Der 6. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat am 27.07.23 entschieden, dass Vorstand und Geschäftsführer nicht persönlich für GeldbuÃen eines Unternehmens haften.
Die Klägerinnen hatten den Beklagten wegen seiner Beteiligung an einem Edelstahlkartell auf Schadensersatz verklagt. Der Beklagte war Geschäftsführer der klagenden GmbH und Vorstandsvorsitzender der klagenden AG, zweier miteinander verbundener Edelstahlunternehmen gewesen. In diesen Funktionen hatte der Beklagte in der Zeit von Juli 2002 bis Ende 2015 â insbesondere seit 2012 auch als Vorstandsvorsitzender eines maÃgeblichen Branchenverbandes â regelmäÃig an dem Austausch wettbewerblich sensibler Informationen teilgenommen. Das Bundeskartellamt hatte in dem anschlieÃenden BuÃgeldverfahren gegen zehn Edelstahlunternehmen, zwei Branchenverbände und siebzehn verantwortliche Personen â darunter den Beklagten â GeldbuÃen in Höhe von insgesamt rund 355 Mio. Euro verhängt. Gegen die GmbH hatte das Bundeskartellamt ein BuÃgeld in Höhe von 4,1 Mio. Euro und gegen den Beklagten persönlich ein weiteres BuÃgeld festgesetzt. Gegen die AG wurde im Hinblick auf das BuÃgeld gegen die GmbH kein BuÃgeld festgesetzt.
Die klagende GmbH fordert von dem Beklagten Schadenersatz in Höhe des gegen das Unternehmen festgesetzten BuÃgeldes. Die klagende AG verlangt Erstattung der Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten in Höhe von mehr als einer Mio. Euro. Darüber hinaus begehren beide Klägerinnen die Feststellung, dass der Beklagte für alle aus dem Kartell resultierenden Zukunftsschäden hafte.
Mit Urteil vom 10.12.2021 hatte das Landgericht Düsseldorf (Az.: 37 O 66/20 (Kart)) die Klage hinsichtlich des Unternehmens-BuÃgeldes sowie der geltend gemachten Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten abgewiesen. Im Ãbrigen hatte das Landgericht festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet sei, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Zukunftsschäden zu leisten, die aus dem Wettbewerbsverstoà resultierten:
Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte die ihm obliegenden Legalitätspflichten verletzt hat. Diese verpflichten ihn, sämtliche Rechtsvorschriften zu beachten, die die Gesellschaft im AuÃenverhältnis treffen. Dazu gehört, dass er zwingende gesetzliche Verhaltensvorgaben der Rechtsordnung, also insbesondere auch des Kartellrechts, uneingeschränkt beachten muss. Diese Pflicht ist ohne weiteres verletzt, wenn der Geschäftsführer gegen Vorschriften des europäischen und deutschen Kartellrechts verstöÃt. Dabei ist es unerheblich, ob der Gesetzesverstoà im vermeintlichen Interesse der Gesellschaft begangen wurde. Ein unternehmerisches Ermessen des Organvertreters zur Begehung sog. nützlicher GesetzesverstöÃe besteht nicht (vgl. BGH, Urteil vom 27.8.2010, 2 StR 111/09, NJW 2010, 3458 Rn. 29; LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 43, 30; Oetker, in: Henssler/Strohn GesR, 5. Aufl. 2021, GmbHG § 43 Rn. 25; Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 10).
Nach den Feststellungen des Landgerichts (vgl. Urteil des Landgerichts, S. 12 Ziffer II Nr. 1), die sich wiederum auf die erstinstanzlich unstreitig gebliebenen Feststellungen des Bundeskartellamts im BuÃgeldbescheid stützen, war der Beklagte über einen über 13 Jahre währenden Zeitraum an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen und abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt, die den Tatbestand von § 1 GWB in der Fassung vom 26.8.1998, Art. 81 Abs. 1 EGV in der Fassung vom 24.12.2002 und Art. 101 Abs. 1 AEUV in der seit dem 1.12.2009 geltenden Fassung erfüllen. Wegen der Einzelheiten der Tathandlung wird auf die Ausführungen im Tatbestand dieses Urteils verwiesen. Erstinstanzlich wie auch in der Berufung wendet sich der Beklagte allein gegen die Feststellung des Landgerichts, er habe schuldhaft gehandelt, ohne die festgestellten einzelnen Tathandlungen als solche anzuzweifeln.
An die Feststellungen des Landgerichts hinsichtlich der Tathandlungen des Beklagten ist der Senat gebunden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Hätte die Berufung die festgestellten Tathandlungen angreifen wollen, hätte sie eine Begründung enthalten müssen, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll. Nach § 520 Abs. 2 Nr. 3 ZPO muss der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (vgl. BGH, Urteil vom 28.5.2003, XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531). Das ist nicht geschehen. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Feststellungen in dem BuÃgeldbescheid für einen Schadensersatzprozess der vorliegenden Art, der sich nicht auf § 33 Abs. 2 GWB a.F., sondern auf § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG stützt, auch nach § 33 Abs. 4 GWB a.F. bindend sind (vgl. zu dieser Problematik: Spindler, in: MüKoAktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG, Rn. 210).
Der 6. Kartellsenat hat das landgerichtliche Urteil bestätigt. Der Senat geht davon aus, dass der Beklagte vorsätzlich an dem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch mitgewirkt habe. Der Beklagte habe sich auch nicht in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. So habe er sich etwa auf den Sitzungen des Edelstahl-Vereinigung e.V. mit anderen Wettbewerbern über wettbewerblich sensible Informationen wie die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen ausgetauscht. Vor diesem Hintergrund sei es fernliegend, dass ihm die Kartellrechtswidrigkeit nicht bewusst gewesen sein soll:
Gemäà § 93 Abs. 2 S. 2 AktG und § 34 Abs. 2 S. 2 GenG hat das Geschäftsleitungsorgan darzulegen und zu beweisen, dass es in objektiver und subjektiver Hinsicht die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat. Die Gesellschaft muss nur Tatsachen vortragen, aus denen sich die Möglichkeit einer Pflichtverletzung ergibt. Der Geschäftsführer hat dann darzulegen und zu beweisen, dass er seine Pflichten nicht verletzt hat.
