Das Landgericht Hamburg (308 O 710/09) hat sich mit dem Thema Filesharing beschäftigt und angeblich – man muss ja vorsichtig sein mit Pressemeldungen der Gerichte – zwei Feststellungen getroffen, die durchaus sehr interessant klingen:
- Es ging um zwei Lieder, bei denen ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 15 Euro pro Lied festgestellt wurde
- Hinsichtlich der Haftungsfrage von Eltern müssen wohl auch Ausführungen erfolgt sein
Bzgl. Punkt 1 muss ich feststellen, dass mir die bisherigen Ausführungen zur Höhe des Schadensersatzes bzgl. der Lizenzanalogie deswegen gefallen, weil hier endlich einmal überhaupt etwas gesagt wird. Allzu gerne wird in Entscheidungen zum Thema schlicht die Summe „150 Euro“ genutzt, ohne dass nähere Begründungen/Überlegungen erfolgen. Wenn es in Hamburg nun so gelaufen ist, dass man auf den Einzelfall blickte und hier abwog, wäre das ein überzeugender Schritt. Zugleich bedeutet das aber im Umkehrschluss: Diese Zahlen sind nicht verallgemeinerungsfähig. Wer dem LG Hamburg folgen möchte, der muss auf jede einzelne getauschte Datei blicken und mit den Kriterien Alter, Nachfrage und Zahl der Downloads eine Abstufung vornehmen. Und so überrascht es dann nicht, dass das AG Hamburg (36A C 172/10, Juni 2011) diese Urteilsgründe nicht verallgemeinerte und letztlich auf 150 Euro Schadensersatz pro Lied im konkreten Fall erkannte.
Warum ich auch sonst eher zurückhaltend bin bei der Bewertung dieser Entscheidung, soll ein Blick auf andere Entscheidungen verdeutlichen. Ich habe einfach einmal willkürlich ein paar Entscheidungen der Vergangenheit herausgegriffen, um zu verbildlichen, dass es sich hier um eine unter vielen Entscheidungen handelt:
Das LG Frankfurt a.M. (2/3 O 19/07) findet 150 Euro passend für ein Lied. Auch das Amtsgericht Frankfurt a.M. (29 C 549/08, 31 C 1684/09) hatte mit 150 Euro pro Lied kein Problem – allerdings werden da bei Filmen dann 250 Euro draus (AG Frankfurt a.M., 32 C 1539/08). Beim LG Düsseldorf (12 O 521/09, 12 O 68/10) findet man bei aktuellen Liedern 300 Euro pro Lied angebracht, beim Landgericht Hamburg (308 O 710/09) dagegen 15 Euro pro Lied, das LG Köln (28 O 594/10, 28 O 585/10) findet 200 Euro pro Lied passend, ebenso das OLG Köln (6 U 67/11). Das LG Düsseldorf (12 O 256/10) kommt auf 3.000 Euro Schadensersatz bei einem Upload von 10 Liedern.
Beim OLG Köln (6 U 31/10) waren mehr als 5.000 Euro bzgl. eines „KFZ-Diganose-Programms“ kein Problem und 200 Euro bei einem Computerspiel sind auch keines (so lese ich zumindest OLG Köln, 6 W 20/09). Das LG Köln (28 O 482/10) hatte mit einem Schadensersatz in Höhe von 510 Euro bei einem Computerspiel kein Problem, ebenso wohl bei 600 Euro (28 O 421/10) und zuletzt in LG Köln, 14 S 94/15:
Die Höhe der zu zahlenden Lizenzgebühr hat der Tatrichter gemäß § 287 ZPO unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls nach seiner freien Überzeugung zu bemessen (vgl. BGH Urteil vom 29.04.2010 – I ZR 68/08 – Restwertbörse I; Urteil vom 11.06.2015 – I ZR 19/14 – Tauschbörse I). Nicht entscheidend ist hingegen, ob der Verletzte überhaupt beabsichtigte, eine Lizenzierung vorzunehmen; die Zuerkennung einer angemessenen Lizenzgebühr kommt selbst dann in Betracht, wenn die vorherige Erteilung der Zustimmung als schlechthin undenkbar erscheint (vgl. BGH GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II) oder ob der Verletzer selbst bereit gewesen wäre, für seine Benutzungshandlungen eine Vergütung zu zahlen (vgl. BGH NJW-RR 1995, 1320, 1321). Zur Ermittlung der angemessenen Lizenzgebühr ist zu fragen, was ein vernünftiger Lizenzgeber und ein vernünftiger Lizenznehmer anstelle der Parteien für die Übertragung des Rechts auf die Beklagten vereinbart hätten, infolge dessen diese das streitgegenständliche Computerspiel im Internet im Rahmen eines Netzwerks für eine Vielzahl von Teilnehmern zum Download bereit halten durfte.
