Kann einem Arbeitnehmer wegen Stromdiebstahls gekündigt werden? Auch wenn die rechtswidrige Verletzungshandlung des Arbeitnehmers nur Sachen von geringem Wert betrifft, ist die Verletzung des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich geeignet. Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der private Stromverbrauch im Betrieb des Arbeitgebers üblich ist, d.h. zahlreiche privat mitgebrachte elektronische Geräte wie Kaffeemaschinen, Radios und Mikrowellengeräte betrieben und darüber hinaus Mobiltelefone aufgeladen werden (Landesarbeitsgericht Hamm, 16 Sa 260/10).
In diesem Fall ging es um einen aufgeladenen Elektroroller:
Über die vom Arbeitsgericht in der Interessenabwägung bewerteten Gesichtspunkten hinaus war für die Kammer auch von Bedeutung, dass der Stromverbrauch aus privaten Gründen bei der Beklagten jedenfalls zum Zeitpunkt der Kündigung gängig war. Es ist unstreitig, dass im Betrieb der Beklagten zahlreiche privat mitgeführte elektronische Gegenstände betrieben wurden, wie Kaffeemaschinen, Radios und Mikrowelle. Darüber hinaus wurden aber auch Handys aufgeladen. Zwar mag die Duldung der Stromentnahme in diesen Zusammenhängen nicht dazu führen, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Klägers zu verneinen, wie das Arbeitsgericht auf S. 13 des Urteils ausgeführt hat. Im Rahmen der Interessenabwägung ist diese Praxis jedoch zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Sie lässt den Grad des Verschuldens des Klägers als geringfügig erscheinen.
Es gab insoweit eine Grauzone – der genaue Umgang mit diesen Geräten war nicht geklärt. Die Beklagte selbst hat vorgetragen, dass der Personalleiter der Beklagten wegen der Benutzung dieser Geräte zweimal pro Jahr Kontrollgänge durchführt, um Missstände zu unterbinden. Dies bedeutet zugleich, dass unterhalb einer Schwelle, die als Missstand anzusehen ist, Stromverbrauch zu privaten Zwecken nicht von der Beklagten beanstandet wird. Bei Kosten in Höhe von 1,8 Cent dürfte diese Schwelle kaum erreicht worden sein. Soweit es sich bei dem Elektroroller um einen Gegenstand handelt, der mit den üblicherweise eingesetzten elektronischen Geräten nicht vergleichbar ist, hätte eine Abmahnung, der eine Hinweisfunktion innewohnt, sicherstellen können, dass die Interessen der Beklagten in Zukunft gewahrt werden.
Die Abmahnung ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt, der durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren hat, ist auch bei Störungen des Vertrauensbereichs zu beachten.
Eine vorherige Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei der die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. Selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Eigentums- oder Vermögensdelikte kann es Fälle geben, in denen eine Abmahnung nicht ohne Weiteres entbehrlich erscheint. Dies gilt etwa, wenn dem Arbeitnehmer zwar die Verbotswidrigkeit seines Verhaltens hinreichend klar ist, er aber Grund zu der Annahme haben durfte, der Arbeitgeber würde dieses nicht als ein so erhebliches Fehlverhalten werten, dass dadurch der Bestand des Arbeitsverhältnisses auf dem Spiel stünde (BAG vom 23.06.2009, 2 AZR 103/08, NZA 2009, 1198 m.w.N.).
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