Strafverfahren wegen Verlinkung zu Webseite verbotener Vereinigung

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat am 13.06.23 auf eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft Karlsruhe das Hauptverfahren gegen einen Redakteur eines Rundfunksenders vor der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe eröffnet und die der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 20.04.2023 wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot gemäß § 85 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 2 Strafgesetzbuch zur zugelassen.

Den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 16.05.2023, in dem die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden war, hat der Senat aufgehoben.

Hinweis: Ich nehme hier die Pressemitteilung des Gerichts zur Dokumentation auf. Rechtlich war die Nichteröffnung zwar ein guter Erfolg, aber durchaus überraschend, da der weite Begriff der Werbung für eine verbotene Vereinigung und die im Strafprozess weit gehende Würdigung dem Gericht gerade ermöglichen, auch eine Würdigung vorzunehmen, die überraschend ist.

Dabei geht es vorliegend alleine um den hinreichenden Tatverdacht im Gesamtbild der Würdigung der Aussage. Die strafrechtliche Würdigung des Verhaltens muss dabei nicht zwingend mit der presserechtlichen Würdigung einer einzelnen Aussage/Handlung übereinstimmen – und die Frage der Verlinkung ist nach bisherigem Eindruck wohl nur ein Randaspekt. Es geht also mitnichten um die „Strafbarkeit eines Links“ sondern um die zu würdigende Frage, wie dieser Link im Rahmen einer Gesamthandlung zu verstehen ist. Es ist zu erwarten, dass hier viel Verteidigungspotenzial besteht – aber man sollte nicht den Fehler machen, dies wie einen Presseprozess zu führen oder als Außenstehender so zu verstehen.

Anklagevorwurf und bisheriger Verfahrensgang

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe legt dem Angeklagten zur Last, die weitere Betätigung der unanfechtbar verbotenen Vereinigung „linksunten.indymedia“ unterstützt zu haben, indem er seinen auf der Website eines Radiosenders veröffentlichten Bericht mit der als Archivseite abrufbaren Internetseite der verbotenen Vereinigung verlinkt habe, auf der auch um Spenden für die Finanzierung des Internetportals gebeten werde.

Die zuständige Kammer des Landgerichts Karlsruhe hat die Eröffnung des Hauptverfahrens mit Be-schluss vom 16.05.2023 abgelehnt. Das für eine Strafbarkeit nötige Fortbestehen der verbotenen Vereinigung „linksunten.indymedia“ könne nicht festgestellt werden. Auch sei die Tat nicht von einer für ein Unterstützen des organisatorischen Zusammenhalts oder der weiteren Betätigung der Verei-nigung strafrechtlichen Relevanz.

Entscheidung des Senats

Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 23.05.2023 hat das Oberlandesgericht Stuttgart mit Beschluss vom heutigen Tag die Nichteröffnungsentscheidung aufgehoben, das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 20.04.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen.

Voraussetzung für die Eröffnung des Hauptverfahrens sei gemäß § 203 Strafprozessordnung, dass nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig sei. Dafür bedarf es – anders als für eine Verurteilung – noch keiner Überzeugung des Gerichts von der Schuld. Wegen der besseren Aufklärungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung reiche es vielmehr aus, wenn entweder die Verurteilung mit den zur Verfügung stehenden Beweis-mitteln überwiegend wahrscheinlich erscheine oder ein Zweifelsfall vorliege, zu dessen Klärung die besonderen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung notwendig seien. Diffizile Beweiswürdigungsfra-gen dürften nicht im Zuge der nicht-öffentlichen und nicht-unmittelbaren vorläufigen Tatbewertung des für die Eröffnungsentscheidung zuständigen Gerichts endgültig entschieden werden.

Nach diesem Maßstab sei der Angeklagte des Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot hinreichend verdächtig und die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zur Hauptverhandlung zuzulassen.

Dass die unanfechtbar verbotene Vereinigung „linksunten.indymedia“ noch existiere und ihren Willen, die verbotene Internetpräsenz fortzuführen, nicht aufgegeben habe, sei überwiegend wahrscheinlich. So sei die verbotene Website niemals gelöscht oder endgültig nicht mehr betrieben worden. Vielmehr sei diese – nach zeitweiser – nun wieder online. Auch noch mehr als zwei Jahre nach der Verbotsverfügung sei dazu eine verbotene Betätigung des Vereins erkennbar, indem das Archiv der verbotenen Website mit umfangreichen Informationen zur Vereinstätigkeit und Möglichkeiten zu einer finanziellen Unterstützung hochgeladen worden sei.

Es bestehe der hinreichende Tatverdacht, dass der Angeklagte mit dem in seinem Artikel bei verständiger Würdigung zu sehenden Werbeappell für die Tätigkeit der verbotenen Vereinigung die weitere Betätigung der Vereinigung willentlich unterstützt habe. Das Handeln des Angeklagten sei geeignet, der Vereinigung die angestrebte Wirkung ihrer Internetpräsenz zu ermöglichen. Zweifel, dass der Angeklagte diesen offensichtlichen Umstand nicht erkannt habe, lägen fern.

Der Bericht des Angeklagten sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht von der gedeckt (Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 ). Zwar dürfe der Angeklagte diese für seinen Artikel grundsätzlich in Anspruch nehmen. Die Pressefreiheit finde ihre Schranken aber in den allgemeinen Gesetzen. Damit unterliege die Berichterstattung des Angeklagten auch dem Geltungsbereich des § 85 Strafgesetzbuches, der den demokratischen Rechtsstaat vor Angriffen gegen die verfassungs-mäßige Ordnung schütze. Wie weit die Beschränkung gehe, in welchem Verhältnis Pressefreiheit und etwa das Strafgesetz also stehen, sei im jeweiligen konkreten Konfliktfall abwägend zu lösen.

Danach sei es vorliegend überwiegend wahrscheinlich, dass der Artikel des Angeklagten als Verbrei-tung des Gedankenguts der Vereinigung anzusehen sei und nicht nur als straflose
(Sympathie-)Werbung. Denn im Vordergrund des Artikels stehe der Werbeeffekt für die Vereinigung und die Hinleitung auf deren Internetseite, so dass der Artikel geradezu als „Verlängerung“ der Inter-netseite erscheine. Mit diesem Appellcharakter unterscheide sich der Artikel des Angeklagten grund-legend von anderen Berichten, die ebenfalls einen Link auf das Archiv enthielten, dazu aber sachlich über das Gesamtgeschehen und die Standpunkte der Kritiker der Verbotsverfügung informierten.

Weitere Informationen zu dem Verfahren

Die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe hat nun nach Durchführung einer Hauptverhandlung über den Anklagevorwurf zu entscheiden. Gegen ein Urteil des Landgerichts Karlsruhe steht das Rechtsmittel der Revision zum offen.

Quelle: Pressemitteilung des Gerichts, zugehörige Aktenzeichen:

  • 2 Ws 2/23 – Oberlandesgericht Stuttgart
  • 31 Ws 257/23 Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart
  • 5 KLs 540 Js 44796/22 Landgericht Karlsruhe
  • 540 Js 44796/22 Staatsanwaltschaft Karlsruhe
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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