Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt bei freien Mitarbeitern

Der (1 StR 188/22) hat sich zu der äußerst praxisrelevanten Frage geäußert, wie die Abgrenzung von sog. scheinselbständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern in einer Rechtsanwaltskanzlei stattzufinden hat. Die spezifischen Umstände dieser Berufsgruppe lassen dabei Rückschlüsse auf die Beschäftigung freier, freiberuflicher Mitarbeiter zu – und lassen aufhorchen.

Gesamtbild ausschlaggebend

Es ist erst einmal nicht neues, wenn der BGH feststellt, dass das Gesamtbild der Arbeitsleistung maßgebend ist. Hier nun spielt aber die Besonderheit des Anwaltsberufs hinein, da die üblichen Kriterien bei freiberuflich Tätigen, speziell bei Anwälten, an ihre Grenzen stoßen. Hier hält der BGH dann fest, dass, wenn die Kriterien der Weisungsgebundenheit und Eingliederung wegen der Eigenart der Anwaltstätigkeit im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen ist.

Begriff des Arbeitgebers


Das StGB enthält keinen eigenständigen Arbeitgeberbegriff. Ob jemand Arbeitgeber ist, bestimmt sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das weitgehend auf das Arbeitsrecht verweist. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung – als Gegenstück zum Arbeitgeberbegriff – die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses; Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind die Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Eine solche Beschäftigung setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts voraus, dass der vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist.

Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – speziell bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zu einer „funktionsgerechten Teilnahme am Arbeitsprozess“ verfeinert werden. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vor allem durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und gekennzeichnet. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit sind – ausgehend von den vertraglichen Beziehungen der Beteiligten – die tatsächlichen Verhältnisse des „gelebten Verhältnisses“, die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind.

Konsequenzen für Rechtsanwälte

Die Entscheidung wird viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, gerade in Zeiten notorisch klammer Kassen: Das Modell der freien Beschäftigung ist weit verbreitet unter Anwälten und wird hier hart auf die Probe gestellt.

Dabei betont der BGH zunächst, dass sich für das Berufsbild des Rechtsanwalts im Hinblick auf die Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung nichts wesentlich anderes ergibt: Zwar erkennt der BGH an, dass die Eigenart der anwaltlichen Tätigkeit als Dienstleistung höherer Art mit sachlicher Weisungsfreiheit einerseits und einem weitgehend durch Sachzwänge bestimmten zeitlichen und örtlichen Arbeitsablauf andererseits dazu führen kann, dass das Abgrenzungsmerkmal der äußeren Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit, Ort und Dauer des Arbeitseinsatzes so weit zurücktritt, dass eine sichere Abgrenzung zwischen abhängiger und selbstständiger Tätigkeit nicht mehr möglich ist; auch kann sich die Eingliederung wegen der Eigenart der anwaltlichen Berufsausübung sowohl bei abhängiger Beschäftigung als auch bei freier Mitarbeit in erster Linie aus den tatsächlichen Verhältnissen ergeben, weil auch der freie Mitarbeiter die sachlichen und personellen Mittel der Kanzlei nutzen können muss.

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Soweit allerdings im Einzelfall die Weisungsgebundenheit eines Rechtsanwalts deutlich über das Maß hinausgeht, das sich aus den sachlichen Gegebenheiten ergibt, kann dies ein deutliches Indiz dafür sein, dass eine solche Tätigkeit als abhängige Beschäftigung zu qualifizieren ist. Entsprechendes gilt für die Eingliederung in die Kanzlei, wenn diese über das durch die tatsächlichen Gegebenheiten bedingte Maß hinausgeht oder unabhängig davon festzustellen ist. Damit greift der BGH insgesamt die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf – und überführt sie nahtlos in § 266a StGB, wobei die Kriterien dann verschoben werden:

Soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, weil die konkreten Umstände sowohl bei einer abhängigen Beschäftigung als auch einer selbständigen Tätigkeit festzustellen sein können, muss im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung den übrigen Merkmalen mehr Gewicht beigemessen werden.

In diesen Fällen ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen. Insoweit ist vor allem entscheidend, ob die Tätigkeit mit einem – gegebenenfalls pauschalierten – Verlustrisiko belastet ist und deshalb einer Gewinnbeteiligung gleichkommt oder ob sie lediglich als Gegenleistung für geschuldete Arbeitsleistung anzusehen ist

Bundesgerichtshof, 1 StR 188/22

Die konkreten Kriterien

Die auf den konkreten Fall angewendeten Kriterien sind verallgemeinerungsfähig und sollten sofort in bestehenden Fällen freier Mitarbeit geprüft werden:

01. Arbeitskraftanteil

Ein Indiz für eine abhängige Beschäftigung kann natürlich – und das ist nicht neu – sein, dass die Rechtsanwälte im vorliegenden Fall aufgrund des „Mitarbeitervertrages“ ihre gesamte Arbeitskraft (ca. 40 bis 60 Stunden/Woche bei Vollbeschäftigung) gegen ein fest vereinbartes Jahreshonorar zur Verfügung zu stellen hatten. Dieses Kriterium der „Knebelung“ der Mitarbeiter an einen einzigen Unternehmer ist bereits ein hartes K.O.-Kriterium, unabhängig davon, ob es sich um Freiberufler handelt oder nicht!

