Das Landgericht Düsseldorf (12 O 55/22) hat entschieden, dass in einem Fall unerlaubt geteilter Pornovideos über eine Pornoplattform ein zumindest spürbarer Schadensersatz zu leisten ist.
Sachverhalt
Das Gericht stellte folgenden Sachverhalt fest: Ende 2020 lernte die Klägerin den Beklagten über die mobile Dating-App „Tinder“ kennen. Dieser gab sich ihr gegenüber unter falschem Namen aus. Fortan tauschten die Parteien täglich elektronische Nachrichten (über „Tinder“ oder „WhatsApp“) aus, telefonierten miteinander oder kommunizierten per Videotelefonie. Dem Beklagten gelang es, das Vertrauen der Klägerin zu gewinnen. Er schickte nicht nur eigene Fotos und Videos von sich, sondern hinterließ der Klägerin auch einen Blumenstrauß und Pralinen an ihrer Wohnanschrift mit dem Begleittext: „Du!!! Liebe Dich … für immer …“.
Mit zunehmendem Vertrauen wurde die Korrespondenz zwischen den Parteien auch intimer. Dabei bestand der Beklagte zunehmend darauf, dass die Klägerin ihm Videos von sich schickte. So kam es, dass sich die Parteien gegenseitig intime Videos schickten, die – wie den Parteien bewusst war – nicht zur Weitergabe oder Offenlegung an Dritte bestimmt waren. Im Laufe mehrerer Wochen produzierte die Klägerin mit ihrem Smartphone 15 Videos, die speziell und ausschließlich für den Beklagten bestimmt waren. Diese zeigen sie selbst bei verschiedenen sexuellen Handlungen (z.B. Masturbationsszenen).
Völlig unerwartet und ohne für sie erkennbaren Grund brach der Beklagte den Kontakt zur Klägerin abrupt ab und sperrte ihre Telefonnummer bei „WhatsApp“. Am selben Tag gab die Klägerin aufgrund eines unguten Gefühls im Zusammenhang mit der Bemerkung des Beklagten über ein ihr noch „fehlendes Sextape“ ihren Namen bei der Internetsuchmaschine „Google“ ein und entdeckte unter der Rubrik „Videos“ insgesamt drei URLs des Pornovideoportals (…).
Das dort für jedermann kostenlos abrufbare und abspielbare intime Video war wie die anderen 14 Videos nur für den Beklagten bestimmt und ausschließlich an ihn versandt worden. Der Vor- und Nachname der Klägerin war in die jeweilige URL eingebettet und auch in der Bezeichnung des Videos genannt. Das Video, für das auf dem Pornovideoportal (…) mehrere länderspezifische URLs existierten, war bei der letzten von der Klägerin veranlassten Sicherung mittels Screenshots noch knapp ein Jahr nach dem Upload des Videos abrufbar. Zu diesem Zeitpunkt war das Video bereits 9.387 Mal aufgerufen und viermal mit „Daumen hoch“ und sechsmal mit „Daumen runter“ bewertet worden.
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Entscheidung des Gerichts
Das Gericht stellte fest, dass der Klägerin wegen der schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzung eine Geldentschädigung in Höhe von 120.000,00 € gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG bzw. § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB.
Die Schwere der Persönlichkeitsverletzung im Streitfall rechtfertigte nach Auffassung des Gerichts die Zahlung einer Geldentschädigung, die sich nach der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, nach Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie nach dem Grad seines Verschuldens richte. Der bloß in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch kann aus Sicht des Gerichts (zu Recht!) die bereits eingetretene massive Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin nicht kompensieren, da eine unüberschaubare Anzahl von Personen – nicht nur aus dem persönlichen Umfeld der Klägerin (Bekannte und Freunde), sondern auch solche, denen die Klägerin aufgrund ihrer beruflichen Erfolge bekannt ist – unwiderrufliche Einblicke in ihr intimes Sexualleben erhalten haben, was allgemein als peinlich und kompromittierend empfunden wird und einer Kompensation bedarf:
Erfolgt der Eingriff in die absolut geschützte Intimsphäre – wie hier – durch die Veröffentlichung von Nacktvideos und/oder Sexvideos, sprechen die Gerichte den Geschädigten üblicherweise eine Geldentschädigung von mehreren Tausenden von Euro je Veröffentlichungshandlung zu.
