Mit Beschluss vom 08.11.2024 (Az. Ws 389/24) hat das Oberlandesgericht Nürnberg ein bemerkenswertes Urteil zur strafrechtlichen Relevanz vermeintlich „getarnter“ Arbeitsverhältnisse innerhalb einer OHG gefällt.
Der Entscheidung lag der Vorwurf zugrunde, Gesellschafter einer OHG seien in Wirklichkeit abhängig Beschäftigte gewesen, für die Sozialversicherungsbeiträge hätten entrichtet werden müssen (§ 266a StGB). Das OLG wies die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens zurück und betonte in seiner differenzierten Begründung die Bedeutung der tatsächlichen gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung.
Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth warf einem geschäftsführenden Gesellschafter einer OHG vor, insgesamt 18 Mitgesellschafter lediglich formal als Teilhaber in die Gesellschaft aufgenommen zu haben, um die Sozialabgabenpflicht zu umgehen. In Wahrheit, so der Vorwurf, seien diese Personen faktisch als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen.
Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sei der gesellschaftsrechtliche Status nur vorgeschoben gewesen („Scheinselbständigkeit“), um eine Strafbarkeit nach § 266a StGB zu verschleiern. Der Verdacht richtete sich insbesondere auf eine fehlende echte Mitbestimmung der Gesellschafter und eine vermeintlich unübliche Gewinnverteilung.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth sah jedoch keinen hinreichenden Tatverdacht für die Annahme einer Arbeitgebereigenschaft des Angeschuldigten und verweigerte die Eröffnung des Hauptverfahrens – eine Entscheidung, die das OLG nun bestätigt hat.
Rechtliche Analyse
Maßstab der Entscheidung: „hinreichender Tatverdacht“
Die zentrale rechtliche Hürde war die Frage, ob ein hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO vorliegt. Hierbei ist entscheidend, ob bei vorläufiger Bewertung eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch. Das OLG stellte hierzu klar, dass auch eine zu erwartende Einstellung oder ein Freispruch die Nichteröffnung rechtfertigen kann.
Abgrenzung: Arbeitnehmer oder Mitunternehmer?
Die strafrechtliche Beurteilung hing maßgeblich von der arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Qualifikation der Beteiligten ab. Maßgeblich ist hier nicht nur das schriftliche Gesellschaftsverhältnis, sondern die „gelebte Realität“, also eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls (Rn. 17–25).
Das OLG betonte, dass eine gleichberechtigte Gewinnverteilung, die tatsächliche Mitwirkung an der Geschäftsführung sowie ein gemeinsames unternehmerisches Risiko gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen. Entscheidend war ferner, dass die Gesellschafter regelmäßig an den Gesellschafterversammlungen beteiligt waren und auch bei der Aufnahme neuer Gesellschafter mitbestimmt hatten.
Auch die Tatsache, dass einzelne Gesellschafter mehr ausgezahlt bekamen, wurde im Kontext einer individuell abgestuften, aber vereinbarten Gewinnverteilung als unproblematisch gewertet.
Praktikabilität der Begründung
Das Gericht stellte klar, dass es der richterlichen Entscheidungsfreiheit obliegt, ob eine Nichteröffnung auf tatsächliche oder rechtliche Gründe gestützt wird, wenn beide vorliegen (Rn. 28). Im vorliegenden Fall entschied sich das LG (und ihm folgend das OLG) bewusst für eine rechtliche Begründung: Es fehle bereits an der Arbeitgeberstellung des Angeschuldigten.
Die Entscheidung verdeutlicht die erhebliche rechtliche Komplexität bei der Abgrenzung zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit innerhalb von Personengesellschaften. Die bloße Annahme, dass eine atypische Gewinnverteilung oder formale Mängel bei der Aufnahme neuer Gesellschafter Indizien für Scheinselbständigkeit seien, reicht nicht aus. Vielmehr ist stets eine ganzheitliche Bewertung des unternehmerischen Engagements und der tatsächlichen Mitbestimmung erforderlich.
Ergebnis
Die Essenz des Beschlusses liegt in der klaren Absage an vorschnelle Annahmen einer Scheinselbständigkeit bei OHG-Gesellschaftern. Strafrechtlich ist die Schwelle zur Annahme eines hinreichenden Tatverdachts hoch, wenn keine eindeutige Weisungsabhängigkeit und keine fehlende Mitunternehmerschaft erkennbar sind. Unternehmen mit arbeitsteilig strukturierten Personengesellschaften sollten dennoch auf transparente und dokumentierte Entscheidungsprozesse achten, um Verdachtsmomente frühzeitig zu entkräften.
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