Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess

Der (I ZB 86/20) hat klargestellt, dass die Anordnung von Geheimhaltungsmaßnahmen (§ 16 Abs. 1, § 19 Abs. 1 GeschGehG) nur zusammen mit der Entscheidung in der Hauptsache anfechtbar ist (§ 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG).

Der Ausschluss der isolierten Anfechtbarkeit der Anordnung von Geheimhaltungsmaßnahmen (§ 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG) beschränkt auch nicht den Kreis der Anfechtungsberechtigten im Falle eines Rechtsmittels in der Hauptsache. Daher sind grundsätzlich auch die durch Anordnungen nach § 16 Abs. 1, § 19 Abs. 1 GeschGehG beschwerten Verfahrensbevollmächtigten hinsichtlich dieser Anordnungen anfechtungsberechtigt.

Aus der Entscheidung:

1. Die Anfechtbarkeit von Beschlüssen nach § 16 Abs. 1 und § 19 Abs. 1GeschGehG ist in § 20 Abs. 5 Satz 4 und 5 GeschGehG geregelt. Nach § 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG können die Einstufung von Informationen als geheimhaltungsbedürftig nach § 16 Abs. 1 GeschGehG und die Anordnung der Beschränkung des Zugangs zu Dokumenten, zur Verhandlung oder zu der Aufzeichnung oder dem Protokoll der Verhandlung nach § 19 Abs. 1 GeschGehG nur gemeinsam mit dem Rechtsmittel in der Hauptsache angefochten werden. Gemäß § 20 Abs. 5 Satz 5 GeschGehG findet im Übrigen die sofortige Beschwerde statt.

2. Grundsätzlich sind auch Prozessbevollmächtigte rechtsmittelbefugt. Aus der Vorschrift des § 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG folgt nicht, dass nur die Parteien gegen einen Beschluss nach § 16 GeschGehG Rechtsmittel einlegen können.

a) Dem Wortlaut dieser Vorschrift lässt sich keine Einschränkung im Hinblick auf den Kreis der rechtsmittelberechtigten Personen entnehmen. Mangels Eingrenzung stehen Rechtsmittel daher all denjenigen Beteiligten zu, die durch den angegriffenen Beschluss beschwert werden.

Neben den Parteien sind dies auch die Beschwerdeführer, da auch sie durch den angegriffenen Beschluss zur Geheimhaltung verpflichtet und ihnen für den Fall der Zuwiderhandlung Ordnungsmittel angedroht werden. Den Beschwerdeführern ist es daher nicht nur verboten, das weiterzugeben oder zu nutzen, sondern sie müssen auch aktiv organisatorische Vorkehrungen zur sicheren Verwahrung von Dokumenten treffen, aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ergibt (BeckOK.GeschGehG/Fuhlrott/Hiéramente, 8. Edition [Stand 15. März 2021], § 16 Rn. 39a; Büscher/McGuire, UWG, 2. Aufl., § 16 GeschGehG Rn. 25; Kalbfus in Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus,GeschGehG, 1. Aufl., § 16 Rn. 43).

Insoweit ist die Situation vergleichbar mit der Regelung des § 174 Abs. 3 GVG. Auch diese Vorschrift sieht die Anordnung der Geheimhaltung vor. Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass gegen eine Anordnung nach § 174 Abs. 3 GVG nicht nur den Parteien, sondern auch den Prozessbevollmächtigten Rechtsmittel zustehen (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 – IV ZB 4/20,NJW-RR 2020, 1389; Beschluss vom 23. Juni 2021 – IV ZB 23/20, VersR 2021, 1120 Rn. 8; OLG Köln, Beschluss vom 9. Januar 2019 – 9 W 29/18, juris Rn. 6; OLG Koblenz, Beschluss vom 9. Oktober 2019 – 10 W 318/19, juris Rn. 12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Dezember 2019 – 12 W 54/19, juris Rn. 14; OLG Karlsruhe, VersR 2020, 1439, 1440 [juris Rn. 15]; KG, Beschluss vom10. November 2020 – 6 W 1029/20, juris Rn. 8; OLG Dresden, Beschluss vom 3. Februar 2021 – 4 W 935/20, juris Rn. 6).

b) Dem steht nicht entgegen, dass nach § 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG ein stattgebender Beschluss nach § 16 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 GeschGehG nur zusammen mit dem Rechtsmittel in der Hauptsache angefochten werden kann (aA Kalbfus in Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus aaO § 20 Rn. 41).

Zwar stehen nicht allen von einem Beschluss nach § 16 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 GeschGehG Betroffenen Rechtsmittel in der Hauptsache zu. Insbesondere die Beschwerdeführer als (ehemalige) Prozessbevollmächtigte können Rechtsmittel in der Hauptsache nicht aus eigenem Recht einlegen. Angesichts des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit ist diese Vorschrift aber nicht geeignet, den Kreis der anfechtungsberechtigten Personen einzugrenzen.

