Werbung für medizinisches Cannabis

OLG Frankfurt zur wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit arzneimittelbezogener Aussagen: Der therapeutische Einsatz von Cannabis ist seit der Gesetzesänderung 2017 zunehmend Teil medizinischer Praxis. Gleichzeitig werfen Werbung und Außendarstellung entsprechender Produkte komplexe lauterkeitsrechtliche Fragen auf.

In seinem Urteil vom 25. Januar 2024 (Az. 6 U 74/24) hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main nun mehrere Aussagen eines auf medizinisches Cannabis spezialisierten Unternehmens als wettbewerbswidrig eingestuft. Die Entscheidung verdeutlicht, dass auch im Umfeld verschreibungspflichtiger Arzneimittel das Heilmittelwerberecht (HWG) strenge Maßstäbe setzt – und dass Verstöße zugleich lauterkeitsrechtlich relevant sind.

Sachverhalt

Die Beklagte vertreibt medizinisches Cannabis an Apotheken und betreibt hierzu eine Webseite mit Informationen zu den Produkten, Einsatzbereichen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Der klagende Wettbewerbsverband beanstandete mehrere dort platzierte Aussagen als irreführend oder unzulässig, darunter:

  • die pauschale Behauptung, Cannabis sei „eine gute Wahl“ für chronische Schmerzen,
  • Aussagen über Studienergebnisse zur Wirksamkeit,
  • die Bezeichnung von Cannabisblüten als „Cannabinoid-Vollspektrumpräparat“,
  • Angaben zur Erstattungsfähigkeit durch gesetzliche Krankenkassen.

Das Landgericht Frankfurt hatte den Unterlassungsklagen teilweise stattgegeben. Das OLG bestätigte diese Entscheidung und untersagte weitere Aussagen mit detaillierter Begründung.

Juristische Analyse

1. Irreführung durch verallgemeinernde Wirksamkeitsaussagen

Zentraler Angriffspunkt war die Aussage, Cannabis sei „eine gute Wahl“ zur Behandlung chronischer Schmerzen. Das OLG wertet dies als Verstoß gegen § 3 Satz 1 Nr. 1 HWG. Nach dieser Vorschrift ist es unzulässig, Arzneimitteln Wirkungen beizumessen, die sie nicht haben, oder über deren Wirksamkeit irreführend zu informieren. Zwar ist medizinisches Cannabis bei bestimmten Indikationen verordnungsfähig – doch gerade bei chronischen Schmerzen ist die Studienlage uneinheitlich, und der therapeutische Nutzen hängt stark vom Einzelfall ab.

Das OLG hebt hervor, dass die Aussage „eine gute Wahl“ ein positives Werturteil mit einer generellen Empfehlungswirkung transportiert. Ein solches Urteil sei geeignet, bei Laien den Eindruck einer gesicherten Überlegenheit gegenüber Alternativpräparaten zu erwecken, was mangels belastbarer Studienlage irreführend sei.

2. Aussagen zur Studienlage und zur Evidenz

Die Beklagte hatte auf ihrer Website ferner einzelne Studien zur Wirksamkeit bei Schlafstörungen und chronischen Schmerzen zitiert. Das OLG stellte hierzu klar, dass auch eine Bezugnahme auf wissenschaftliche Studien dann wettbewerbswidrig sein kann, wenn sie selektiv oder aus dem Kontext gerissen erfolgt. Maßstab ist hier nicht die wissenschaftliche Debatte, sondern die mutmaßliche Wirkung auf den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Leser.

Die Wiedergabe von Studienergebnissen müsse stets durch Hinweis auf Gegenstudien oder methodische Grenzen relativiert werden. Eine bloß positive Darstellung – etwa durch Hervorhebung einzelner günstiger Ergebnisse ohne Einordnung in die Gesamtlage – sei unzulässig. Diese Rechtsprechung folgt der ständigen Linie des Bundesgerichtshofs zur „überzeugungslenkenden“ Werbung mit wissenschaftlichem Anstrich (vgl. BGH GRUR 2013, 649 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).

