Im Oktober 2020 wurde ein erneuter Gesetzentwurf für weitere Änderungen an der Strafprozessordnung bekannt. Diesmal geht es um vergleichsweise überschaubare Änderungen mit aber durchaus hoher Tragweite, speziell mit Blick auf das Darknet und die Kennzeichenerfassung. Im Folgenden ein kurzer erster Überblick über die wesentlichen geplanten Änderungen.
Links dazu:
Zu den auffälligen Änderungen gehören, wobei ich dringend anrate dass Strafverteidiger auch in die Neufassung des §168a StPO blicken:
Heimlichere Beschlagnahme
Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung kam insbesondere noch ein neuer §95a StPO hinzu, der bei Beschlagnahmen bei Dritten vorsieht, dass auf eine Information des Betroffenen verzichtet werden kann. Dies dürfte insbesondere im Cybercrime dort kritisch zu sehen sein, wo auf Mails und Cloudinhalte zugegriffen wird. Es bleibt abzuwarten, ob dies tatsächlich so kommt – wird aber massive Auswirkungen auf zukünftige Ermittlungsverfahren haben.
Verbesserter Schutz von Zeugen
Von Zeugen soll vor Gericht und bei der Staatsanwaltschaft nur noch im Ausnahmefall die vollständige Wohnanschrift abgefragt werden (siehe dazu die geplante Änderung im §68 StPO-E). Jedenfalls aus dem Sprengel in Aachen muss ich dazu festhalten, dass das schon lange so bei uns praktiziert wird, ich sehe keine ernsthafte Auswirkung auf meinen Alltag.
Änderung der Postbeschlagnahme – Vorratsdatenspeicherung bei Postsendungen
Ganz anders sind Änderungen bei der schon jetzt in §99 StPO vorgesehenen „Postbeschlagnahme“, die umfassend aufgebohrt wird und ein massives Ermittlungsinstrument werden könnte im Bereich Darknet. Hier soll es zukünftig möglich sein, umfassend Auskunft über Postsendungen zu erhalten, die an den Beschuldigten gerichtet sind, von ihm herrühren oder für ihn bestimmt sind. Auskunft muss dabei auch über solche Postsendungen erteilt werden, die sich noch nicht oder nicht mehr im Gewahrsam des Postdienstleisters befinden.
Hier entsteht eine Vorratsdatenspeicherung von umfassenden Daten der Sender und Empfänger im postalischen Umfeld eines Beschuldigten über Anschrift und Namen bis hin zu Abmessungen, Art und Gewicht der Postsendung. Ob und wie sich dies auswirkt ist aus meiner Sicht gar nicht zu prognostizieren, geradezu erschreckend ist, dass diese Änderung bisher wohl kaum öffentlich zur Kenntnis genommen wurde.
Automatische Kennzeichenerfassung
Seit langem gefordert, nun soll es kommen: Die automatische Kennzeichenerfassung. Dabei wird im neuen §163g StPO-E im ersten Absatz das Ermittlungsinstrument definiert, in Absatz zwei dann die mögliche Verwertung abgegrenzt. So soll die Ermittlung wie folgt ablaufen:
An bestimmten Stellen im öffentlichen Verkehrsraum dürfen ohne das Wissen der betroffenen Personen amtliche Kennzeichen von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung durch den Einsatz technischer Mittel automatisch erhoben werden, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen worden ist und die Annahme gerechtfertigt ist, dass diese Maßnahme zur Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten führen kann. Die automatische Datenerhebung darf nur vorübergehend und nicht flächendeckend erfolgen.
Die so erhobenen Daten sollen dann abgeglichen werden hinsichtlich der Zulassung eines KFZ auf den Beschuldigten (Abs.2 Nr.1) oder wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass eine dritte Person „mit dem Beschuldigten in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, und die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise erheblich weniger erfolgsversprechend oder wesentlich erschwert wäre“ (Abs.2 Nr.2). Der Abgleich hat in Echtzeit zu erfolgen, erhobene Daten sind nach abgleich umgehend zu löschen.
