Gefahr im Verzug

Wann liegt eigentlich „Gefahr im Verzug“ vor, die zur Wohnungsdurchsuchung ohne richterlichen ermächtigt? Rechtlicher Hintergrund ist, dass in Ermangelung eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses eine Wohnung nur dann durchsucht werden darf, wenn Gefahr im Verzug vorliegt (§§ 102, 105 Abs. 1 S. 1 ).

Die Hausdurchsuchung ist ein Schreckmoment – und regelmäßig der Anlass, sich bei einem Strafverteidiger zu melden. Wir bieten einen Strafverteidiger-Notruf genau für diese Situation unter 0175 1075646 und dazu zahlreiche frei verfügbare Informationen rund um die Hausdurchsuchung auf unserer Webseite:

Gefahr im Verzug

Der Begriff „Gefahr im Verzug“ im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG ist eng auszulegen. Gefahr im Verzug ist dementsprechend mit der Rechtsprechung nur dann anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme (regelmäßig die Sicherstellung von Beweismitteln) gefährdet wird.

Kann hingegen der Richter mit dem Durchsuchungsbegehren befasst werden und über dieses entscheiden, ohne dass damit ein Risiko des Verlusts von Beweismitteln verbunden ist, ist für einen Rückgriff auf die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden im Zuge einer angenommenen „Gefahr im Verzug“ kein Raum. Vielmehr hat dann allein der zuständige Richter über den Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG zu entscheiden und dabei auch dem aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Verfassungsgebot effektiver Strafverfolgung Rechnung zu tragen.

„Gefahr im Verzug“ muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus.

BVerfG zur Gefahr im Verzug

Ob im Einzelfall ein angemessener Zeitraum zur Verfügung steht, innerhalb dessen eine Entscheidung des zuständigen Richters erwartet werden kann, oder ob bereits eine Verzögerung wegen des Versuchs der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung den Erfolg der gefährden würde und daher eine nicht richterliche Durchsuchungsanordnung ergehen darf, haben die Ermittlungsbehörden nach der Konzeption des Art. 13 Abs. 2 GG zunächst selbst zu prüfen.

Heisst: Eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Anordnung einer Durchsuchung ist nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO allein bei Gefahr im Verzug gegeben. Diese liegt vor, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme, regelmäßig die Sicherstellung von Beweismitteln, gefährdet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, BVerfGE 139, 245 Rn. 69):

Wegen des Ausnahmecharakters der nichtrichterlichen Anordnung und vor allem wegen der sichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts für das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG ist diese Vorgabe eng auszulegen. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen daher für die Annahme von Gefahr im Verzug nicht aus. Eine solche muss vielmehr mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Die bloße Möglichkeit eines Beweismittelverlusts genügt nicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 – 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142 Rn. 40, 46).

Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Gefahr im Verzug“ ist dabei Sache der Gerichte. Sie haben die Rechtsanwendung der Behörden uneingeschränkt nachzuprüfen; ein Beurteilungsspielraum der Strafverfolgungsbehörden besteht hierbei nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, BVerfGE 139, 245 Rn. 74; grundlegend BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 – 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142 Rn. 49 ff.).

BGH, 5 StR 165/23

Unterschätzen Sie nicht den Aspekt der „Gefahr im Verzug“ – in meiner Praxis habe ich schon die abstrusesten Dinge gesehen, bis hin zu Polizisten, die tatsächlich nach eigenem Gutdünken fremde Häuser betreten. Auch und gerade in diesen Fällen gilt, dass ein frühzeitig hinzugezogener Strafverteidiger sinnvoll ist.

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Jens Ferner

Strafverteidiger

Dabei haben sie die von der Verfassung vorgesehene „Verteilung der Gewichte“, nämlich die Regelzuständigkeit des Richters, zu beachten. Die daraus folgende Pflicht der Ermittlungsbehörden, sich regelmäßig um eine Durchsuchungsanordnung des zuständigen Richters zu bemühen, wird schon längst nicht mehr durch den abstrakten Hinweis verzichtbar, eine richterliche Entscheidung sei zur maßgeblichen Zeit üblicherweise nicht mehr zu erreichen:

Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen ebenfalls nicht aus, um die Annahme von Gefahr im Verzug zu begründen. Auch schließt das verfassungsrechtliche Gebot, dem Ausnahmecharakter der Eilkompetenz Rechnung zu tragen, aus, mit dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung zu warten, bis die Gefahr eines Beweismittelverlusts eingetreten ist.

