Steuerstrafrecht

Das Steuerstrafrecht ist ein komplexer Bereich des deutschen Rechts, der sich mit der strafrechtlichen Ahndung von Verstößen gegen steuerrechtliche Pflichten befasst. Es bildet die Schnittstelle zwischen Steuerrecht und Strafrecht und ist vor allem in der Abgabenordnung (AO) geregelt, insbesondere in den §§ 369 ff. AO.

Das zentrale Delikt des Steuerstrafrechts ist die Steuerhinterziehung, die in § 370 AO definiert ist. Im Folgenden gebe ich einen verständlichen Überblick über die Grundzüge des Steuerstrafrechts.

1. Grundlagen des Steuerstrafrechts

Das Steuerstrafrecht umfasst alle Straftaten, die im Zusammenhang mit steuerlichen Pflichten stehen. Die zentrale Norm ist § 370 AO, der die Steuerhinterziehung regelt. Steuerstraftaten sind nach § 369 Abs. 1 AO „Taten, die nach dem Steuergesetz strafbar sind“. Das bedeutet, dass Steuerstraftaten nur dann vorliegen, wenn sie ausdrücklich im Steuerrecht als strafbar gekennzeichnet sind.

Ein grundlegender Aspekt des Steuerstrafrechts ist, dass die allgemeinen Regeln des Strafrechts und Strafprozessrechts, wie sie im Strafgesetzbuch (StGB) und der Strafprozessordnung (StPO) niedergelegt sind, grundsätzlich auch im Steuerstrafrecht gelten. Nur wenn die Abgabenordnung spezielle Regelungen trifft, gelten diese vor den allgemeinen Bestimmungen.

2. Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO

Das Kernstück des Steuerstrafrechts ist die Steuerhinterziehung. Diese liegt vor, wenn jemand den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, die zu einer Verkürzung der Steuer führen oder ungerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Steuer tatsächlich nicht gezahlt wird; entscheidend ist bereits die unrichtige Festsetzung.

2.1. Tathandlungen und Täterkreis

Die Steuerhinterziehung kann durch jedermann begangen werden (Allgemeindelikt). Das bedeutet, dass nicht nur der Steuerpflichtige selbst, sondern auch Dritte, wie Steuerberater oder Mitarbeiter, die sich an der Tat beteiligen, als Täter in Betracht kommen können.

Die Vorschrift unterscheidet zwischen zwei Hauptformen:

  • Aktive Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Ziff. 1 AO): Hierunter fällt das aktive Tun, wie das Einreichen falscher Steuererklärungen.
  • Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Ziff. 2 AO): Hierunter fällt das pflichtwidrige Unterlassen von Angaben, wenn eine Erklärungspflicht besteht.

2.2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

Steuerhinterziehung kann nur vorsätzlich begangen werden. Der Täter muss die steuerlichen Pflichten kennen und willentlich oder zumindest billigend in Kauf nehmen, dass er gegen diese Pflichten verstößt. Dabei reicht es aus, wenn der Täter die Möglichkeit einer Steuerverkürzung erkennt und diese akzeptiert.

3. Versuch und Vollendung der Steuerhinterziehung

Auch der Versuch der Steuerhinterziehung ist strafbar. Der Versuch beginnt, sobald der Täter unmittelbar zur Tat ansetzt, beispielsweise durch das Einreichen einer falschen Steuererklärung. Die Tat ist vollendet, sobald die unrichtige Steuerfestsetzung erfolgt ist oder die Finanzbehörde die Steuererklärung ohne Kenntnis der wahren Umstände akzeptiert hat.

4. Strafzumessung

Die Strafzumessung bei Steuerhinterziehung richtet sich nach dem Umfang des hinterzogenen Steuerbetrags. Der Bundesgerichtshof hat Richtlinien entwickelt, wonach bei einem Hinterziehungsbetrag von mehr als 100.000 Euro in der Regel keine Geldstrafe mehr, sondern eine Freiheitsstrafe verhängt wird. Bei Beträgen über 1 Million Euro wird eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung als Regelfall angesehen, es sei denn, es liegen besondere Milderungsgründe vor, wie etwa eine umfassende Rückzahlung der hinterzogenen Steuern.

