Pflichtverteidiger nur für einen Hauptverhandlungstermin bestellt: Beiordnung endet mit Ablauf dieses Hauptverhandlungstags

Das , 1 ORs 44/23, betont mit merkwürdiger Begründung, dass dann, wenn ein nur für einen Hauptverhandlungstermin bestellt ist, seine Bestellung mit Ablauf dieses Hauptverhandlungstages endet:

Zum Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung am 20. September 2022 war Rechtsanwalt H. dem Angeklagten nicht (mehr) als Pflichtverteidiger beigeordnet. Dieser ist dem Angeklagten am 14. September 2022 nicht als zusätzlicher Pflichtverteidiger gemäß §  144 Abs. 1 , sondern lediglich als „Terminsvertreter“ für den aufgrund Erkrankung am Erscheinen verhinderten Rechtsanwalt F. beigeordnet worden. Dies folgt bereits aus der typischen Vertretersituation mit Blick auf die Erkrankung des Pflichtverteidigers sowie dem Wortlaut des Beschlusses des Vorsitzenden der Berufungsstrafkammer vom 14. September 2022, wonach eine Beiordnung von Rechtsanwalt H. „für den heutigen Tag als notwendiger Pflichtverteidiger“ erfolgt ist.

Eine solche, zeitlich beschränkte Beiordnung auf einen Hauptverhandlungstag ist zulässig (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26. März 2010, 2 Ws 129/10, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Juli 2008, 3 Ws 281/08, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 144 Rn. 4; Krawczyk in BeckOK, StPO, 46. Edition, § 144 Rn. 4; Allgayer in Münchener Kommentar, StPO, 1. Auflage, § 297 Rn. 9) und hat zur Folge, dass der bestellte Verteidiger während der Dauer der Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat, seine Bestellung indes aufgrund der von vorherein angeordneten zeitlichen Begrenzung der Beiordnung mit Ablauf des Hauptverhandlungstages – hier dem 14. September 2022 – endet (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Juli 2008, 3 Ws 281/08, juris). Im Ergebnis lag mithin eine Beiordnung von Rechtsanwalt H. zum Pflichtverteidiger am 20. September 2022, die ihn zur Einlegung der Revision berechtigt hätte, nicht (mehr) vor.

Schon die Wortwahl ist seltsam, da das Strafrecht einen „Terminsvertreter“ – und mag man das Wort auch in Anführungszeichen setzen – nicht kennt. Spätestens seit der letzten Reform der Pflichtverteidigung kennt das Gesetz auch weder einen temporären noch einen bedingten Pflichtverteidiger. Der einzig saubere Weg ist, bei Verhinderung einen Verfahrenssichernden Pflichtverteidiger nach §144 Abs.1 StPO (Alternative „zügige Durchführung“) beizuordnen und dessen Beiordnung nach §144 Abs.2 StPO dann wieder aufzuheben.

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Der einzige Grund, nicht die vom Gesetz klar geregelte Struktur einzuhalten, wäre, dass man bei einem „Terminsvertreter“ versucht, das Entstehen von Grund- und Verfahrensgebühr zu verhindern (sicherlich eine der größten, aber unberechtigten Sorgen des OLG Köln scheint nach hiesigem Eindruck ohnehin zu sein, dass Anwälte für ihre Arbeit bezahlt werden). Dass damit aber zugleich dokumentiert wird, dass man Verteidiger ins Verfahren setzt, die im Zweifel die Akte nicht gelesen haben (weil niemand, auch OLG Richter nicht, kostenlos arbeitet) würde erhebliche Sorgen am Verständnis fairer Verteidigung wecken. Es bleibt die naive Hoffnung, dass man sich demnächst wieder mehr am Gesetz orientiert bei derart einfachen verfahrensrechtlichen Fragen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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