Allein der Umstand, dass eine Information ein Geschäftsgeheimnis darstellen könnte, reicht für sich genommen nicht aus, um eine wie auch immer geartete gerichtliche Schutzanordnung zu rechtfertigen, wie das Oberlandesgericht Düsseldorf, 2 U 102/22, betont.
Dazu auch im Blog: Keine Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach dem GeschGehG bei tituliertem Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch. Beachten Sie auch die dazu passende Entscheidung des LG Mannheim mit gleichem Ergebnis!
Gerichtliche Schutzanordnung
Dies ergibt sich für das OLG bereits daraus, dass das Gesetz an das Vorliegen eines möglichen Geschäftsgeheimnisses keine unausweichliche Pflicht des Gerichts zum Erlass einer das Geschäftsgeheimnis schützenden Anordnung knüpft, sondern deren Erlass – trotz Vorliegens eines (möglichen) Geschäftsgeheimnisses – in das Ermessen des Gerichts stellt. Über das vermutete Geschäftsgeheimnis hinaus bedarf es daher – so ausdrücklich das OLG – in jedem Einzelfall konkret zu benennender Umstände, die eine entsprechende Ermessensausübung des Gerichts rechtfertigen.
Dies gilt bereits für die grundlegenden Maßnahmen nach § 16 GeschGehG, die das Gericht nicht zwingend treffen muss, sondern nach seinem Ermessen anordnen kann, und erst recht für solche nach § 19 GeschGehG, die § 19 Abs. 1 Satz 2 GeschGehG ausdrücklich davon abhängig macht, dass „bei Abwägung aller Umstände das Geheimhaltungsinteresse das Recht der Beteiligten auf rechtliches Gehör auch unter Berücksichtigung ihres Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes und auf ein faires Verfahren überwiegt“. Damit liegt dem Gesetz aus Sicht des Gerichts eindeutig nicht das Prinzip eines unbedingten Geheimnisschutzes um jeden Preis zugrunde, sondern das Erfordernis einer gerechten Interessenabwägung, die auch die berechtigten Belange des durch die Schutzanordnung Verpflichteten berücksichtigt.
Geschäftsgeheimnisse?
Rund um Geschäftsgeheimnisse beraten und verteidigen wir: Unternehmen beim Schutz von Geheimnissen und Arbeitnehmer, wenn der Vorwurf erhoben wird, Daten entwendet zu haben.
Auswirkung einer Vertrauslichkeitsvereinbarung (NDA)
Dabei betont das OLG, dass es nicht für, sondern gegen eine (ggf. inhaltlich bestimmte) Schutzanordnung spricht, wenn die Geschäftsgeheimnisse bereits durch eine vorprozessuale Vertraulichkeitsvereinbarung geschützt sind, von der sich der Verpflichtete nicht einseitig lösen kann, von der er sich auch tatsächlich nicht gelöst hat und deren Sanktionen (Haftung bei Vertragsverletzung, Verwirkung einer Vertragsstrafe) eingreifen, wenn die geheimhaltungsbedürftigen Informationen – erstmals oder wiederholt vorprozessual – im Rechtsstreit vorgetragen werden.
