Scheinselbstständigkeit und Arbeitgeberbegriff im Arbeitsstrafrecht

Das Arbeitsstrafrecht ist ein sensibles und oft komplexes Rechtsgebiet, das die Schnittstelle zwischen Strafrecht und Arbeitsrecht bildet. Ein besonders herausforderndes Thema ist die Abgrenzung zwischen selbstständigen Tätigkeiten und abhängigen Beschäftigungen, da hiervon die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Arbeitgebern abhängt – etwa im Hinblick auf den Tatbestand des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 266a StGB. Die folgende Analyse beleuchtet zentrale Aspekte der und des Arbeitgeberbegriffs anhand aktueller Rechtsprechung.

Der Arbeitgeberbegriff im Kontext von § 266a StGB

Nach § 266a StGB macht sich strafbar, wer als Arbeitgeber die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen seiner vorsätzlich unterlässt. Maßgeblich für die Frage, ob eine Person als Arbeitgeber anzusehen ist, sind die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen. Der (BGH) hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass hierfür entscheidend ist, ob die betroffene Person eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung begründet hat.

Abhängige Beschäftigung oder Selbstständigkeit?

Gesamtabwägung der Umstände

Die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit erfordert eine umfassende Würdigung aller relevanten Umstände. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es darauf an, welches Merkmal überwiegt: persönliche Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit sprechen für ein Arbeitsverhältnis, während ein eigenes Unternehmerrisiko und die freie Gestaltung der für eine Selbstständigkeit sprechen.

Seniorenbetreuung als Grenzfall

Ein exemplarischer Fall aus der Rechtsprechung verdeutlicht die Problematik: Beim Einsatz von Seniorenbetreuern in Privathaushalten war umstritten, ob es sich um eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit handelt. Das Oberlandesgericht Zweibrücken (1 Ws 225/21) entschied, dass die für eine Selbstständigkeit sprechenden Umstände überwogen, da die Betreuerinnen weitgehend frei in der Gestaltung ihrer Tätigkeit waren und kein umfassendes Weisungsrecht bestand.

Fallstricke bei der Beurteilung der Scheinselbstständigkeit

Schriftliche Vereinbarungen vs. tatsächliche Verhältnisse

Selbst wenn schriftliche Verträge eine selbstständige Tätigkeit vorsehen, hat dies nur begrenzte Aussagekraft, wenn die tatsächlichen Arbeitsverhältnisse abweichen. Die Rechtsprechung misst den praktizierten Arbeitsbedingungen höhere Bedeutung bei als den vertraglichen Regelungen.

Unternehmerisches Risiko als Abgrenzungskriterium

Ein weiteres Indiz für Selbstständigkeit ist das Vorliegen eines Unternehmerrisikos. Typische Beispiele sind Investitionen in Betriebsmittel oder das Tragen eines wirtschaftlichen Ausfallrisikos. Bei Dienstleistungen wie der Seniorenbetreuung ist dieses Risiko jedoch oft begrenzt, was die Abgrenzung erschwert.


Rechtsprechung zur Scheinselbstständigkeit im weiteren Kontext

Sozialversicherungsrecht und strafrechtliche Verantwortung

Die rechtliche Bewertung der Scheinselbstständigkeit hat weitreichende Konsequenzen, insbesondere im Hinblick auf die Strafbarkeit wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen. Nach einem Beschluss des BGH vom 24. September 2019 richtet sich der Arbeitgeberbegriff strikt nach den sozialversicherungsrechtlichen Kriterien.

Praktische Bedeutung für Unternehmen

Für Unternehmen besteht ein erhebliches Risiko, wenn sie die Abgrenzung zwischen selbstständiger und abhängiger Tätigkeit nicht korrekt vornehmen. Eine fehlerhafte Einschätzung kann nicht nur zu Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen führen, sondern auch strafrechtliche Ermittlungen nach sich ziehen. Das Statusfeststellungsverfahren kann hier hilfreich sein!


Fazit

Die Frage, ob eine Tätigkeit als selbstständig oder abhängig zu qualifizieren ist, erfordert eine sorgfältige Einzelfallprüfung. Für die Praxis ist es essenziell, nicht nur auf die vertraglichen Regelungen, sondern vor allem auf die tatsächlichen Arbeitsbedingungen zu achten. Unternehmen sollten proaktiv die rechtlichen Risiken prüfen und gegebenenfalls frühzeitig externe Beratung hinzuziehen, um strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Die dargestellten Fälle und die einschlägige Rechtsprechung unterstreichen die Bedeutung einer präzisen Abwägung und korrekten Klassifizierung von Arbeitsverhältnissen im Arbeitsstrafrecht.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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