Anfechtung von Auszahlungen aus Schneeballsystem

Stehen einem stillen Gesellschafter nur gewinnabhängige Auszahlungen zu, so sind Auszahlungen, die der stille Gesellschafter, der ein Geschäftsmodell nach Art eines Schneeballsystems betreibt, trotz Kenntnis von in Wirklichkeit eingetretenen Verlusten leistet, unentgeltlich im Sinne des § 134 InsO – so nun auch der in den Entscheidungen IX ZR 13/23, IX ZR 14/23 und IX ZR 17/23 (zuvor OLG-Rechtsprechung).

Rückforderung von Auszahlungen

Zahlungen an Anleger – sei es auf ihre Gewinnbeteiligung, sei es auf ihre Einlage – sind nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar, wenn der Schuldner sie ohne rechtlichen Grund vorgenommen hat und ihnen nach den Umständen zur Zeit der Anfechtung keine angemessene Gegenleistung gegenübersteht (§ 140 InsO).

Dies ist bei Leistungen ohne Rechtsgrund der Fall, wenn kein Rückgewähranspruch in das Vermögen des Schuldners gelangt ist. Zur Annahme der Unentgeltlichkeit kann es daher führen, wenn eine rechtsgrundlose Leistung in Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 BGB) oder unter den Voraussetzungen des § 817 Satz 2 BGB erfolgt.

Nach diesen Maßstäben kann der Insolvenzverwalter die Auszahlung von Scheingewinnen durch den späteren Insolvenzschuldner als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten:

Ausschlaggebend ist, dass dem Anleger nach den vertraglichen Vereinbarungen nur ein Anspruch auf eine Beteiligung am Gewinn zusteht, tatsächlich jedoch ein solcher Gewinn nicht erzielt worden ist. Es handelt sich dann um eine Leistung ohne Rechtsgrund. Dass die Schuldnerin ein betrieben haben soll, sagt hingegen für sich genommen nichts darüber aus, ob die Voraussetzungen des § 134 InsO erfüllt sind

Wann hält die Rückzahlung stand?

Der Bundesgerichtshof will sauber getrennt wissen, worauf bzw. woraus eine Auszahlung stattgefunden hat: Erhält der Anleger, der sich an einem betrügerischen Kapitalanlagemodell beteiligt hat, Auszahlungen, die sowohl auf Scheingewinne als auch auf die Einlage geleistet werden, so sind diese nur nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar, soweit es sich um Auszahlungen auf Scheingewinne handelt.

Auszahlungen auf die Einlage – etwa nach Kündigung der Beteiligung – sind keine unentgeltlichen Leistungen. Die Rückzahlung der Einlage stellt in diesen Fällen die Gegenleistung für die vom Anleger erbrachte Einlage dar. Dies setzt allerdings voraus, dass dem Anleger ein entsprechender Anspruch auf Rückzahlung der Einlage zustand!

Das nicht zu unterschätzende Problem: Nimmt ein stiller Gesellschafter aufgrund der Vereinbarung gemäß § 232 Abs. 2 HGB auch am Verlust teil, so vermindert sich die Einlage um den auf den stillen Gesellschafter entfallenden Verlust. Wird die stille Gesellschaft dann durch Ablauf der vereinbarten Frist beendet, besteht in dieser Höhe kein Auseinandersetzungsanspruch nach § 235 Abs. 1 HGB! Die Rückzahlung der Einlage erfolgt bei unzutreffender Ermittlung des Auseinandersetzungsanspruchs in einem solchen Fall mit dem BGH auf ein fiktives Guthaben.

Eine solche Überzahlung kann Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen, denen hier jedoch der Einwand des § 814 Fall 1 BGB entgegensteht. Dagegen besteht nach Beendigung der stillen Gesellschaft mangels ausdrücklicher Vereinbarung kein gesellschaftsrechtlicher Anspruch auf Rückzahlung der zu Unrecht geleisteten Einlage; insbesondere trifft den ausgeschiedenen stillen Gesellschafter insoweit keine Rückzahlungspflicht.

Übersetzt: Man glaubt zwar, seine Einlage zurückzubekommen, tatsächlich ist die aber längst geschrumpft!

Kenntnis?

Wann liegt Kenntnis vor? Es ist daran zu erinnern, dass die Zahlungen nach § 134 InsO nicht anfechtbar wären, wenn die Gesellschaft sie ohne Rechtsgrund geleistet hätte, ihr deshalb ein Bereicherungsanspruch zustünde und der stille Gesellschafter dem nicht § 814 BGB entgegenhalten könnte. Hier gilt: Nach § 814 Fall 1 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende wusste, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war.

Erforderlich ist die positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung. Für die Kenntnis der Nichtschuld genügt es nicht, dass dem Leistenden die Tatsachen bekannt sind, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt; vielmehr muss der Leistende aus diesen Tatsachen nach der maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre einen im Ergebnis zutreffenden rechtlichen Schluss gezogen haben.

Weiß die Gesellschaft, dass sie keine Gewinne, sondern im Gegenteil Verluste erwirtschaftet und ein betrügerisches Schneeballsystem betreibt, so weiß sie auch, dass die vereinbarten Voraussetzungen für die Ausschüttungen nicht vorliegen und die Anleger keinen Anspruch auf die Ausschüttungen gegen sie haben.

Dem steht aus Sicht des BGH nicht entgegen, dass die festgestellten Jahresabschlüsse fälschlicherweise Gewinne und nicht Jahresfehlbeträge ausweisen und von einem Wirtschaftsprüfer testiert wurden. Denn die Gesellschaft hat aufgrund ihrer Kenntnis, dass sie nur noch Verluste erwirtschaftet und das eingeworbene Kapital ganz oder zu einem erheblichen Teil zur Auszahlung der Altanleger verwenden muss, auch Kenntnis davon, dass die betreffenden Jahresabschlüsse fehlerhaft sind und keine Grundlage für die vereinbarten Ausschüttungen sein können.

Mit dem BGH ist nicht darauf abzustellen, ob die Geschäftsführung Kenntnis von einem Schneeballsystem hatte! Vielmehr muss sich die Kenntnis darauf beziehen, dass keine Gewinne, sondern Verluste erwirtschaftet werden und es sich bei den Ausschüttungen an die stillen Gesellschafter um Scheingewinne handelt. Hierfür kann bereits die Kenntnis der Vertragsgestaltung ausreichen (ausführlich: BGH, IX ZR 10/23).

Doppelter Verlust: Auch einbehaltene Steuer wird angefochten!

Ebenso hat der BGH klargestellt, dass sich der Anfechtungsanspruch auf die einbehaltene Abgeltungsteuer erstreckt: Voraussetzung für den Nichteintritt der Abgeltungswirkung des Steuerabzugs ist nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 EStG i. V. m. § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 EStG, dass das die Kapitalerträge auszahlende inländische Finanzdienstleistungsinstitut die Kapitalerträge zu Unrecht ohne Abzug von Kapitalertragsteuer ausgezahlt hat.

Erforderlich ist positive Kenntnis, eine Vermutung reicht nicht aus. Diese Kenntnis hat der Gläubiger der Kapitalerträge und Steuerschuldner im Falle eines vorgenommenen, aber nicht abgeführten Abzugs nicht zwangsläufig, da er nur den Nettobetrag erhalten hat und ohne Einblick in die Organisation des Abzugsverpflichteten nicht notwendigerweise weiß, wo der einbehaltene Betrag verblieben ist. Das Wissen, dass die Abführung voraussichtlich unterbleiben wird, reicht nicht aus.

An dem Punkt zu erinnern ist, dass mit dem Bundesfinanzhof auch Scheinrenditen zu versteuern sind. Zur Haftung bei einem Schneeballsystem siehe das LG Hamburg sowie Ferner, jurisPR-StrafR 12/2023 Anm. 4.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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