Schätzung bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt

bei : In Strafverfahren des Arbeitsstrafrechts wegen Schwarzlohns müssen die Gerichte die Höhe der vorenthaltenen Steuern bzw. Sozialversicherungsbeiträge (§ 266a Abs. 1, 2 StGB) bestimmen. Naturgemäß ist es in solchen Verfahren so, dass eben gar keine, keine brauchbare oder massiv lückenhafte Buchhaltung existiert. An diesem Punkt muss – und darf – vom Gericht geschätzt werden, welche Zahlen zugrunde zu legen sind.

Hierbei entspricht es den sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben, wenn das Gericht von Nettoarbeitsentgelten ausgeht und hierauf im Abtastverfahren Lohnsteuern sowie Beiträge zur Sozialversicherung aufschlägt, um anschließend auf das derart ermittelte Bruttoarbeitsentgelt die im Tatzeitraum geltenden Sätze der Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung anzuwenden. Doch wie funktionieren diese Schätzungen im Strafprozess?

Legaldefinition der „illegalen Beschäftigung“

Vor der Schätzung bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt ist das Beschäftigungsverhältnis zu klären. Der Eingangs beschriebenen, etablierten Arbeitsweise steht die Legaldefinition der „illegalen Beschäftigung“ in § 1 Abs. 3 SchwarzArbG nF, in Kraft seit dem 18. Juli 2019 aufgrund des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11. Juli 2019 nicht entgegen, wie der BGH klarstellen konnte:

Zwar wird der … Fall des Verstoßes gegen zentrale arbeitgeberbezogene Pflichten des Sozialversicherungsrechts (Nichterfüllung von Melde-, Beitrags- oder Aufzeichnungspflichten; vgl. etwa BGH, Urteile vomApril 2014 – 1 StR 516/13 Rn. 37 und vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 11 unter Übernahme der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts) bzw. des Steuerrechts allein vom Begriff der „“ in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 SchwarzArbG erfasst; der „illegalen Beschäftigung“ unterfallen gemäß § 1 Abs. 3 SchwarzArbG nF die dort im Einzelnen genannten Fälle, vornehmlich solche der unerlaubten Beschäftigung von Ausländern oder des Verstoßes gegen die Vorschriften über die .

Indes sind diese Definitionen nicht für die Auslegung des in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV verwendeten Tatbestandsmerkmals der „illegalen Beschäftigungsverhältnisse“ maßgeblich. Dieses hat der Gesetzgeber als „Sammelbegriff für eine Vielzahl von verschiedenen Ordnungswidrigkeitstatbeständen oder Straftaten, von Verstößen
gegen das überlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum Leistungsmissbrauch“ bestimmt (BT-Drucks. 14/8221 S. 11). § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist eine Norm des materiellen Sozialversicherungsrechts; § 1 Abs. 2 und 3 SchwarzArbG umschreiben hingegen den Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (so auch Henzler in Müller-Gugenberger/Gruhl/Hadamitzky, Wirtschaftsstrafrecht, 7. Aufl., Rn. 36.5; a.A. Erb, PStR 2019, 271, 274 f.; Bach/Hugo, JR 2020, 225, 229).

Mit der Definition der „illegalen Beschäftigung“ wollte der Gesetzgeber den Zuständigkeitsbereich der Zollverwaltung nicht erweitern, sondern klarstellend umschreiben (BT-Drucks. 19/8691 S. 43; vgl. auch BR-Drucks. 97/19 S. 40 f.). Daraus folgt zugleich, dass er keineswegs mit der Gesetzesänderung den Anwen dungsbereich des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV in Bezug auf „illegale Beschäftigungsverhältnisse“ einschränken wollte (…).

BGH, 1 StR 114/21

Schätzung bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt

Zur Schätzung bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gilt: Der Tatrichter ist grundsätzlich befugt, bei der Ermittlung des Zuschussschadens nach § 266a StGB bzw. der hinterzogenen Lohnsteuer die Höhe des an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgezahlten Schwarzlohns zu schätzen, soweit für eine konkretere Bestimmung – etwa anhand der geleisteten Arbeitsstunden und der konkreten branchenüblichen oder tariflichen Stundenlöhne – keine verlässlichen Beweismittel zur Verfügung stehen oder diese nur mit unverhältnismäßigem Aufwand und ohne nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu beschaffen sind.

