Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts im Bereich der §§176ff. StGB vorgelegt, mit dem dieser Teilbereich des Sexualstrafrechts modernisiert werden soll. Im Raum stehen erheblich angehobene Strafrahmen, sprachliche Modifikationen und auch erweiterte Ermittlungsbefugnisse. Ein Anlass, auf den derzeitigen Entwurf zu blicken.
Update: Im Oktober 2020 wurde die Entwurfsfassung der Bundesregierung veröffentlicht, heu hinzugekommen ist ein Sexpuppenverbot für kindlich aussehende Puppen.
Vorab: Grundlegender Reformbedarf im Sexualstrafrecht
Das Sexualstrafrecht steht häufig im öffentlichen Fokus, da es – nachvollziehbar – die Gemüter bewegt und auf den ersten Blick einfach, also inhaltlich zugänglich, erscheint. Gleichwohl ist es ein sehr komplexer Themenbereich, der ohne entsprechendes Fachwissen kaum zugänglich ist. Trotz – oder gerade wegen? – diverser Eingriffe des Gesetzgebers in der jüngeren Vergangenheit ist das deutsche Sexualstrafrecht „grundlegend reformbedürftig“ (so die ausdrückliche Wortwahl der Bundesregierung in der Anfrage Drucksache 19/19875). Dabei wurde schon vor Jahren eine „Reformkommission zum Sexualstrafrecht“ eingesetzt, die im Juli 2017 ihren Abschlussbericht vorgelegt hat – dass dieser Bericht satte 1397 Seiten umfasst, mag für die Komplexität dieses speziellen Bereichs des Strafrechts sprechen.
Als Strafverteidiger ist man regelmäßig Anfeindungen ausgesetzt, vor allem wenn man im Bereich des Sexualstrafrechts tätig ist. Insbesondere werden Äußerungen von Dritten gerne direkt mit einer negativen Erwartungshaltung („der will nur bagatellisieren“) entgegen genommen. Von solchen Vorurteilen muss man sich frei machen, insbesondere unsere Kanzlei beschäftigt sich fernab der forensischen Tätigkeit als Strafverteidiger inhaltlich und wissenschaftlich mit der Thematik, bereitet Gesetzgebungsvorhaben auf und vertritt eine äusserst fachliche Position; etwa wenn wir inhaltlich den Abschlussbericht der Reformkommission tatsächlich aufbereitet haben – oder die regelmässigen Berichte der Missbrauchs-Beauftragten lesen (all dies fliesst in unsere Arbeit und die Plädoyers mit ein). Anders herum beobachten wir jedoch mitunter, wie bei Laien aufgeregtes Echauffieren gerne an die Stelle einer sachlichen Debatte tritt, die gerade im sensiblen Bereich des Sexualstrafrechts notwendig ist.
Jens Ferner
StrafverteidigerSprachliche Modernisierung
Es findet eine sprachliche Änderung statt, aus dem bisher verwendeten „sexuellen Missbrauch“ wird die „Sexualisierte Gewalt“. Damit soll auch mit dem Gesetz klargestellt werden, dass es um einen Gewaltakt geht und gerade um keinen Sexualakt (siehe dazu auch bei der BPB):
Mit einer begrifflichen Neufassung der bisherigen Straftatbestände des „sexuellen Missbrauchs von Kindern“ als „sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ soll das Unrecht dieser Straftaten klarer umschrieben werden. Einer Bagatellisierung soll entgegengewirkt werden. Jede sexuelle Handlung mit einem Kind ist als sexualisierte Gewalt zu brandmarken. Dabei ist mit der Änderung der Begrifflichkeit aber keine Inhaltsänderung verbunden. Es bleibt dabei, dass es für die Tatbestandsverwirklichung nicht auf die Anwendung von Gewalt oder auf Drohung mit Gewalt ankommt.
Referentenentwurf, Seite 22
Anhebung der Strafrahmen
Die Strafrahmen werden deutlich angehoben, insgesamt handelt es sich immer um ein Verbrechen, es ist also eine Mindeststrafe von einem Jahr angedroht, sowohl bei Sexualdelikten mit Kindern als auch im Bereich Besitz und Verbreiten von Kinderpornographie. Dabei werden die Tatbestände neu strukturiert und es werden auch zwei neue Tatbestände geschaffen, während der „minder schwere Fall“ zugleich aus dem Gesetz verschwindet:
- § 176 Sexualisierte Gewalt gegen Kinder
- § 176a Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Körperkontakt mit dem Kind
- § 176b Vorbereitung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder
- § 176c Schwere sexualisierte Gewalt gegen Kinder
- § 176d Sexualisierte Gewalt gegen Kinder mit Todesfolge“.
Das bedeutet, zukünftig soll für den Besitz und die weiteren taten der Strafrahmen bei einem Jahr Freiheitsstrafe mindestens liegen – auch bei der Besitzverschaffung, also der Vorstufe zum Besitz.
Verbot kindlich aussehender Sexpuppen
Mit der Entwurfsfassung der Bundesregierung neu hinzugekommen ist der §184l StGB, mit dem Inverkehrbringen, Erwerb und Besitz von körperlichen Nachbildungen eines Kindes oder eines Körperteiles eines Kindes, die nach ihrer Beschaffenheit zur Vornahme sexueller Handlungen bestimmt sind, unter Strafe gestellt werden.
