Der EUGH konnte klarstellen, dass die Beweislast in einem Prozess zu einer Urheberrechtsverletzung dazu zwingt, auch innerhalb der Familie das Nutzungsverhalten der Familienmitglieder offen zu legen. Jedenfalls ich verstehe die aktuelle Entscheidung des EUGH (C‑149/17) dahingehend, wenn dort ausdrücklich klar gestellt wurde, dass das Unionsrecht
einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren streitigen in der Auslegung durch das zuständige nationale Gericht entgegensteh[t], wonach der Inhaber eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, nicht haftbar gemacht werden kann, wenn er mindestens ein Familienmitglied benennt, dem der Zugriff auf diesen Anschluss möglich war, ohne nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Nutzung des Anschlusses durch dieses Familienmitglied mitzuteilen.
Man muss dabei aus meiner Sicht aufpassen: Im deutschen Recht steht gerade nicht geschrieben, dass eine Haftung ausgeschlossen ist, „wenn ein Familienmitglied benannt wird“. Ich sehe es wie die Europäische Kommission, das hier nämlich durch einen „Formulierungs-Trick“ Fragen dem EUGH vorgelegt werden, welche die Vereinbarkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit dem Unionsrecht betreffen obwohl es darum vorliegend nicht (zwingend) geht. Der EUGH hat es gleichwohl entschieden und zumindest für Klarheit gesorgt.
Ich finde am deutlichsten ist Rz. 51, wo man etwas verständlicher nachlesen kann:
Bewirkt die nationale Regelung in der Auslegung durch die zuständigen nationalen Gerichte in Sachverhalten wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, dass das mit einer Haftungsklage befasste nationale Gericht daran gehindert wird, auf Antrag des Klägers die Vorlage und Erlangung von Beweismitteln, die Familienmitglieder der gegnerischen Partei betreffen, zu verlangen, werden jedoch die Feststellung der behaupteten Urheberrechtsverletzung und die Identifizierung ihres Täters unmöglich gemacht, was zur Folge hat, dass es zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der dem Inhaber des Urheberrechts zustehenden Grundrechte auf einen wirksamen Rechtsbehelf und des geistigen Eigentums kommt und infolgedessen dem Erfordernis, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Grundrechten zu gewährleisten, nicht genügt wird (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2015, Coty Germany, C‑580/13, EU:C:2015:485, Rn. 41).
Das hat nichts damit zu tun, dass Familienmitgliedern untereinander ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht – wer ein Familienmitglied benennt muss damit rechnen, dass es sich vor den Richter setzt und rein gar nichts zu dem Sachverhalt sagt, dies ist u.a. in §383 ZPO normiert.
Doch es gibt einen Unterschied zwischen dem Zeugnisverweigerungsrecht im Zivilprozess und dem im Strafprozess (§52 StPO): Während das Gericht zu Lasten des Angeklagten im Strafprozess in ein Schweigen nichts hineindeuten darf (auch nicht bei Zeugen), gibt es diese Regel im Zivilprozess nicht. Und manche Kammern wie die des LG Köln verlangen seit je her recht dezidiert, dass zu dem Nutzungsverhalten der Familienmitgliedern vorgetragen wird. Das bedeutet, der beklagte Anschlussinhaber muss zum Nutzungsverhalten vortragen, der Zeuge wird dazu angehört und am Ende erfolgt die Beweiswürdigung. Das handhabt nicht jedes Landgericht so, der EUGH sagt nun deutlich, dass „nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Nutzung des Anschlusses durch dieses Familienmitglied mitzuteilen“ sind. Wer also als Anschlussinhaber nur sagt, dass Familienmitglieder A,B und C Zugriff hatten, ohne etwas dazu zu sagen, was sie eigentlich gemacht haben und in welchem Umfang sie den Anschluss genutzt haben, der hat schlechte Karten. Dazu muss man nicht gleich das Familienmitglied „ans Messer“ liefern, aber zB der Vortrag dazu, ob man nur Online-Banking nutzt, nur bestimmte Endgeräte wie Tablets nutzt oder Online-Spiele nutzt wird notwendig sein. Auch um den weiteren Vortrag zum zeitlichen Nutzungsverhalten zu substantiieren.
Im Ergebnis sagt der EUGH hier, dass ein Schutz von Urheberrechten gewährleistet sein muss und die Familie hier keinen absoluten Schutz geniesst. Das Motto mag wohl lauten: Wenn man den wahren Täter nicht zu greifen bekommt muss halt der Anschlussinhaber haften.
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