Die Höhe der Entschädigung hängt dabei von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Abzustellen ist insoweit insbesondere darauf, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck die Bilder bzw. Videos gefertigt wurden, wie der Schädiger an die Bilder bzw. Videos gelangt ist, was auf diesen genau zu erkennen ist, ob die betreffende Person darauf zu erkennen ist bzw. ob Hinweise auf deren Identität gegeben sind, wer von den Bildern bzw. Videos Kenntnis erlangt hat, welche Folgen privater, beruflicher und/oder finanzieller Art die Bekanntgabe der Fotos hatten und aus welchen Motiven heraus (z.B. aus Rache nach einer beendeten Liebesbeziehung) die Veröffentlichung im Internet erfolgte
(vgl. LG Düsseldorf Urt. v. 16.11.2011, 12 O 438/11: 5.000,00 EUR für ein Nacktfoto eines Nacktmodells bei einer Malaktion; LG Kiel, Urt. v. 27.04.2006, Az. 4 O 251/05, NJW 2007, 1002: 25.000,00 EUR für drei Nacktfotos im Internet, die die Geschädigte zum Teil vollständig nackt zeigten, wobei zudem deren vollständiger Name und ihre Anschrift genannt wurde; LG Berlin, Urt. v. 07.10.2014, Az. 27 O 166/14: 15.000,00 EUR für die Veröffentlichung eines Privatpornos im Internet; AG Neukölln, Urt. v. 25.03.2021, Az. 8 C 212/20: 3.000,00 EUR für die Versendung eines Fotos und eines kürzeren Sexvideos über einen Messenger-Dienst an eine Verwandte der betroffenen Person nach dem Ende der Liebesbeziehung; OLG Hamm, Urt. v. 20.02.2017, Az.: 3 U 138/15, NJW-RR 2017, 1124: 7.000,00 EUR für ein Foto einer 16-Jährigen, das diese beim Oralverkehr zeigt und OLG Hamm, Urt. v. 03.03.1997, Az. 3 U 132/96, NJW-RR 1997, 1044: 20.000 DM für ungenehmigte Veröffentlichung von Aktfotos auf dem Titelblatt einer Zeitschrift; vgl. hierzu auch die Übersicht bei Krumm, FamRB 2019, 124, 127).
Bei der Bemessung der Höhe der Geldentschädigung hat das Gericht nach eigenen Angaben auch berücksichtigt, dass der Beklagte als Immobilienmakler für exklusive und hochpreisige Immobilien tätig ist. Bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB können nach höchstrichterlicher Rechtsprechung alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, wobei die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten nicht von vornherein ausgeschlossen werden dürfen.
Anmerkung: Man muss sich genau vor Augen führen, was der Beschwerdeführerin angetan wurde: Die fraglichen Videos waren laut Urteil bis zu ihrer Löschung auf insgesamt drei einschlägigen, frei zugänglichen Pornoseiten im Internet weltweit abrufbar, einmal mindestens vier Monate lang und auf einer anderen Plattform fast ein Jahr lang. Insgesamt stellte der Beklagte 15 Videos selbst ein. Darüber hinaus waren 14 der Videos im Juni 2021 auch über einen anderen Link abrufbar. In allen Videos ist die Klägerin erkennbar, da ihr Gesicht nach Auffassung des Gerichts in der Regel über einen längeren Zeitraum zu sehen ist. Zudem ist in mehreren Videos ihre Stimme zu hören. Zu beachten ist auch, dass der Name vollständig verwendet wurde und teilweise über Google Videos auffindbar war.
Es handelt sich also um eine massive Verletzung nicht nur der Intimsphäre, sondern auch des Vertrauens in eine andere Person. Ein unbefangenes Leben in der Öffentlichkeit scheint heute kaum mehr vorstellbar, von einem unbefangenen Sexualleben ganz zu schweigen. Dass überhaupt ein nennenswerter Betrag gezahlt wurde, ist, wie das Gericht ausführt, allein den Vermögensverhältnissen des Täters geschuldet (wobei man sich fragen darf, ob das hier am Ende nur ein Jahreseinkommen für ihn ist) – ob ein solcher Betrag letztlich ernsthaft geeignet ist, diesen massiven seelischen Verletzungen Rechnung zu tragen, darf ernsthaft bezweifelt werden. Es wäre zu begrüßen, wenn die deutsche Rechtsprechung in solchen Fällen endlich realistischere Beträge aussprechen würde.
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