Die in einer beruflichen Prüfung abgegebenen schriftlichen Antworten und die etwaigen Bemerkungen des Prüfers zu diesen Antworten stellen personenbezogene Daten des Prüflings dar, über die dieser grundsätzlich ein Auskunftsrecht hat, so der EuGH (C-434/16): Die Gewährung eines solchen Rechts an den Prüfling dient nämlich dem mit dem Unionsrecht verfolgten Ziel, den Schutz des Rechts natürlicher Personen auf Achtung ihres Privatlebens im Hinblick auf die Verarbeitung der sie betreffenden Daten zu gewährleisten.
Sachverhalt
Herr Peter Nowak war Trainee Accountant (Wirtschaftsprüfer/Steuerberater in der Ausbildung) und hat die Prüfungen des Institute of Chartered Accountants of Ireland (irischer Berufsverband der Wirtschaftsprüfer/Steuerberater) im Fach Rechnungslegung (Level 1) sowie drei Prüfungen im Fach Rechnungslegung (Level 2) bestanden. Er habe jedoch die Prüfung „Strategic Finance and Management Accounting“ nicht bestanden. Nachdem Herr Nowak diese Prüfung im Herbst 2009 nicht bestanden hatte, legte er zunächst Widerspruch gegen das Prüfungsergebnis ein. Nachdem diese Beschwerde zurückgewiesen worden war, stellte er einen Antrag auf Auskunft über alle ihn betreffenden personenbezogenen Daten, die bei der Berufsorganisation der Wirtschaftsprüfer/Steuerberater gespeichert waren. Im Jahr 2010 übermittelte die Berufsorganisation der Wirtschaftsprüfer/Steuerberater Herrn Nowak 17 Dokumente, verweigerte ihm jedoch die Herausgabe seiner Prüfungsarbeit mit der Begründung, dass diese keine personenbezogenen Daten enthalte.
Vor dem irischen Supreme Court ficht Herr Nowak die Entscheidung des irischen Datenschutzbeauftragten an, wonach Prüfungsarbeiten im Allgemeinen keine personenbezogenen Daten enthalten. Der Supreme Court möchte vom Gerichtshof wissen, ob die schriftlichen Antworten eines Prüflings in einer berufsbezogenen Prüfung und etwaige Anmerkungen des Prüfers dazu personenbezogene Daten darstellen.
Entscheidung des EUGH
In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass ein Prüfling einer berufsbezogenen Prüfung eine natürliche Person ist, die entweder unmittelbar durch ihren Namen oder mittelbar durch eine auf der Prüfungsarbeit oder einem Deckblatt der Prüfungsarbeit angebrachte Identifikationsnummer identifiziert werden kann. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob der Prüfer den Prüfling zum Zeitpunkt der Korrektur und Bewertung der Prüfungsarbeit identifizieren kann oder nicht.
Antworten des Prüflings
Zweitens prüft der Gerichtshof, ob die schriftlichen Antworten eines Prüflings in einer berufsbezogenen Prüfung und etwaige Anmerkungen des Prüfers dazu Informationen über den Prüfling darstellen.
Er stellt insoweit klar, dass die Verwendung des Ausdrucks „alle Informationen“ im Zusammenhang mit der Definition des Begriffs „personenbezogene Daten“ in der Richtlinie das Ziel des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck bringt, diesem Begriff eine weite Bedeutung beizumessen. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Art in Form von Stellungnahmen oder Bewertungen, sofern es sich um Informationen „über“ die betroffene Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, Zwecks oder ihrer Wirkung mit einer bestimmten Person verbunden ist. Die schriftlichen Antworten eines Prüflings in einer berufsbezogenen Prüfung stellen eine solche personenbezogene Information dar.
Der Inhalt dieser Antworten spiegelt den Kenntnisstand und das Kompetenzniveau des Prüflings in einem bestimmten Bereich sowie gegebenenfalls seine Argumentationsfähigkeit, sein Urteilsvermögen und sein kritisches Denken wider. Weiterhin zielt die Sammlung dieser Antworten darauf ab, die beruflichen Fähigkeiten des Bewerbers und seine Eignung für die Ausübung des betreffenden Berufs zu beurteilen. Schließlich kann die Verwendung dieser Informationen, die sich insbesondere im Bestehen oder Nichtbestehen der betreffenden Prüfung äußert, die Rechte und Interessen des Bewerbers insofern berühren, als sie unter anderem seine Aussichten, den gewünschten Beruf auszuüben oder die gewünschte Stelle zu erhalten, bestimmen oder beeinflussen kann.