5. Verjährung

Die Verjährung der Steuerhinterziehung beträgt in der Regel fünf Jahre, kann aber bei besonders schweren Fällen auf zehn Jahre verlängert werden. Es gibt jedoch auch absolute Verjährungsfristen, die bis zu 25 Jahre betragen können. Diese langen Verjährungsfristen sollen sicherstellen, dass auch komplexe Fälle von Steuerhinterziehung, die erst spät entdeckt werden, noch strafrechtlich verfolgt werden können.

6. Leichtfertige Steuerverkürzung

Neben der vorsätzlichen Steuerhinterziehung gibt es auch die leichtfertige Steuerverkürzung, die in § 378 AO geregelt ist. Hierbei handelt es sich nicht um eine Straftat, sondern um eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld geahndet wird. Leichtfertigkeit liegt vor, wenn der Täter grob fahrlässig handelt, also die Sorgfaltspflicht in besonderem Maße vernachlässigt.

7. Selbstanzeige

Eine Möglichkeit, sich vor einer Strafverfolgung zu schützen, bietet die Selbstanzeige nach § 371 AO. Diese führt zur Straffreiheit, wenn sie vollständig und rechtzeitig erfolgt. Wichtig ist, dass die Selbstanzeige alle bisher nicht erklärten steuerlich relevanten Sachverhalte umfasst und der Steuerpflichtige die hinterzogenen Steuern nachzahlt. Die Selbstanzeige ist jedoch ausgeschlossen, wenn bereits ein Strafverfahren eingeleitet wurde oder wenn der Täter zur Tatzeit über die bevorstehende Prüfung informiert war.


Schätzung im Steuerstrafrecht

Ein weiterer wichtiger Aspekt im Steuerstrafrecht ist die Möglichkeit der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen. Schätzungen spielen insbesondere dann eine Rolle, wenn konkrete Beweise für die tatsächlichen steuerpflichtigen Einkünfte oder Umsätze fehlen, etwa weil der Steuerpflichtige keine oder unvollständige Unterlagen vorgelegt hat. Die Schätzung ist sowohl im Besteuerungsverfahren als auch im Steuerstrafverfahren zulässig und wird durch § 162 AO geregelt.

Schätzungsmethoden und ihre Anwendung

Die Finanzbehörden haben verschiedene Methoden entwickelt, um Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Diese Methoden kommen zum Einsatz, wenn die tatsächlichen Einkünfte des Steuerpflichtigen nicht genau ermittelt werden können. Zu den gebräuchlichsten Schätzungsmethoden gehören:

  1. Vermögenszuwachsrechnung:
    Bei dieser Methode wird der Zuwachs des Vermögens in einem bestimmten Zeitraum mit den offiziell erklärten Einkünften verglichen. Wenn der Vermögenszuwachs nicht durch die erklärten Einkünfte erklärbar ist, deutet dies auf zusätzliche, nicht versteuerte Einkünfte hin.
  2. Nachkalkulation:
    Diese Methode wird häufig bei Gewerbebetrieben angewendet. Hierbei wird der Wareneinsatz mit den erzielten Umsätzen verglichen. Wenn sich aus der Nachkalkulation höhere Umsätze ergeben als die erklärten, kann dies darauf hindeuten, dass ein Teil der Umsätze nicht ordnungsgemäß verbucht und somit nicht versteuert wurde.
  3. Zeitreihenvergleich:
    Bei dieser Methode werden die Umsätze und Wareneinsätze über einen längeren Zeitraum hinweg miteinander verglichen. Auffällige Schwankungen, die nicht durch betriebliche Besonderheiten erklärbar sind, können ein Hinweis auf eine unvollständige Erfassung der Umsätze sein.
  4. Chi-Quadrat-Test:
    Diese statistische Methode wird vor allem in Betrieben angewendet, die viel Bargeldverkehr haben. Hierbei wird die Häufigkeit bestimmter Ziffern in der Kassenführung untersucht. Auffällige Häufungen bestimmter Zahlen können auf Manipulationen in der Kassenführung hindeuten.