3. Das Rechtsmittel ist jedoch gemäß § 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG unstatthaft, weil ein Rechtsmittel in der Hauptsache (noch) nicht eingelegt worden ist.

a) Wie sich der Gesetzesbegründung entnehmen lässt, dient die gespaltene Anfechtbarkeit einem an Sinn und Zweck der materiellen Regelungen orientierten Rechtsweg. Wird die Geheimhaltung angeordnet, soll diese Anordnung erst mit einem etwaigen Rechtsmittel in der Hauptsache überprüft werden. Da der Schutz des Geheimnisses gewährleistet sei, könne die Beeinträchtigung des Beklagten insofern hingenommen werden. Lehne das erstinstanzliche Gericht hingegen Maßnahmen nach § 16 GeschGehG ab, gerate das Geschäftsgeheimnis in Gefahr und solle die ablehnende Entscheidung zunächst durch sofortige Beschwerde überprüft werden können (Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der [EU] 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, BT-Drucks. 19/4724, S. 38).

Auch wenn die Gesetzesbegründung lediglich auf die Beeinträchtigung des Beklagten abstellt und die Beeinträchtigung weiterer Beteiligter nicht erwähnt, ist ihr zu entnehmen, dass die Überprüfung eines stattgebenden Beschlusses bis zu einer Entscheidung über das Rechtsmittel in der Hauptsache aufgeschoben werden soll. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass mit einem stattgebenden Beschluss das Geschäftsgeheimnis zunächst gesichert ist und die Beeinträchtigung der anderen Partei und der sonstigen Beteiligten nicht so schwer wiegt, dass eine Anfechtung bis zu einer Entscheidung über das Rechtsmittel in der Hauptsache nicht zurückgestellt werden könnte (vgl. Kalbfus in Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus aaO § 20 Rn. 40). Andernfalls müsste eine weitere Instanz sich bereits vor Entscheidung in der Hauptsache in die Prozessakten einarbeiten, was mit einem erheblichen Aufwand verbunden sein kann (vgl.BT-Drucks. 19/4724, S. 50). Dies könnte zu einer beträchtlichen Verzögerung des Rechtsstreits führen (vgl. Kalbfus in Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus aaO § 20 Rn. 40).

Wird hingegen eine entsprechende Anordnung abgelehnt, gerät das Geschäftsgeheimnis in Gefahr (BT-Drucks. 19/4724, S. 38). Eine vor der Entscheidung über das Rechtsmittel in der Hauptsache erfolgte unzulässige Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses könnte nicht mehr rückgängig gemacht werden.

b) Wollte man eine Anfechtung durch sonstige Beteiligte wie Prozessbevollmächtigte schon vor Einlegung eines Rechtsmittels in der Hauptsache zulassen, stünden diese besser als die Parteien, obwohl Parteien regelmäßig Wettbewerber sind und daher von der Anordnung der Geheimhaltung stärker beschwert werden als die sonstigen Beteiligten, insbesondere die Prozessbevollmächtigten (vgl. Kalbfus, WRP 2019, 692, 697).

c) Wie dies zu bewerten ist, sollte ein Rechtsmittel in der Hauptsache nicht eingelegt werden und auch nicht mehr eingelegt werden können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

4. Darüber hinaus ist das Rechtsmittel auch deswegen unstatthaft, weil eine sofortige Beschwerde an den Bundesgerichtshof nicht stattfindet (§ 567 Abs. 1 ZPO) und eine Rechtsbeschwerde mangels ausdrücklicher Bestimmung im Gesetz der Zulassung durch das Berufungsgericht bedürfte (§ 574 Abs. 1 ZPO), an der es hier fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 2021 – I ZB 8/21, juris Rn. 5 mwN). Dem entspricht es, dass auch gegen ablehnende Entscheidungen nach § 16 und § 19 GeschGehG Rechtsmittel nur gegen die Entscheidungen im ersten Rechtszug statthaft sind (BT-Drucks. 19/4724, S. 38).

Eine Verletzung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs oder des Art. 47 EU-Grundrechtecharta folgt daraus nicht. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, folgende allgemeine Justizgewährungsanspruch garantiert das Offenstehen des Rechtswegs, also die Öffnung des Zugangs zum Gericht. Insofern reicht es grundsätzlich aus, dass die Rechtsordnung eine einmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung eröffnet. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können. Ein Instanzenzug ist von Verfassungs wegen nicht garantiert (BVerfGE 107, 395, 401 f. [juris Rn. 17 f.]). Der im Falle einer Verletzung des rechtlichen Gehörs zu gewährleistende Zugang zu einer richterlichen Überprüfung der Anordnung von Geheimhaltungsmaßnahmen nach § 16 GeschGehG und weiteren Beschränkungen nach § 19 GeschGehG ist durch die gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 GeschGehG dem Gericht der Hauptsache eingeräumte Möglichkeit eröffnet, Beschlüsse nach § 16 und § 19 GeschGehG jederzeit auch ohne entsprechenden Antrag aufzuheben oder abzuändern (Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 20 GeschGehG Rn. 12; Büscher/McGuire aaO § 20 GeschGehG Rn. 6; Kalbfus in Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus aaO § 20 Rn. 16). Art. 47 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta gewährt ebenfalls das Recht auf Zugang zu einem Gericht, nicht aber auf mehrere Gerichtsinstanzen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – C-169/14, DVBl 2014, 1457 Rn. 36 – Sánchez Morcillo und Abril García; Urteil vom 11. März 2015 – C-464/13 und C-465/13, NZA 2015, 567 Rn. 73 – Oberto und O‘ Leary).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft. Ich bin Softwareentwickler, in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht + Kunst & Medien - ergänzt um Arbeitsrecht.