geht damit ein wirtschaftliches Risiko ein, dass im Vergleich zum potenziellen Ertrag nicht im Verhältnis steht.
Einziehung beim Steuerhehler
Der Steuerhehler erlangt durch unversteuerte Zigaretten mit dem BGH dadurch, dass er Zigaretten ankauft oder sich sonst verschafft, zunächst (nur) die Zigaretten und durch den anschließenden Weiterverkauf den hieraus erzielten Erlös (siehe BGH, 1 StR 634/18, 1 StR 127/19, 1 StR 244/18 und 1 StR 502/20).
Beim Erwerbshehler sichergestellte Zigaretten sind nach § 73 Abs. 1 StGB einzuziehen. Sind die Zigaretten – aus welchem Grund auch immer – nicht mehr gegenständlich vorhanden, ist deren Wert nach § 73c Satz 1 Variante 2 StGB einzuziehen; der Wert ist anhand der Einkaufs- oder Verkaufspreise zu bestimmen und regelmäßig nach § 73d Abs. 2 StGB zu schätzen.
Ist das vom Steuerhehler als Kaufpreis vereinnahmte Bargeld oder ein sonstiger als Gegenleistung erlangter Vermögensgegenstand sichergestellt worden, kann das Tatgericht diesen im Rahmen einer Ermessensentscheidung als Surrogat einziehen (§ 73 Abs. 3 Nr. 1 StGB). Ist das Bargeld oder der sonstige Vermögensgegenstand nicht mehr „vorhanden“, ist eine Einziehung des entsprechenden Nominalbetrages als Wertersatz ausgeschlossen, da das Gesetz eine Einziehung des Wertes des Surrogates nicht vorsieht (vgl. § 73c Satz 1 Variante 3 StGB: „oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes nach § 73 Abs. 3 StGB […] abgesehen“).
In diesen Fällen kommt ausschließlich die Einziehung des Wertes des ursprünglich Erlangten in Betracht, dessen Wert nach vorstehenden Grundsätzen nach § 73d Abs. 2 StGB zu schätzen und nicht in jedem Fall identisch mit dem Wert des Surrogates ist.
Verbringer unversteuerter Zigaretten
In der Hand des Verbringers sind die Zigaretten Tatobjekt. Denn der Steuerhinterzieher erlangt aus seiner Tat die Steuerersparnis. Gegen ihn ist die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe der verkürzten Verbrauchsteuer anzuordnen, wenn sich die Tabaksteuerersparnis in seinem Vermögen niederschlägt. Die beim Verbringer sichergestellten Zigaretten unterliegen der Einziehung nach § 74 Abs. 2 StGB i.V.m. § 375 Abs. 2 Satz 1 Variante 1 Nr. 1 AO (dazu BGH, 1 StR 142/23).
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