02. Einsatz eigener Mitarbeiter

Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, ob die Möglichkeit der Beschäftigung eigenen Personals, der Bearbeitung von Fällen außerhalb des Büros und der Werbung in eigener Sache – als gewichtige Umstände, die für eine Selbständigkeit sprechen – nicht nur zulässig, sondern auch faktisch möglich ist.
Im vorliegenden Fall wurde dies durch die abgeschlossene Zusatzvereinbarung und die darin vereinbarten Zustimmungserfordernisse faktisch ausgehebelt.

03. Weisungsgebundenheit

Die festgestellte Weisungsgebundenheit darf nicht wesentlich über das Maß hinausgehen, das sich aus den tatsächlichen Gegebenheiten und Sachzwängen ergibt. Äußerst kritisch ist beispielsweise ein Weisungsrecht (wie im vorliegenden Fall) hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort sowie Art und Inhalt der Tätigkeit. Im vorliegenden Fall war z.B. vorgeschrieben, dass die Anwälte, sofern sie nicht durch Gerichts- oder Mandantentermine verhindert waren, während des Kanzleibetriebes anwesend sein mussten, ihre Abwesenheiten einzutragen und ihre Urlaubszeiten zu koordinieren hatten.

04. Unternehmerrisiko

Bei freien Berufen wie hier dem des Rechtsanwalts ist das Unternehmerrisiko und damit einhergehend die Art der Entlohnung mit großer Bedeutung zu berücksichtigen. Gemindert dagegen ist die sonst herrschende Frage der Eingliederung in den Betrieb

Wenn für die (hier auch noch volle!) Arbeitskraft faktisch ein festes Jahresgehalt gezahlt wird, dessen Höhe völlig unabhängig von Gewinn und Verlust und vor allem von der erbrachten Arbeitsleistung ist, spricht dies für eine abhängige Beschäftigung! Dass nicht nur das eigene Kapital, sondern eben auch die eigene Arbeitskraft mit einem Verlustrisiko verbunden ist, mag zwar zu berücksichtigen sein, aber ohne Verlustrisiko wird es nichts mit der freien Mitarbeit, wenn man die Entscheidung des BGH liest. Auch die Möglichkeit der (jederzeitigen) Kündigung der geschlossenen Verträge durch den faktischen Arbeitgeber führt nicht dazu, dass dieser ein unternehmerisches Risiko trägt.

Was bedeutet die Entscheidung?

Man sollte die Bedeutung der Entscheidung für die Praxis der nächsten Jahre nicht unterschätzen: Der BGH hat ausdrücklich klargestellt, dass der Aspekt der Eingliederung bei freien Mitarbeitern drastisch an Bedeutung verliert – denn, so der BGH korrekt:

… auch freie Mitarbeiter müssen sich der sachlichen und personellen Ausstattung der Kanzlei bedienen können, ohne dabei, wie in der in § 59q BRAO geregelte Bürogemeinschaft von Rechtsanwälten üblich, an den Kosten beteiligt zu werden.

Das bedeutet, genau der Aspekt, mit dem man – nicht nur bei Anwälten – gerne in solche Knebelverträge lockt, nämlich dass ein Grundsalär vorhanden ist, ist nun derjenige, der das Risiko hochtreibt. Gleich ob angestellte Architekten, projektbezogen eingesetzte IT-Worker, selbst Crowdworker … sämtliche Verträge mit freien Mitarbeitern bei festem Grundgehalt müssen sofort auf den Prüfstand. Es droht immerhin nicht nur ein Strafverfahren, sondern man mag sich vor Augen halten, dass bei einer Verurteilung zu einer von mehr als einem Jahr die Versagung der -Tätigkeit droht (siehe §6 Abs.2 Nr.3e GmbHG).

Und Vorsicht, ein beliebtes Argument hat der Bundesgerichtshof schon lange und auch diesmal wieder ausdrücklich verworfen: Das Vorenthalten im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB ist mit der bloßen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen erfüllt. D.h. auch wenn der Arbeitnehmer die entsprechenden Beträge aus der eigenen gezahlt hat und auf dem Papier kein Schaden entstanden ist, kommt eine Strafbarkeit in Betracht.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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