Definition des Verletzten
Ein Novum: Im neuen §373b StPO soll die gesetzliche Definition des Verletzten erfolgen:
Im Sinne dieses Gesetzes sind Verletzte diejenigen, die durch die Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, in ihren Rechtsgütern unmittelbar beeinträchtigt worden sind oder unmittelbar einen Schaden erlitten haben. Verletzten im Sinne des Absatzes 1 gleichgestellt sind der Ehegatte beziehungsweise der Lebenspartner, der in einem gemeinsamen Haushalt lebende Lebensgefährte, die Verwandten in gerader Linie, die Geschwister und die Unterhaltsberechtigten einer Person, deren Tod eine direkte Folge der Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, gewesen ist.
Zugriff auf das staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister
Ein weiteres Novum: Unter bestimmten Umständen soll das BKA Zugriff auf die StA-internen Verfahrenslisten erhalten (siehe §44a BKAG-E).
Änderung der Einziehung
In seiner unendlichen Weisheit möchte der Gesetzgeber den §459g StPO auch Wiedermals ändern: Im Absatz 4 sollen verjährte Ansprüche kein Grund sein von der Vollstreckung abzusehen. Und der Satz 1 des Absatz 5 soll lauten: „In den Fällen des Absatzes 2 unterbleibt auf Anordnung des Gerichts die Vollstreckung, soweit sie unverhältnismäßig wäre“ – mit dem Ergebnis, dass der Verbrauch kein Argument mehr sein soll. Das Ergebnis dürfte sein, dass sinn- und zweckentleerte Vollstreckungen letztlich zu führen sind, was die ohnehin ausgelasteten Staatsanwaltschaften noch mehr belasten dürfte – ohne dass es irgendwas bringt (abgesehen davon, dass die Betroffenen gar nicht mehr auf die Füße kommen wirtschaftlich). Die Vermögensabschöpfung mag ja sinnvoll sein, dass man hier aber jeglichen Humanismus streicht und den Betroffenen derart erschwert, überhaupt wieder Teil des geregelten Wirtschaftssystems zu werden, grenzt allmählich an das dümmliche.
Erster Eindruck: Der Blick in den Entwurf lohnt sich für jeden forensisch tätigen Strafverteidiger. Die Definition des Verletzten war längst überfällig, wobei die Ausweitung auf schlichte Lebensgefährten interessante Konsequenzen in der Praxis haben dürfte. Besonders kritisch sollte man die umfassende Vorratsdatenspeicherung bei der Post sehen, auch wenn dies bekanntlich der wesentliche brauchbare Ermittlungsansatz im Bereich des Darknet ist. Bedauerlich, dass dieser erhebliche Eingriff in die Bürgerrechte bisher keine öffentliche Diskussion erfährt.
Die Kennzeichenerfassung dagegen, die sicherlich die meisten Bürger „berühren“ wird – zumal bekanntlich hierzulande wenig heiliger als das Autofahren ist – dürfte schnell öffentliche Beachtung erfahren. Dabei ist gerade hier der gewählte Ansatz, wenn man sich denn auf dieses Fahndungsinstrument überhaupt einlassen möchte, zumindest vertretbar und konform ausgestaltet. Übel wird erst der Blick in die Zukunft, da die Erfahrung lehrt, dass es nie bei einmal eingerichteten Fahndungsinstrumenten bleibt: Mit dem neuen §163g StPO wäre es ein schmaler und absehbarer Grat hin zu einer fortlaufenden Echtzeitüberwachung des Strassenverkehrs. Erst die Kombination aus §163g StPO-E und dem flächendeckenden, bis auf Bundesstrassen ausgedehnten digitalen Mautsystems, lassen dystopische Zukunftsvision zum greifen Nahe wachsen.
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