Der fliegende Gerichtsstand im Wettbewerbsrecht

Das OLG Hamburg (5 U 65/22) hat in seinem Urteil die Frage des „fliegenden Gerichtsstands“ nach §14 UWG behandelt und dabei die und Tatsachenbehauptungen berücksichtigt. Zunächst wurde festgestellt, dass der „fliegende Gerichtsstand“ es einem Kläger ermöglicht, den Gerichtsstand frei zu wählen, was zu Missbrauch führen kann. Daher wurde eine Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands vorgenommen, die sich auf Verstöße im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien beschränkt.

Das Gericht hat zum „fliegenden Gerichtsstand“ nach §14 UWG dabei ausgeführt, dass die in §14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG enthaltene Begrenzung des „fliegenden Gerichtsstands“ nicht einschränkend auszulegen ist. Es wird davon ausgegangen, dass diese Begrenzung nur auf im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien begangene Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten anzuwenden ist. Das OLG Hamburg vertritt die Ansicht, dass der „fliegende Gerichtsstand“ auch für andere Verstöße im Wettbewerbsrecht gilt, die nicht speziell auf den elektronischen Geschäftsverkehr oder Telemedien beschränkt sind:

Nach Auffassung des Senats ist § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG dahingehend auszulegen, dass von der Beschränkung des Wahlrechts aus § 14 Abs. 2 S. 2 UWG im elektronischen Geschäftsverkehr und in Telemedien jedenfalls diejenigen Fälle ausgenommen sind, in denen nicht von einer besonderen Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens auszugehen ist (…)

Die Begründung des Ausschusses für die Änderung des § 14 Abs. 2 UWG macht deutlich, dass es darum ging, die Einschränkung des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung „auf die in diesem Zusammenhang besonders missbrauchsanfälligen Verstöße […], die auf Telemedien oder im elektronischen Geschäftsverkehr begangen werden“ zu begrenzen. Die Äußerungen in der Bundestagsdebatte – v.a. des Berichterstatters für die CDU/CSU-Fraktion – bringen zum Ausdruck, dass kein Unterschied gemacht wurde in Bezug auf die Beschränkung des Aufwendungsersatzes bei Abmahnungen und die Beschränkung des fliegenden Gerichtsstandes, soweit es um Zuwiderhandlungen im Internet ging. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Ausschuss in seinem letztlich vom Bundestag angenommenen Vorschlag den fliegenden Gerichtsstand stärker einschränken wollte als den Aufwendungsersatz für Abmahnungen. In Bezug auf beide Bereiche hatten die Regierungsfraktionen vor allem den Fall vor Augen, dass ein Wettbewerber einen (einfachen) Verstoß verfolgt, der von einer Vielzahl potenzieller Verletzer begangen wird (vgl. Jung, GRUR 2021, 986). Dass für den Ausschuss – und damit letztlich auch für den Gesetzgeber – die Möglichkeit bestanden hätte, den Wortlaut des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG dem Wortlaut des § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG anzugleichen, führt zu keiner anderen Betrachtung (a.A. OLG Düsseldorf GRUR 2022, 183 Rn. 39; Rüther, WRP 2021, 726, 730), da wie ausgeführt nicht erkennbar ist, dass die Abweichung im Wortlaut der beiden Vorschriften bewusst vorgenommen wurde. Auf die Begründung zum ursprünglichen Regierungsentwurf und die darin erkennbare Intention ist nicht abzustellen, da die Regelung durch den Ausschuss entscheidend verändert wurde (…)

Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für eine entsprechende Auslegung. Dass der Gerichtsstand des Ortes der Zuwiderhandlung im Grundsatz erhalten wird, aber im Bereich der Telemedien eine Einschränkung erfährt, ist allein mit der besonderen Missbrauchsanfälligkeit der Verfolgung entsprechender Verstöße zu begründen (so auch OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2022, 135 Rn. 11). Mittels technischer Mittel ist es möglich, das Internet nach potentiellen Verstößen zu durchsuchen, massenhaft abzumahnen und in der Folge gerichtliche Verfahren einzuleiten. Diese Missbrauchsgefahr realisiert sich vor allem in Fällen, in denen konkrete Vorgaben für die Gestaltung von (Online-)Angeboten bestehen – wie etwa bei den Impressumspflichten – und Verstöße daher ohne größeren Aufwand festgestellt werden können. In diesen Fällen würde es einen zusätzlichen Anreiz für ein massenhaftes Vorgehen darstellen, wenn der Anspruchsteller die Verfahren an einem Gerichtsstand seiner Wahl „bündeln“ könnte (so auch Jung, GRUR 2021, 986). Besteht der Grund für die unterschiedliche Behandlung von jenseits des Internets begangenen Verletzungshandlungen und „online“ begangenen Verletzungshandlungen in diesem besonderen Missbrauchspotential, so entspricht es Sinn und Zweck der Norm, diejenigen Fälle auszunehmen, in denen nicht von einem solchen Missbrauchspotential auszugehen ist.