Solange unter solchen Umständen einer Geheimhaltungsvereinbarung nicht konkret erkennbar ist, dass und warum der Sanktionsmechanismus der Geheimhaltungsvereinbarung nicht ausreichend und/oder nicht verlässlich genug sein soll, um den erforderlichen Geheimnisschutz auch unter den Bedingungen des anhängigen Rechtsstreits zu gewährleisten, wird es in der Regel an einem rechtfertigenden Grund für einen nochmaligen (doppelten) Schutz derselben Information durch eine gerichtliche Schutzanordnung fehlen. Ebenso setzt der Inhalt einer einvernehmlichen Geheimhaltungsvereinbarung dem Bedürfnis nach einer gerichtlichen Schutzanordnung abweichenden Inhalts Grenzen:
Wenn die Parteien außergerichtlich keine Beschränkung auf bestimmte Wissensträger des Geheimnisempfängers vorgesehen haben, obwohl dies im Rahmen der Vertragsfreiheit ohne weiteres möglich gewesen wäre, so wird es bei ansonsten unveränderter Sachlage näherer Erläuterung bedürfen, wieso es für das Gerichtsverfahren dennoch einer über das vorgerichtlich für ausreichend Erachtete hinausgehenden Geheimnisschutzanordnung nach § 19 GeschGehG bedarf. Gleiches gilt, wenn die Vertraulichkeitsabsprache den Kreis der Wissensträger in bestimmter Weise eingrenzt, für eine davon abweichende Schutzanordnung nach § 19 GeschGehG. Mindestens unter dem Gesichtspunkt eines fairen Verfahrens ist es einer Partei ohne rechtfertigenden Grund nicht zuzumuten, sich den unterschiedlichen Bedingungen zweier Geheimhaltungsvorgaben zu beugen, deren Befolgung im Zweifel einen besonderen administrativen Aufwand und ein doppeltes Haftungsrisiko begründet. Solange es daher keine nachvollziehbaren Gründe dafür gibt, es für das Gerichtsverfahren nicht bei den zum Geheimnisschutz einvernehmlich vereinbarten Bedingungen der Vertraulichkeitsabrede bewenden zu belassen, besteht kein Anlass, eine vom vorgerichtlich Vereinbarten abweichende personelle Beschränkung der Wissensträger anzuordnen.
Der Umstand, dass die vorgerichtliche Vertraulichkeitsvereinbarung den Wissensempfänger nur für einen gewissen Zeitraum zur Geheimhaltung verpflichtet und die geheime Information danach freistellt, führt gleichermaßen nicht dazu, dass eine inhaltsgleiche gerichtliche Schutzanordnung allein deswegen geboten ist und zu ergehen hätte, weil sie keiner zeitlichen Grenze unterliegt. Vielmehr verhält es sich auch hier genau andersherum: Wenn die Parteien es einvernehmlich für richtig gehalten haben, den Wissensempfänger nach einem gewissen zeitlichen Ablauf aus seiner Verschwiegenheitspflicht zu entlassen, so spricht dies dafür, das Verhaltensregime nicht durch eine gerichtliche Schutzanordnung (für die es wegen der geltenden Vertraulichkeitsabrede ansonsten keinen sachlichen Grund gibt) zu verschärfen.
Oberlandesgericht Düsseldorf, 2 U 102/22
Beschwerdeberechtigung
Zugleich wird klargestellt, dass auch die in der Hauptsache obsiegende Partei, die das Rechtsmittel in der Hauptsache nicht selbst einlegt, von der aber grundsätzlich die Zulässigkeit des Rechtsmittels gegen eine erlassene Schutzanordnung abhängt (§ 20 Abs. 5 Satz 3 GeschGehG), gegen eine Schutzanordnung vorgehen kann. Der Bundesgerichtshof hat hierzu bereits entschieden, dass der genannten Vorschrift keine Beschränkung der Beschwerdebefugnis auf bestimmte Personen, nämlich diejenigen, die das Hauptsacheverfahren führen, zu entnehmen ist, sondern dass, wenn ein Hauptsacheverfahren anhängig ist, jeder, der durch die erlassene Schutzanordnung beschwert ist, gegen diese vorgehen kann. Dies trifft auf die von der Anordnung betroffene Partei ohne weiteres zu, da sie als Folge der angeordneten Beschränkung der auf ihrer Seite zugelassenen Wissensträger verpflichtet ist, organisatorische Maßnahmen zur Sicherstellung der Vertraulichkeit zu treffen und ihr im Falle der Pflichtverletzung ganz erhebliche Ordnungsmittel drohen.
- Populäre Musik und politische Veranstaltungen: Rechte der Künstler und urheberrechtliche Grenzen - 1. Dezember 2024
- Herausforderungen bei der Entwicklung von KI-Systemen: Juristische Fallstricke für Softwareentwickler - 30. November 2024
- Keine Gerätevergütung für Cloud-Dienstleistungen - 29. November 2024