Für den Schadensersatzanspruch entspricht es unter Anwendung dieser Grundsätze der Rechtsprechung der Kammer, als Anhaltspunkt für die Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO auf die Beträge abzustellen, die für vergleichbare Nutzungsarten vereinbart werden. Der Kammer ist aus einer Reihe von Fällen gerichtsbekannt, dass bereits für die zeitlich und räumlich beschränkte Lizenz zum Anbieten einer Single im Internet Lizenzgebühren im vierstelligen Euro-Bereich vereinbart werden. Auch aus diesem Grund setzt die Kammer in ständiger Rechtsprechung für das Angebot von Musikaufnahmen über Filesharingnetzwerke im Internet für den Regelfall jeweils 200,00 EUR pro Musiktitel als angemessenen Schadensersatz an. Dies entspricht der obergerichtlichen (vgl. etwa OLG Köln, Urteil vom 06.02.2015 – 6 U 209/13; OLG Hamburg, Urteil vom 05.11.2013 – 5 U 222/10; OLG Frankfurt, Urteil vom 15.07.2014 – 11 U 115/13; Urteil vom 16.12.2014 – 11 U 27/14) und auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Urteile vom 11.06.2015 zu I ZR 4/14, I ZR 19/14 und I ZR 75/14 – Tauschbörse I-III; Urteil vom 12.05.2016 – I ZR 48/15 – Everytime we touch).
Vor diesem Hintergrund hält die Kammer ebenfalls in ständiger Rechtsprechung Schadensersatzverlangen im Bereich von 400,00 EUR bis 600,00 EUR für das rechtswidrige Download-Angebot im Internet im Rahmen eines Filesharingnetzwerks für einen kompletten Film und auch ein Computerspiel für angemessen. So hat die Kammer in vergleichbaren Fällen einen Lizenzschaden von 500,00 EUR bezüglich eines Computerspiels als angemessen angesehen (Urteil vom 11.02.2016 – 14 S 23/14; vgl. zu einem Schadensersatzbegehren in Höhe von 510,00 EUR auch den Rechtstreit vor der Kammer 14 O 277/13, bestätigt durch Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 24.01.2016 – 6 W 7/14). Im Hinblick darauf, dass die streitgegenständlichen Rechtsverletzungen unmittelbar nach Erstveröffentlichung des Computerspieles erfolgten und damit in besonderem Maße geeignet waren, die der Klägerin gleichfalls zustehenden ausschließlichen Vertriebsrechte zu beeinträchtigen, erachtet die Kammer vorliegend einen 500,00 EUR übersteigenden Schadensersatzanspruch für angemessen. Der von der Klägerin geltend gemachte Teil-Schadensersatz von nur 500,00 € ist deshalb jedenfalls begründet.
Beim AG Halle (95 C 3258/09) war man dagegen mit 100 Euro bei einem Film bereits zufrieden, während das LG Hamburg (310 O 367/10) 1.000 Euro Schadensersatz bei einem pornographischen Film angemessen fand. Aktuell geht das AG Hamburg (35a C 154/11) bei einem Film allerdings von 250 Euro aus.
An dieser Stelle verdeutlicht sich: Man kann sich – auch erfolgreich – über die Höhe des Schadensersatzes streiten. Was am Ende dabei raus kommt, ist aber unkalkulierbar, das Risiko für Abgemahnte (wenn es sich nicht um sehr alte Lieder handelt) doch enorm. Zumindest 150 Euro pro Lied erscheint derzeit ein zu erwartender Maßstab zu sein.