Das Gericht stellte ferner fest, dass die Wiedergabe von Zitaten aus einem Video des Geschäftsführers der Klägerin Tatsachenbehauptungen darstellt, deren Wahrheit von der Klägerin nicht bestritten wurde. Die angegriffenen Passagen aus dem Video des Beklagten wurden hingegen als zulässige Meinungsäußerungen eingestuft. Das Urteil ist insoweit eine gelungene Zusammenfassung zum Thema Meinungsfreiheit im Konext einer wettbewerbswidrigen Herabsetzung:

Herabsetzung ist die sachlich nicht gerechtfertigte Verringerung der Wertschätzung des Mitbewerbers (oder seines Unternehmens und/oder seiner Leistungen) durch ein abträgliches Werturteil oder eine abträgliche wahre oder unwahre . Verunglimpfung ist eine gesteigerte Form der Herabsetzung und besteht in der Verächtlichmachung des Mitbewerbers ohne sachliche Grundlage (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 4 Rn. 1.12). Ob eine Herabsetzung oder Verunglimpfung vorliegt, beurteilt sich nach dem Eindruck der angesprochenen oder erreichten Verkehrskreise, soweit diese als Marktpartner des betroffenen Mitbewerbers in Betracht kommen (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 4 Rn. 1.13). Maßgebend ist die Sichtweise des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Adressaten der Äußerung (vgl. BGH GRUR 2019, 631 Rn. 30 – Das beste Netz; BGH GRUR 2005, 609 (610) – Sparberaterin II; BGH GRUR 2012, 74 Rn. 22 – Coaching-; BGH GRUR 2018, 622 Rn. 35 – Verkürzter Versorgungsweg II; Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 6 Rn. 165). Dies erfordert eine Gesamtwürdigung, bei der die Umstände des Einzelfalls, insbes. der Inhalt und die Form der Äußerung, ihr Anlass und der Zusammenhang, in den sie gestellt ist, sowie die Verständnismöglichkeiten des angesprochenen Verkehrs zu berücksichtigen sind (BGH GRUR 2021, 1207 Rn. 23 – Vorsicht Falle mwN).

Die Unzulässigkeit einer Äußerung darf also nicht aus den gewählten Formulierungen allein gefolgert werden; vielmehr sind sie im Gesamtzusammenhang zu betrachten und es ist eine Gesamtabwägung vorzunehmen (BGH GRUR 2018, 622 Rn. 40 – Verkürzter Versorgungsweg II). Im Rahmen der Gesamtwürdigung sind auch die widerstreitenden Interessen und die betroffenen Grundrechte der Beteiligten, nämlich die Meinungsfreiheit des Äußernden (Art. 5 Abs. 1 GG) und der Schutz des geschäftlichen Rufs des Mitbewerbers nach Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG, zu berücksichtigen und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeneinander abzuwägen (BGH GRUR 2018, 622 Rn. 15, 31 – Verkürzter Versorgungsweg II; BGH GRUR 2016, 710 Rn. 38 – Im Immobiliensumpf; BGH GRUR 2019, 644 Rn. 23 – Knochenzement III). Die Behauptung von unwahren Tatsachen, die einen Mitbewerber herabsetzen, ist stets wettbewerbsrechtlich unzulässig. Unwahre Tatsachenbehauptungen werden auch nicht vom Schutz der Meinungs- und (Art. 5 Abs. 1 GG) umfasst (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 4 Rn. 1.15 m.w.N.).

In Bezug auf die Meinungsfreiheit wurde festgestellt, dass Kritik in Inhalt und Form gerechtfertigt sein muss, um als zulässige Meinungsäußerung angesehen zu werden. Die dafür, dass eine Kritik gerechtfertigt ist, liegt beim Verletzer.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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