Anmerkungen des Prüfers
Hinsichtlich der Anmerkungen des Prüfers zu den Antworten des Prüflings ist zu beachten, dass diese – ebenso wie die Antworten des Prüflings in der Prüfung – Informationen über den Prüfling darstellen. Der Inhalt dieser Anmerkungen enthält daher die Meinung oder Beurteilung des Prüfers in Bezug auf die individuelle Leistung des Prüflings.
in Bezug auf die individuelle Leistung des Prüflings in der Prüfung und insbesondere in Bezug auf seine Kenntnisse und Fähigkeiten in dem betreffenden Fachgebiet zum Ausdruck.
Die Einstufung der schriftlichen Antworten des Prüflings in einer berufsbezogenen Prüfung und etwaiger Anmerkungen des Prüfers zu diesen Antworten als personenbezogene Daten kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass eine solche Einstufung dem Prüfling – grundsätzlich – ein Recht auf Auskunft und Berichtigung einräumt.
Eine andere Entscheidung hätte nämlich zur Folge, dass die Grundsätze und Garantien des Schutzes personenbezogener Daten in Bezug auf diese Antworten und Anmerkungen völlig außer Acht gelassen würden. Ein Prüfling hat jedoch insbesondere ein auf dem Schutz seiner Privatsphäre beruhendes berechtigtes Interesse daran, sich dagegen wehren zu können, dass seine Antworten in der betreffenden Prüfung und die Anmerkungen des Prüfers zu diesen Antworten ohne seine Zustimmung außerhalb des Prüfungsverfahrens verarbeitet und insbesondere an Dritte weitergegeben oder sogar veröffentlicht werden. Gleichermaßen muss die Einrichtung, die die Prüfung organisiert, als für die Datenverarbeitung Verantwortlicher sicherstellen, dass diese Antworten und Anmerkungen so aufbewahrt werden, dass ein unrechtmäßiger Zugang Dritter zu diesen Daten verhindert wird.
Schriftliche Antworten eines Prüflings
Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass die in der Richtlinie vorgesehenen Auskunfts- und Berichtigungsrechte auch in Bezug auf die schriftlichen Antworten eines Bewerbers in einer berufsbezogenen Prüfung und etwaige Bemerkungen des Prüfers hierzu gerechtfertigt sein können. Zwar kann das Recht auf Berichtigung es einem Prüfling offensichtlich nicht ermöglichen, „falsche“ Antworten nachträglich zu „berichtigen“, da diese in keiner Weise eine Unrichtigkeit im Sinne der Richtlinie darstellen, die ein Recht auf Berichtigung im Sinne der Richtlinie begründen würde.
Es kann jedoch Situationen geben, in denen sich diese Antworten und Anmerkungen als unzutreffend erweisen, z. B. weil Prüfungsarbeiten irrtümlich vertauscht wurden, so dass dem betreffenden Prüfling die Antworten eines anderen Prüflings zugeordnet wurden.
Im Übrigen ist nicht auszuschließen, dass ein Prüfling gegenüber dem für die Verarbeitung Verantwortlichen einen Anspruch darauf hat, dass seine Prüfungsantworten und die Anmerkungen des Prüfers dazu nach Ablauf einer bestimmten Frist gelöscht, d. h. vernichtet werden. Da die schriftlichen Antworten eines Prüflings in einer beruflichen Prüfung und die etwaigen Anmerkungen des Prüfers zu diesen Antworten somit einer Überprüfung – insbesondere hinsichtlich ihrer Richtigkeit und der Notwendigkeit ihrer Aufbewahrung – unterzogen und berichtigt oder gelöscht werden können, ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die Gewährung eines Auskunftsrechts des Prüflings in Bezug auf diese Antworten und Anmerkungen dem Ziel der Richtlinie dient, den Schutz des Rechts des Betroffenen auf Achtung seines Privatlebens bei der Verarbeitung der ihn betreffenden Daten zu gewährleisten. Dies gelte unabhängig davon, ob diesem Bewerber ein solches Auskunftsrecht auch nach dem auf das Prüfungsverfahren anwendbaren nationalen Recht zustehe.
Der Gerichtshof weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens insbesondere voraussetzt, dass jede natürliche Person sich vergewissern kann, dass die sie betreffenden personenbezogenen Daten richtig sind und rechtmäßig verarbeitet werden. Schließlich stellt der Gerichtshof klar, dass sich diese Rechte auf Auskunft und Berichtigung nicht auf Prüfungsfragen erstrecken, die als solche keine personenbezogenen Daten des Prüflings darstellen. Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass das Unionsrecht bestimmte Einschränkungen dieser Rechte vorsieht. So können die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften erlassen, die die vorgesehenen Pflichten und Rechte beschränken, soweit eine solche Beschränkung zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen erforderlich ist. (Quelle: Pressemitteilung des Gerichts)
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