Kein Gütesiegel ohne objektivierte Prüfung

Das Landgericht München I (4 HK O 14545/21) hatte Gelegenheit, sich zu Prüfsiegeln für Ärzte zu äußern. Es ging um ein Presseerzeugnis, das nach Auffassung des Gerichts durch die Vergabe von Siegeln, die nach eigenem Vortrag von Ärzten werblich verwendet werden sollen, gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG verstößt.

Nach Auffassung des Gerichts erwecken solche Siegel bei den angesprochenen Verkehrskreisen den Eindruck, dass die betreffenden Ärzte, die als „TOP-Mediziner“ bezeichnet oder als „Empfehlung“ angepriesen werden, aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgezeichnet worden seien und damit eine Spitzenstellung unter den Ärzten der gleichen Fachrichtung einnähmen.

Die von der Beklagten gegen Zahlung einer nicht unerheblichen sog. Lizenzgebühr vergebenen Siegel haben dabei aus Sicht des Gerichts den Charakter eines Prüfzeichens und werden in den vorgelegten Medien auch als solches werbend verwendet. Die angesprochenen Verkehrskreise werden die von der Beklagten lizenzierten Siegel ähnlich wie die Prüfsiegel der Stiftung Warentest auffassen und davon ausgehen, dass die betreffenden Ärztinnen und Ärzte aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgezeichnet worden sind.

Nach der Lebenserfahrung kommt der Angabe eines Prüfsiegels für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers erhebliche Bedeutung zu. Der Verbraucher erwartet, dass eine mit einem Prüfzeichen versehene Ware oder Dienstleistung von einer neutralen und fachkundigen Stelle nach objektiven Kriterien auf die Erfüllung von Mindestanforderungen geprüft worden ist und bestimmte Eigenschaften aufweist, die er für die Qualität und Brauchbarkeit der Ware als wesentlich ansieht. Die Qualität medizinischer Leistungen lässt sich jedoch nicht mit Messgeräten im Prüflabor ermitteln und vergleichen:

Vielmehr sind von den Kriterien, die nach dem Vortrag der Beklagten bei ihren Empfehlungslisten berücksichtigt werden, Kriterien dabei, die auf ausschließlich subjektiven Elementen beruhen, wie z.B. die Kollegenempfehlung oder die Patientenzufriedenheit.

Dass Anwaltsranglisten (und gleiches muss für Ärztelisten geltend) schwerpunktmäßig Werturteile und gerade keine Tatsachenbehauptungen enthalten, war sogar der maßgebliche Grund dafür, dass das in der Juve-Handbuch-Entscheidung das Urteil des Bundesgerichtshofs, dass die entsprechenden Anwaltslisten als wettbewerbswidrig eingestuft hatte, aufgehoben hat (vgl. den ersten Leitsatz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts GRUR 2006, 1319)

Durch die gegen ein nicht unerhebliches Entgelt gewährte Lizenzierung von Gütesiegeln, die den Anschein eines objektiven Prüfzeichens erwecken, wird jedoch gerade der Bereich der von der und gedeckten redaktionellen, bewertenden Beurteilung verlassen und der irreführende Eindruck erweckt, es gebe tatsächliche, objektiv nachprüfbare Kriterien, die zur Verleihung des Gütesiegels geführt haben.

Die von der Beklagten vergebenen Siegel erwecken gerade nicht den Eindruck, dass diesem eine mathematisch nicht nachvollziehbare Wertungsentscheidung zugrunde liegt. Das vermeintlich durch das Siegel objektivierte Qualitätsurteil ist in Wahrheit ein rein subjektives, das von vielen durch Ärzte und ihre Leistungen nicht beeinflussbare Faktoren abhängt. Dies gilt sowohl für das Siegel mit der Bezeichnung „TOP-Mediziner“ als auch für das regionale Siegel, das mit … Empfehlung“ galabelt ist. Auch dieses etwas weicher formulierte Siegel hat die optische Aufmachung eines Prüfzeichens und wird daher jedenfalls bei nicht unerheblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise die Erwartung wecken, die Prüfung sei anhand objektiv nachvollziehbarer Kriterien durchgeführt worden.


Das Gericht lehnte die Auffassung ab, die Lizenzierung der sogenannten Siegel sei eine den Ärztelisten nachgelagerte, unselbständige Tätigkeit, die ebenfalls von der Pressefreiheit gedeckt sei. Zwar habe sich die Pressefreiheit in dem Sachverhalt, der der „Juve-Handbuch“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag, auch auf die Refinanzierung redaktioneller Inhalte erstreckt. Diese Aussage des Bundesverfassungsgerichts bezog sich jedoch allein darauf, dass in dem dort zu entscheidenden Fall nicht festgestellt werden konnte, dass durch die Veröffentlichung von Ranglisten in sittenwidriger Weise auf die Aufgabe von Anzeigen hingewirkt wurde und dass anzeigenfinanzierte Medien regelmäßig darauf angewiesen sind, zur Schaltung von Anzeigen zu motivieren.

Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Fall jedoch aus gerichtlicher Sicht grundlegend: Die Wettbewerbswidrigkeit der Prüfsiegel ergibt sich hier nicht daraus, dass jemand in sittenwidriger Weise zum Erwerb des Prüfsiegels verleitet wird, sondern daraus, dass der Bereich der redaktionellen, wertenden Berichterstattung in irreführender Weise verlassen und der Eindruck erweckt wird, es finde eine Bewertung nach objektiven Kriterien statt.

Hinzu kommt, dass Medien zwar regelmäßig darauf angewiesen sind, sich durch Anzeigen zu finanzieren, nicht aber durch die Vergabe von Prüfsiegeln gegen ein nicht unerhebliches Entgelt. Dass es sich hierbei um eine unübliche und nicht zwingend notwendige Art der Finanzierung redaktioneller Beiträge handelt, zeigt der eigene Vortrag der Beklagten, wonach die Vergabe der Siegel erst eine Reaktion auf den vor etwa zehn Jahren entstandenen sog. „Wildwuchs“ gewesen sei. Davor seien die Ärztelistenzeitschriften offensichtlich anders finanziert worden.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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