Im Verfahren gegen eine Angeklagte wegen Betrugs in acht Fällen verurteilte das Landgericht München I die Angeklagte zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung, und ordnete die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 69.000 € an. Die Revision der Angeklagten gegen dieses Urteil führte zu einer teilweisen Aufhebung durch den Bundesgerichtshof (1 StR 30/24), der sich zum Thema schädliche Neigungen äussern konnte.
Rechtliche Analyse
Schädliche Neigungen nach dem JGG: Der Bundesgerichtshof setzte sich intensiv mit dem Konzept der „schädlichen Neigungen“ gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1, § 17 Abs. 2 JGG auseinander. Diese liegen vor, wenn erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel bestehen, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen:
Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, sofern erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch
unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (…)
Solche Neigungen können normalerweise nur angenommen werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel bereits vor der Tat vorhanden waren. Wichtig ist, dass diese Neigungen zum Urteilszeitpunkt weiterhin bestehen und zukünftige Straftaten wahrscheinlich machen.
Kritik des BGH an der Vorinstanz: Der BGH kritisierte, dass das Landgericht München I die schädlichen Neigungen allein aufgrund der Begehung der Betrugstaten annahm, ohne die Persönlichkeitsentwicklung der Angeklagten vor den Taten oder eventuelle Erziehungsdefizite zu berücksichtigen. Ebenso fehlte eine ausreichende Gefahrenprognose bezüglich zukünftiger Straftaten. Zudem wurden die persönliche Entwicklung der Angeklagten und ihr Verhalten nach den Taten nicht angemessen gewürdigt.
Einziehungsanordnung: Bezüglich der Einziehungsanordnung hielt der BGH fest, dass möglicherweise ein wirksamer Verzicht auf die Rückzahlung einer hinterlegten Sicherheitsleistung zur Schadenswiedergutmachung vorliegt, was den staatlichen Zahlungsanspruch erfüllen könnte. Dies war jedoch in der Urteilsbegründung nicht hinreichend dargelegt.
Fazit zu schädlichen Neigungen
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Landgerichts aufgrund unzureichender Begründung für die Annahme schädlicher Neigungen und Mängel bei der Einziehungsanordnung auf. Das Gericht betonte die Notwendigkeit einer umfassenden Bewertung der Persönlichkeitsentwicklung und der Umstände des Angeklagten, sowohl vor als auch nach der Tat, um das Vorliegen schädlicher Neigungen adäquat beurteilen zu können. Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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