3. Verstoß gegen das Verbot von Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel gegenüber Laien (§ 10 Abs. 1 HWG)

Ein weiterer zentraler Aspekt der Entscheidung betrifft § 10 HWG. Danach ist Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb des Fachkreises grundsätzlich unzulässig. Das OLG bejaht für die Webseite der Beklagten, dass sie sich jedenfalls auch an Laien richtet. Zwar enthält sie auch Inhalte für Ärzte und Apotheker – dies reicht aber nicht aus, um den Verbraucherschutz durch § 10 HWG auszuschließen.

Insbesondere fehlen hinreichende Zugangsschranken wie Login-Bereiche oder Fachkreisbeschränkungen. Die bloße Textgestaltung oder Terminologie sei nicht geeignet, Laien effektiv auszusperren. Damit seien sämtliche produktbezogenen Aussagen auf der öffentlich zugänglichen Webseite an § 10 HWG zu messen – mit der Konsequenz, dass produktbezogene Empfehlungen (einschließlich Wirksamkeitshinweisen) unzulässig sind.

4. Begriffliche Irreführung: „Cannabinoid-Vollspektrumpräparat“

Auch die Bezeichnung von Cannabisblüten als „Vollspektrumpräparat“ beanstandet das Gericht als irreführend (§ 5 UWG). Der Begriff „Präparat“ werde im allgemeinen Sprachgebrauch mit einem standardisierten, kontrollierten und reproduzierbaren Arzneimittel assoziiert – nicht mit einer getrockneten Pflanze, deren Wirkstoffgehalt natürlichen Schwankungen unterliegt. Die Verwendung dieses Begriffs könne damit zu einer Fehlvorstellung über die pharmazeutische Beschaffenheit und Qualität führen.

Das Gericht betont, dass gerade bei medizinischem Cannabis, das bislang keine reguläre Zulassung durchlaufen hat, ein besonders strenger Maßstab an die Produktbeschreibung anzulegen ist. Der Begriff „Vollspektrum“ sei zudem wissenschaftlich uneinheitlich belegt und damit für werbliche Zwecke ungeeignet.

5. Angaben zur Erstattungsfähigkeit: Einschränkung durch Einzelfallprüfung

Die Werbung enthielt zudem die pauschale Aussage, Cannabis sei „in vielen Fällen erstattungsfähig“. Das OLG rügt diese Aussage als verkürzt. Zwar ist eine Kostenerstattung durch gesetzliche Krankenkassen bei bestimmten Indikationen grundsätzlich möglich (§ 31 Abs. 6 SGB V) – allerdings nur nach Einzelfallprüfung durch den MDK und mit Genehmigung der Kasse.

Diese komplexe Genehmigungspraxis werde in der Werbung nicht erwähnt, was beim Verbraucher den irreführenden Eindruck erwecke, es handele sich um eine Routineleistung. Auch dies verletze die Anforderungen an eine sachliche, nicht überzogene Patienteninformation.

Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Unternehmen, die medizinisches Cannabis vertreiben oder bewerben, müssen sich an den Maßstäben der evidenzbasierten, sachlich-neutralen Information orientieren. Die Entscheidung mahnt zur Zurückhaltung in der Außendarstellung und verdeutlicht: Wo Wissenschaftlichkeit behauptet wird, müssen auch die methodischen Einschränkungen mitgeliefert werden – sonst droht ein Verstoß gegen Wettbewerbsrecht und HWG.

Schlussfolgerung

Das Urteil des OLG Frankfurt markiert einen wichtigen Maßstab für die rechtliche Beurteilung werblicher Aussagen im Zusammenhang mit medizinischem Cannabis. Es zeigt, dass auch bei wachsender Akzeptanz dieses Therapieansatzes die strengen Grenzen des Heilmittelwerberechts gelten – insbesondere bei Aussagen über Wirksamkeit, Erstattungsfähigkeit und Produktcharakter.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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