Vorsätzliches Handeln bei pflichtwidrig unterlassenem Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen

Vorsatz bei pflichtwidrig unterlassenem Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen: Es ist gefestigte Rechtsprechung, dass ein vorsätzliches Handeln bei pflichtwidrig unterlassenem Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a Abs. 1 und 2 StGB) nur dann vorliegt, wenn der Täter auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts – zumindest als „Parallelwertung in der Laiensphäre“ – nachvollzogen hat, er also seine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen hat.

Ende 2019 hat der BGH klargestellt, dass wenn der Täter über seine Arbeitgeberstellung oder die daraus resultierende Pflicht zum Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen irrt, hierin ein Tatbestandsirrtum liegt. Das sah man vormals noch anders, an dieser entgegenstehenden, von einem Verbotsirrtum ausgehenden Rechtsprechung hält der Senat ausdrücklich nicht fest.

Ob ein Arbeitgeber seine entsprechende Stellung und das Bestehen hieraus folgender sozialversicherungsrechtlicher Abführungspflichten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat, muss vom Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung im Einzelfall anhand der konkreten Tatumstände geklärt werden. Hierbei kann Bedeutung erlangen:

  • Wie eindeutig die Indizien sind, die – im Rahmen der außerstrafrechtlichen Wertung – für das Vorliegen einer Arbeitgeberstellung sprechen.
  • Ob und inwiefern der Arbeitgeber im Geschäftsverkehr erfahren ist oder nicht und ob das Thema illegaler Beschäftigung in der jeweiligen Branche im gegebenen zeitlichen Kontext gegebenenfalls vermehrt Gegenstand des öffentlichen Diskurses war.
  • Ob das gewählte Geschäftsmodell von vornherein auf Verschleierung oder eine Umgehung von sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen ausgerichtet ist.
  • Jedenfalls bei Kaufleuten, die als Arbeitgeber zu qualifizieren sind, sind auch die im Zusammenhang mit ihrem Gewerbe bestehenden Erkundigungspflichten in Bezug auf die arbeits- und sozialrechtliche Situation in den Blick zu nehmen, weil eine Verletzung einer Erkundigungspflicht auf die Gleichgültigkeit des Verpflichteten hinsichtlich der Erfüllung dieser Pflicht hindeuten kann (vgl. BGH, 1 StR 38/11 Rn. 27).

Damit ist zugrunde zu legen, dass der formelle bereits dann vorsätzlich pflichtwidrig im Sinne des § 266a StGB handelt, wenn er Anhaltspunkte für eine unzureichende Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch den faktischen Geschäftsführer erlangt und dennoch nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat (vgl. BGH, 5 StR 16/02). Nach den Umständen des Einzelfalls kann es dabei ausreichen, wenn für den formellen Geschäftsführer Anzeichen dafür bestehen, dass die Verbindlichkeiten nicht ordnungsgemäß erfüllt werden (vgl. BGH, 5 StR 122/19 oder VI ZR 319/95).

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Allerdings sind mit dem (1 StR 651/10) an Verurteilungen von Arbeitgebern wegen Hinterziehung von Lohnsteuer bei einer Schwarzgeldabrede wiederum auch keine allzu hohen Anforderungen zu stellen:

Treffen Arbeitgeber und eine Schwarzlohnabrede, nach der für das gesamte dem Arbeitnehmer gezahlte Gehalt weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden sollen, bedarf es im Falle der Verurteilung des Arbeitgebers wegen Hinterziehung von Lohnsteuer weder Feststellungen zu den individuellen Besteuerungsmerkmalen der einzelnen Arbeitnehmer, noch ist die Höhe der von den Arbeitnehmern hinterzogenen im Urteil zu quantifizieren.

Die Höhe der durch die Arbeitnehmer verkürzten Einkommensteuer ist bei der Verurteilung des Arbeitgebers weder für den Schuldspruch, noch für den Strafausspruch relevant.

Bundesgerichtshof, 1 StR 651/10
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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