Gefahr im Verzug: Rechtsanwalt & Strafverteidiger Ferner zur Gefahr im Verzug bei einer Hausdurchsuchung

Auf gar keinen Fallen bewegen sich Polizei und Staatsanwaltschaft bei einer wegen „Gefahr im Verzug“ im rechtsfreien Raum – hier stehen gerichtliche Kontrolle und ein im Raum!

Gerichtliche Kontrolle der Gefahr im Verzug

Abschliessend gilt, dass selbst herbeigeführte tatsächliche Voraussetzungen (etwa indem man bewusst lange wartet damit dann eine „Gefahr im Verzug“ anzunehmen ist) können die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen nicht begründen (BVerfG, 2 BvR 2718/10 und zusammenfassend Oberlandesgericht Düsseldorf, III-3 RVs 46/16). Dabei ist hervor zu heben, dass die Annahme der Gefahr im Verzug der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. So hat das (2 BvR 1444/00) zur Gefahr im Verzug klargestellt:

  • Auslegung und Anwendung des Begriffs „Gefahr im Verzug“ unterliegen einer unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die Gerichte sind allerdings gehalten, der besonderen Entscheidungssituation der nichtrichterlichen Organe mit ihren situationsbedingten Grenzen von Erkenntnismöglichkeiten Rechnung zu tragen.
  • Eine wirksame gerichtliche Nachprüfung der Annahme von „Gefahr im Verzug“ setzt voraus, dass sowohl das Ergebnis als auch die Grundlagen der Entscheidung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Durchsuchungsmaßnahme in den Ermittlungsakten dargelegt werden.

Dabei ist mit dem Bundesverfassungsgericht dafür Sorge zu tragen, dass ein richterlicher Eildienst existiert (siehe zuletzt BVerfG, 2 BvR 675/14). In Aachen ist längst ein umfassender richterlicher Eildienst eingerichtet.

Zeitliche Komponente bei Gefahr im Verzug

Allerdings steht es bei einer im Wege der Eilkompetenz erlassenen Durchsuchungsanordnung nicht im Belieben der Ermittlungsbehörden, wann sie von ihr Gebrauch machen. Insbesondere ist die für richterliche Anordnungen – vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls – anerkannte maximale Geltungsdauer von sechs Monaten nicht auf eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen übertragbar:

Schon allgemein gilt, dass jede Durchsuchungsanordnung durch Zeitablauf ihre rechtfertigende Kraft verliert, weil sich ihre Entscheidungsgrundlage im Lauf der Zeit vom Entscheidungsinhalt immer weiter entfernt. Sie darf nur vollstreckt werden, solange sich die für den Erlass maßgeblichen Umstände nicht wesentlich geändert haben (vgl. BVerfG aaO; LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 113; KK-StPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl., § 105 Rn. 9 f.). Für eine Eilanordnung kommt hinzu, dass sie schon ihrem Wesen nach nur Eingriffe zu legitimieren vermag, die im unmittelbaren Fortgang ins Werk gesetzt werden.

Nur für solche, keinen Aufschub duldende Maßnahmen besteht die Zuständigkeit der Ermittlungsbehörden, nur für solche darf sie ausgeübt werden und kann dann auch nur ein unverzügliches Handeln gestatten. Zudem liegt in einer Eilentscheidung der Staatsanwaltschaft, der anders als dem Ermittlungsrichter zugleich die Leitung der Ermittlungen obliegt und der Weisungskompetenz gegenüber der Polizei zukommt, die Anordnung der Durchsuchung und nicht nur deren Gestattung (vgl. § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO).

BGH, 5 StR 165/23
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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