Dem Geschäftsführer obliegt es insbesondere, sein fehlendes Verschulden zu beweisen, d.h. im Einzelfall nachzuweisen, dass er den erforderlichen SorgfaltsmaÃstab eingehalten hat oder dass ihm die Einhaltung des SorgfaltsmaÃstabs unverschuldet unmöglich war (vgl. BGH, Beschluss vom 18.2.2008, II ZR 62/07, Rn. 5, NZG 2008, 314; BGH, Urteil vom 4.11.2002, II ZR 224/00, NZG 2003, 81; Fleischer, in: BeckOGK, 1.7.2022, AktG, § 93 AktG, Rn. 274-276 m.w.N.). Zwar fehlt im GmbHG eine entsprechende Regelung; jedoch werden § 93 Abs. 2 S. 2 AktG und § 34 Abs. 2 S. 2 GenG nach allgemeiner Ansicht im Rahmen von § 43 Abs. 2 GmbHG analog angewandt. Insoweit stellt sich die Darlegungs- und Beweislage bei Organhaftungsansprüchen der GmbH nicht anders dar als bei der Aktiengesellschaft oder bei der Genossenschaft (vgl. BGH, Beschluss vom 18.2.2008, II ZR 62/07 Rn. 5, NZG 2008, 314; BGH, Urteil vom 4.11.2002, II ZR 224/00, NZG 2003, 81; Ziemons, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbH-Gesetz, 3. Aufl. 2017, § 43 GmbHG, Rn. 471 ff.; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 336-338; Oetker, in: Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG, Rn. 61, 62, jeweils m.w.N.). Dies gilt auch für ausgeschiedene Geschäftsführer (vgl. Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 341 m.w.N. auch zur Rechtsprechung) (…)
Wer sich im Rahmen eines Schuldverhältnisses auf einen den Vorsatz ausschlieÃenden Rechtsirrtum beruft, trägt insoweit die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Beschluss vom 29.6.2010, XI ZR 308/09, NJW 2010, 2339; BGH, Beschluss vom 29.6.2010, XI ZR 308/09, NJW 2010, 2339; BGH, Urteil vom 12.5.2009, XI ZR 586/07, NJW 2009, 2298; Grundmann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 276 Rn. 158 ff.; Grüneberg, in: Grüneberg, 82. Aufl. 2023, § 276 Rn. 11). Das deckt sich mit den oben aufgeführten allgemeinen Grundsätzen im Rahmen von § 43 Abs. 2 GmbHG, wonach der Beklagte im Einzelfall nachzuweisen hat, dass er den erforderlichen SorgfaltsmaÃstab eingehalten hat oder dass ihm die Einhaltung des SorgfaltsmaÃstabs unverschuldet unmöglich war. Insoweit stellt sich die Darlegungs- und Beweislast in diesem Prozess zu Lasten des Beklagten anders dar, als bei dem Deckungsprozess des Beklagten gegen die Streithelferin vor dem Landgericht Frankfurt am Main.
Das Landgericht habe zutreffend entschieden, dass hinsichtlich des gegen die GmbH festgesetzten BuÃgeldes kein Regress gegen den Beklagten in Betracht komme. Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers und des Vorstandes, hier des Beklagten, für KartellbuÃen eines Unternehmens scheide aus. Andernfalls werde die kartellrechtliche Wertung unterlaufen, wonach â wie vorliegend â getrennte BuÃgelder gegen die handelnde Person und das Unternehmen selbst festgesetzt werden. Die kartellrechtlichen Vorschriften sähen jeweils getrennte BuÃgeldnormen für die handelnden Personen und das beteiligte Unternehmen, auch der Höhe nach, vor. Durch den Rückgriff auf den Geschäftsführer bestehe darüber hinaus die Gefahr, dass der Sanktionszweck eines UnternehmensbuÃgeldes gefährdet werde. So könnten Unternehmen sich durch den Rückgriff auf Geschäftsführer und Vorstände faktisch ihrer kartellrechtlichen BuÃgeldverantwortung entziehen. Dies gelte erst recht, wenn Vorstand und Geschäftsführer über eine sog. „D&O-Versicherung“ haftpflichtversichert seien und die Deckungssumme weit höher sei als das gegen das Unternehmen verhängte BuÃgeld.
Da die Aufklärungs- und Verteidigerkosten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem BuÃgeldverfahren gegen das Unternehmen vor dem Bundeskartellamt stünden, könnten diese Kosten ebenfalls nicht erstattet verlangt werden.
Es bleibe mithin eine Haftung des Geschäftsführers und Vorstandes für zivilrechtliche Ansprüche Dritter, die aufgrund des Kartells geschädigt worden seien. Die vom Beklagten geltend gemachte Verjährung greife nicht. Die mehreren Treffen bildeten im Rahmen einer einheitlichen Grundabsprache eine Bewertungseinheit, so dass die Verjährung der Ansprüche gegen das Leitungsorgan nicht nach jedem Treffen gesondert, sondern erst mit dem letzten Treffen beginne.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Bislang ist keine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser in der Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Frage der persönlichen Haftung von Vorstand und Geschäftsführern für GeldbuÃen eines Unternehmens ergangen.
Aktenzeichen: VI-6 U 1/22 (Kart); Quelle: Pressemitteilung des Gerichts
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