Bedeutung der Schätzung im Steuerstrafverfahren

Im Steuerstrafverfahren spielt die Schätzung eine besondere Rolle, weil die genaue Höhe der hinterzogenen Steuern nicht immer eindeutig ermittelt werden kann. Das Gericht ist verpflichtet, die Besteuerungsgrundlagen und die darauf basierenden Steuerschulden so genau wie möglich zu ermitteln. Dabei dürfen die Finanzbehörden nicht blind übernommen werden; das Gericht muss eine eigene Überzeugung über die Höhe der Steuerverkürzung gewinnen.

Eine Schätzung ist dann unumgänglich, wenn keine ausreichenden Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind, etwa bei kriminellen Geschäften, für die der Steuerpflichtige keine Belege führt. In solchen Fällen muss das Gericht einen Mindestschuldumfang feststellen, der als bewiesen angesehen wird. Die Schätzung erfolgt dabei unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls.

Kompensationsverbot

Ein wesentlicher Punkt, der im Kontext der Schätzung beachtet werden muss, ist das sogenannte Kompensationsverbot gemäß § 370 Abs. 4 Satz 3 AO. Dieses besagt, dass steuererhöhende und steuermindernde Umstände nicht miteinander verrechnet werden dürfen, wenn sie nicht direkt miteinander in Zusammenhang stehen. Beispielsweise können nicht verbuchte Einnahmen nicht einfach durch nicht erklärte Betriebsausgaben kompensiert werden, es sei denn, sie stehen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang.

In der Praxis bedeutet dies, dass der Steuerpflichtige im Strafverfahren nicht geltend machen kann, dass er durch die Verrechnung mit nicht erfassten Betriebsausgaben im Endeffekt weniger Steuern hätte zahlen müssen, wenn diese Ausgaben dem Finanzamt rechtzeitig mitgeteilt worden wären. Das Kompensationsverbot soll verhindern, dass der Steuerpflichtige im Nachhinein seine Steuerhinterziehung durch spätere „Entdeckungen“ relativiert.

Sicherheitsabschläge

In Fällen, in denen eine Schätzung vorgenommen wird, kann das Gericht einen sogenannten Sicherheitsabschlag berücksichtigen. Dieser Abschlag dient dazu, mögliche Unsicherheiten in der Schätzung zu kompensieren, um zu vermeiden, dass der Steuerpflichtige aufgrund einer zu hoch angesetzten Schätzung unangemessen hart bestraft wird. Der Sicherheitsabschlag soll sicherstellen, dass die geschätzten Beträge möglichst realistisch und fair sind.


Fazit zum Steuerstrafrecht

Das Steuerstrafrecht stellt sicher, dass Verstöße gegen steuerliche Pflichten nicht nur steuerrechtlich, sondern auch strafrechtlich verfolgt werden. Die Steuerhinterziehung ist dabei das zentrale Delikt, das sowohl in aktiver Form als auch durch Unterlassen begangen werden kann. Die Strafzumessung orientiert sich stark am Umfang des hinterzogenen Betrags, und die Verjährungsfristen sind so gestaltet, dass auch komplexe Fälle noch lange nach der Tat verfolgt werden können.

Die Möglichkeit der Selbstanzeige bietet einen Weg, sich aus einer drohenden Strafverfolgung zu befreien, erfordert aber eine umfassende und rechtzeitige Offenlegung aller steuerlichen Verfehlungen.

Eine Schätzung ist im Steuerstrafrecht ein zentrales Instrument im Steuerstrafrecht, das insbesondere dann zum Einsatz kommt, wenn keine ausreichenden Belege für die tatsächlichen Einkünfte oder Umsätze eines Steuerpflichtigen vorliegen. Die verschiedenen Schätzungsmethoden bieten den Finanzbehörden und Gerichten Werkzeuge, um trotz fehlender direkter Nachweise eine möglichst realistische Bemessung der steuerlichen Pflichtverletzungen vorzunehmen. Das Kompensationsverbot und der mögliche Sicherheitsabschlag spielen dabei eine wichtige Rolle, um die Fairness des Verfahrens zu gewährleisten. Durch diese Mechanismen wird sichergestellt, dass die Steuerhinterziehung angemessen geahndet wird, ohne den Steuerpflichtigen durch unsichere Schätzungen unangemessen zu belasten.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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