Der Richter kann dann einen branchenüblichen Lohnsatz – und zwar einen Nettolohnsatz – für die jeweils verfahrensgegenständliche Branche ermitteln und diesen als Schätzgrundlage der weiteren Berechnung zugrunde legen. Die Schätzung anhand eines branchenüblichen Lohnsatzes ist eine besondere Form des äußeren Betriebsvergleichs. Dabei sind jedoch die festgestellten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Schätzung bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt: Fachanwalt für Strafrecht Ferner zur Schätzung bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt

Es ist bei der Schätzung bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt leider eine Standard-Situation, dass Unternehmer glauben, die Schätzung hat rein gar nichts mit der Realität zu tun – und dann finanziell überfordert sind.

Unternehmerlohn bei Schätzung bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt

Soweit die Schätzverfahren an einen Lohnanteil anknüpfen, ist darin der „Unternehmerlohn“ des Betriebsinhabers grundsätzlich nicht enthalten. Dies gilt unabhängig davon, ob der Betriebsinhaber Einzelunternehmer ist, der den Gewinn unmittelbar vereinnahmt, oder Alleingesellschafter (ggf. über Treuhänder) und (faktischer) einer , der auch ein Geschäftsführergehalt bezieht.

Steuerrechtlich stellen verschleierte Zahlungen einer GmbH an ihren beherrschenden Gesellschafter oder ihm nahestehende Personen beim Gesellschafter regelmäßig verdeckte Gewinnausschüttungen dar (vgl. nur BFH, Urteil vom 17. Januar 2018 – I R 74/15 Rn. 13 ff.), die den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) und beim Gesellschafter nicht zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG), sondern zu Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) führen. Auch sozialrechtlich ist bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer zwischen Einkünften aus einer Beschäftigung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) und Einkünften aus dem Gesellschaftsverhältnis zu unterscheiden.

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Hochrechnung der Netto- auf Bruttolöhne

Wenn sonstige Anhaltspunkte fehlen, darf das Gericht zwei Drittel des Nettoumsatzes als gezahlte Nettolohnsumme veranschlagen (BGH, 1 StR 283/09 und 2 StR 67/22). Es ist sodann nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung beim Vorliegen vollumfänglich illegaler Beschäftigungsverhältnisse der Umfang hinterzogener Lohnsteuer grundsätzlich anhand des Eingangssteuersatzes der Lohnsteuerklasse VI (§ 39c EStG) zu bestimmen.

Die Hochrechnung bei der Schätzung bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt hinsichtlich der Netto- auf Bruttolöhne muss allerdings genau betrieben werden. So ist es gerade im Niedriglohnbereich nicht zwingend am günstigsten, wenn dieser Berechnung der Eingangssteuersatz der Lohnsteuerklasse VI – und damit ein Durchschnittssteuersatz von 14 % – zugrunde gelegt wird (BGH, 1 StR 234/18). Das mitunter praktizierte pauschale Ansetzen der Lohnsteuerklasse VI ist daher ein grundlegender Fehler:

Nur bei vollumfänglich illegalen Beschäftigungsverhältnissen ist der Umfang hinterzogener Lohnsteuer grundsätzlich anhand des Eingangssteuersatzes der Lohnsteuerklasse VI (vgl. § 39c EStG) zu bestimmen; wenn die tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer bekannt waren oder – wie hier – ohne Weiteres hätten festgestellt werden können, muss der Umfang hinterzogener Sozialversicherungsbeiträge anhand der tatsächlich gegebenen Lohnsteuerklasse der Arbeitnehmer ermittelt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. September 2019 – 1 StR 346/18, BGHSt 64, 195
Rn. 36 f.; vom 6. Juli 2018 – 1 StR 234/18 Rn. 16; vom 7. Dezember 2016 – 1 StR 185/16 Rn. 24; vom 8. August 2012 – 1 StR 296/12 und vom 8. Februar 2011 – 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153 Rn. 19).

BGH, 1 StR 86/21

Und Vorsicht: Etwas anderes bei der Schätzung bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gilt hinsichtlich des der zugrunde zu legenden Sachverhaltes dann, wenn die tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer bekannt waren oder ohne Weiteres hätten festgestellt werden können, so, wenn die Arbeitnehmer durch das Tatgericht zeugenschaftlich vernommen wurden. In diesem Fall muss der Umfang hinterzogener Sozialversicherungsbeiträge anhand der tatsächlich gegebenen Lohnsteuerklasse der Arbeitnehmer ermittelt werden (so BGH, 1 StR 346/18, 1 StR 86/21 und 6 StR 122/22).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht.