Urteil zu Unverlangter Werbung – Ein Paradigmenwechsel in der Akquise-Praxis

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (Az. 18 U 154/22 vom 03. Mai 2023) markiert einen wichtigen Wendepunkt im Umgang mit unverlangter Werbung im Geschäftsverkehr. Im Mittelpunkt steht die Thematik der Zusendung unverlangter Werbenachrichten und die daraus resultierende Problematik für Unternehmen. Das Besondere: Die Nachricht wurde innerhalb einer Plattform versendet!

Der Fall

Die Klägerin, eine Dienstleisterin für Immobilienmakler, hatte mit dem Beklagten, einem Immobilienmakler, einen Vertrag zur Akquise von Kunden geschlossen. Die Dienstleistung umfasste das Anschreiben von potenziellen Immobilienverkäufern ohne vorherige Kontaktaufnahme, mit der Absicht, ihre Zustimmung für die Weitergabe ihrer Kontaktdaten an den Beklagten zu erhalten. Dies wurde als Opt-In-Prozess gestaltet.

Entscheidung des OLG Hamm

Das OLG Hamm wies die Berufung der Klägerin zurück und bestätigte die Entscheidung des Landgerichts, dass der zugrunde liegende Akquise-Vertrag wegen Verstoßes gegen das UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) nichtig ist. Insbesondere verstieß die Art der Kontaktierung der potentiellen Immobilienverkäufer gegen § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F., da keine vorherige ausdrückliche Einwilligung der Verbraucher für diese Form der Kontaktaufnahme vorlag. Das OLG ausdrücklich dazu:

Der Begriff der „elektronischen Post“ in § 7 Abs. Nr. 3 UWG a.F. ist unionsrechtskonform in Einklang mit Art. 2 S. 2 lit. h der RL 2002/58/EG (EK-DSRL – Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) auszulegen und umfasst daher „jede über ein öffentliches Kommunikationsnetz verschickte Text-, Sprach-, Ton- oder Bildnachricht, die im Netz oder im Endgerät des Empfängers gespeichert werden kann, bis sie von diesem abgerufen wird“. Durch die Bestimmung in Art. 13 Abs. 1 der RL 2002/58/EG, die den Begriff der elektronischen Post aufgreift und deren Verwendung reglementiert, sollen die Nutzer vor einer Verletzung ihrer Privatsphäre durch unerbetene Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung geschützt werden (vgl. ErwG 40 der RL 2002/58/EG). Angesichts dieses Schutzzwecks befürworten sowohl der als auch der Europäische Gerichtshof bei Beantwortung der Frage, welche elektronischen Kommunikationsmittel unter elektronische Post zu fassen sind, eine weite und an die Entwicklung der Technologie angepasste Auslegung.Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom

30.01.2020 (Az. I ZR 25/19, GRUR 2020, 420 – Inbox-Werbung I) dem Europäischen Gerichtshof zur Auslegung von Art. 2 S. 2 lit. h und Art. 13 Abs. 1 der RL 2002/58/EG sowie Nr. 26 des Anh. I der RL 2005/29/EG mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. In diesem Zusammenhang hat er auch Ausführungen zum Begriff der elektronischen Post gemacht: Es sei nicht ersichtlich, dass der Richtliniengeber angesichts der absehbar rasch fortschreitenden technischen Entwicklung den Begriff der elektronischen Post statisch auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der bekannten „klassischen“ Formen der E-Mail, der SMS oder der MMS festschreiben wollte. Näherliegend sei, dass er im Interesse des Schutzes der Privatsphäre der Nutzer einen dynamischen und technikneutralen Begriff gewählt habe (vgl. Mankowski in Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl., § 7 Rn. 186), der es beispielsweise ermögliche, auch die erst in jüngerer Zeit relevant gewordenen elektronischen Mitteilungen im Rahmen von sozialen Netzwerken zu erfassen (vgl. Büscher/Büscher, § 7 Rn. 200; Ohly in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., § 7 Rn. 65; Mankowski in Fezer/Büscher/Obergfell, § 7 Rn. 186). Denn die Privatsphäre der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel könne nicht nur durch im Wege der klassischen Formen der elektronischen Individualkommunikation wie E-Mail, SMS oder MMS übersandten unerbetene Nachrichten beeinträchtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 30.01.2020 – I ZR 25/19, GRUR 2020, 420 Rn. 29, beck-online).

Der Europäische Gerichtshof hat anlässlich der Vorlagefragen durch Urteil vom 25.11.2021 diese Auffassung bestätigt und klargestellt, dass der Begriff der elektronischen Kommunikationsmittel aus technologischer Sicht entwicklungsfähig und mit Blick auf das Regelungsziel, dass den Nutzern der öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienste der gleiche Grad des Schutzes personenbezogener Daten und der Privatsphäre geboten werden soll, weit auszulegen sei (vgl. EuGH, Urteil vom 25.11.2021 – C-102/20, GRUR 2022, 87 Rn. 38, 39, beck-online).

Daher fallen unter den Begriff der elektronische Post im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F. neben E-Mails, SMS und MMS auch sämtliche Nachrichten über Social Media-Dienste wie Xing, Facebook, LinkedIn oder (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 15.01.2019 – 3 U 724/18, GRUR-RR 2019, 170 Rn. 59, beck-online; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 7 Rn. 264; Ohly/Sosnitza/Ohly, 8. Aufl. 2023, UWG § 7 Rn. 86).

Zwar handelt es sich bei dem Nachrichtendienst eines Immobilienportals nicht um einen Social-Media-Dienst. Die Funktionsweise des Postfachs ist jedoch dieselbe. Auch hier werden Nachrichten asynchron übermittelt und auf dem Server des jeweiligen Portalbetreibers für den jeweiligen Inserenten gespeichert, bis dieser sie abruft. Die Nachrichten erreichen den Nutzer in seinem eingerichteten und lediglich privat zugänglichen Postfach, das er über einen Nachrichten-Manager abrufen kann. Dementsprechend handelt es sich gleichermaßen um eine Art elektronischen Briefkasten. Angesichts des oben dargelegten Schutzzwecks des Art. 13 Abs. 1 RL 2002/58/EG kann daher für Nachrichten über Immobilienportale nichts anderes gelten als für Nachrichten über Social-Media-Dienste (oder per E-Mail).

Bedeutung der Entscheidung

  • Verstoß gegen UWG: Die Entscheidung unterstreicht, dass der Versand von Werbenachrichten ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung der Empfänger gemäß UWG als wettbewerbswidrig angesehen wird.
  • Auswirkungen auf Akquise-Praktiken: Dieses Urteil setzt klare Grenzen für Akquise-Methoden und macht deutlich, dass die Einwilligung der Verbraucher eine essentielle Rolle spielt.
  • Rechtsklarheit: Die Entscheidung bietet Unternehmen Rechtsklarheit darüber, wie sie mit der Akquise von Kunden umgehen müssen, um nicht gegen das UWG zu verstoßen.

Fazit

Das Urteil des OLG Hamm dient als mahnendes Beispiel für Unternehmen, die direkte Kontaktaufnahme zu potenziellen Kunden ohne deren explizite Einwilligung zu überdenken. Es betont die Notwendigkeit, die rechtlichen Rahmenbedingungen des UWG zu beachten und trägt dazu bei, die Integrität von Verbraucherrechten im digitalen Zeitalter zu schützen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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