Änderung der Strafprozessordnung
Ganz erheblich ist eine Änderung der Strafprozessordnung: So werden die Telekommunikationsüberwachung, die Online-Durchsuchung sowie die Erhebung von Verkehrsdaten ausgeweitet. Dies recht unscheinbar, denn man liest etwa zum §100a StPO:
In Buchstabe g werden die Wörter „§ 184b Absatz 1 und 2“ durch die Angabe „§ 184b“ ersetzt.
Gesetzentwurf, Seite 10
Diese scheinbar kleine Änderung hat gravierende Wirkung mit erheblichem Missbrauchspotential: Bisher sind diese Maßnahmen insbesondere bei einer Verbreitung möglich, was durchaus nachvollziehbar ist. Die Beschränkung auf die Absätze 1 und 2 entfällt nun aber, so dass auch im Fall des §184b Abs.3 eine Überwachung möglich ist. Und dieser Absatz 3 lautet in aktueller wie geplanter neuer Fassung:
Wer es unternimmt, einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen, oder wer einen solchen Inhalt besitzt, wird (…) bestraft.
Dabei stellt §184d Abs.2 StGB ausdrücklich klar:
Nach § 184b Absatz 3 wird auch bestraft, wer es unternimmt, einen kinderpornographischen Inhalt mittels Telemedien abzurufen
Im Ergebnis bedeutet dies, das zukünftig bereits ein schlichter Anfangsverdacht hinsichtlich eines möglichen zukünftigen schlichten Abrufes von Kinderpornographischen Bildern im Internet/Darknet ausreichend ist, um eine vollständige Überwachung der Kommunikation des Nutzers auszulösen. Woraus sich dieser Verdacht ergibt spielt insoweit keine Rolle. Das Missbrauchspotential sollte insoweit auf der Hand liegen, da eine extrem weitreichende Überwachungsmaßnahme gepaart wird mit einer nur inhaltlich definierten verbotenen Handlung, die wiederum nur eines schlichten Anfangsverdachts bedarf.
Unter dem Deckmantel des Schutzes von Kindern, wogegen schwerlich irgendwer etwas sagen kann, werden durch die Politik gerne Vorhaben platziert, die sich bei genauem Hinsehen als schwer vertretbar darstellen. Vorliegend muss man hinterfragen, wie eine effektive Kontrolle durch die ohnehin überlastete Justiz an dieser Stelle noch ernsthaft ausgestaltet sein sollte. Ein schlichter Verdacht einer Nutzung kann hier zu einer umfangreichen Ausspähung von Nutzern führen, die man in jedem Fall kritisch hinterfragen muss.
Jens Ferner
StrafverteidigerSonstige Änderungen
Eine Vielzahl weiterer Änderungen betreffen inhaltliche Ausgestaltungen von Verfahren, so sollen GVG und JGG derart geändert werden, dass bei Richtern, Staatsanwälten und Verfahrensbeiständen entsprechende Qualifikationen bzw. Fortbildungen verlangt werden. So sollen diese über Kenntnisse auf den Gebieten der Kriminologie, Pädagogik und Sozialpädagogik sowie der Jugendpsychologie verfügen, die auch zu belegen sind – eine solche Forderung ist ein Novum und dürfte deutsche Richter überraschen, ist aber längst überfällig (so wie auch in anderen Bereich die Spezialisierung und zwingende nachweisbare Fortbildung Einzug halten wird).
Darüber hinaus wird das Bundeszentralregistergesetz geändert, Einträge aus dem Bereich des Sexualstrafrechts werden nun noch später gelöscht werden.
Erstes Fazit
Änderungen sind notwendig in all diesen Bereichen und nur zu Begrüßen sind die Anforderungen an die Qualifikation in entsprechenden Verfahren. Ob ein letztlich weiteres und offenkundig von erneutem öffentlichem – medial begleiteten – Aufschrei getriebenes Stückwerk hilfreich ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Die Eingriffe im Bereich des §110a StPO dürfen bei allem Schutz der Kinder jedoch nicht ohne Kritik dargestellt werden, auch wenn Laien hier sicherlich (wieder einmal) nicht verstehen, warum dies kritisch zu sehen sein dürfte. Zugleich zeigt der Entwurf eines: Eine ernsthafte, umfassende Reform ist zeitnah nicht zu erwarten – was umsehen mehr enttäuscht, als dass sich alle einig sind hinsichtlich ihrer Überfälligkeit. Allgemein kritisch mag man sehen, dass der Gesetzgeber weiter daran arbeitet, den minder schweren Fall endgültig aus dem deutschen Strafgesetzbuch zu tilgen. Im vorliegenden Bereich mag dies nicht traurig stimmen, im Gesamtbild aber ist die Trendwende, weg vom humanistischen Strafrecht der ultima Ratio, hin zu einem „Law and Order“-Strafrecht nicht mehr zu verkennen.
Dazu auch: Erste Gedanken von Dr. Rüdiger auf LinkedIN
- Lesetipp: Wie der Data Act die Zukunft der Robotik revolutioniert - 4. Oktober 2024
- CSRD-Umsetzung: Was Unternehmer jetzt wissen müssen - 4. Oktober 2024
- Internationaler Schlag gegen Glasaal-Schmuggel - 4. Oktober 2024