Das Bundesverfassungsgericht (2 BvL 11/22; 2 BvL 15/22) hat erste amtsgerichtliche Vorlagen zur Verfassungsmäßigkeit des §184b StGB mangels Zulässigkeit zurückgewiesen. Leider bietet die mutlose Entscheidung, die einen faden Beigeschmack hat, kaum Anhaltspunkte für die Praxis und dürfte die gesamte Situation nun sogar noch verschlimmern.
Hintergrund der Vorlagen
Auch wenn es um den Komplex Kinderpornographie geht, müssen Laien sich zurücknehmen und erst einmal lesen, bevor man sich aufregt: Nicht nur Strafverteidiger, sondern auch Ermittler selber sind überzeugt, dass die aktuelle Fassung des §184b StGB, der mit der Bekämpfung von Kinderpornografie eine gute Intention hat, vollkommen an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht. Bemerkenswert war seinerzeit der Auftritt einer Oberstaatsanwältin im Gesetzgebungsverfahren, die eindrücklich vor den Gefahren dieser Fassung des Gesetzes gewarnt hatte.
Wir merken das in unserer Kanzlei im Kleinen bereits ganz konkret: Wo es früher um Menschen mit gefährlichen und ungesunden Neigungen ging, haben wir heute vor allem Kinder, Jugendliche und unbedarfte Eltern. Hinzu kommt eine beachtliche Zahl von Fällen, in denen jemand selber Missbrauchsopfer gewesen ist und Kompensationshandlungen ohne sexuellen Hintergrund entwickelt hat (ich hatte zu einem exemplarischen Einzelfall berichtet). Zahlreiche Gerichte haben Verfahren derzeit mit Beschluss oder schlicht faktisch durch Abwarten ausgesetzt, weil man die Problematik sieht und auf den Ausgang dieses Verfahrens gewartet hat.
Das Problem ist, dass wir in der Praxis regelmäßig Fälle haben, die niemand vor Gericht sehen möchte: Da aber der Tatbestand nun ein Verbrechen ist, kann man nichts mehr einstellen, sondern die Staatsanwälte müssen anklagen! Und da es dann nicht mal einen minder schweren Fall gibt, kann man gar nicht mehr sachgerecht auf die Dinge reagieren, die fernab der Kinderpornografie liegen.
Entscheidung des BVerfG
Es geht in der Entscheidung um die Vorlagen aus München und Wuppertal, zu denen das BVerfG festhält:
- Die Vorlage des Amtsgerichts München ist schon deshalb unzulässig, weil der Vorlagebeschluss aus sich heraus nicht verständlich ist. Das Amtsgericht München lässt eine hinreichende Sachverhaltsdarstellung vermissen und führt in seinem Vorlagebeschluss lediglich zu fiktiven Beispielfällen aus.
- Die Vorlage des Amtsgerichts Wuppertal ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil das Amtsgericht im Vorlagebeschluss nicht hinreichend darlegt, dass und warum das angeklagte Tatgeschehen dem Tatbestand des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB unterfällt. Aus dem Vorlagebeschluss erschließt sich nicht, warum das Amtsgericht davon ausgehen zu können meint, dass es sich bei der vom Angeschuldigten verbreiteten Datei um einen „pornografischen Inhalt“ im Sinne des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB handelt.
Beides irritiert. Der Beschluss des AG München ist hier zu finden, was daran aus sich heraus nicht verständlich sein soll, erschließt sich mir nicht (konkreter Sachverhalt bei Rn.22). Es wird konkret die Problematik vorgebracht, sodann fiktiv erweitert und im Übrigen an Beispielen (zulässig) die Intention des Gesetzgebers auf den Prüfstand gestellt im Rahmen der Begründung. Es mag sich jeder ein eigenes Bild von dem Beschluss machen, der unter Strafverteidigern viel Beachtung gefunden hat und auch in der einzigen mir bekannten Besprechung (NJW-Spezial 2022, 730) nicht als sonderlich schwer zu verstehen kritisiert wurde. Insgesamt, ich kann es nicht anders sagen, empfinde ich es schlicht als stillos und unverschämt, wie mit der (überzeugenden) Arbeit des Münchener Kollegen hier umgegangen wurde.
Was man dann zum AG Wuppertal schreibt, dagegen macht mich fassungslos bis nahezu wütend. Man führt zu dem meines Wissens bisher nicht publizierten Beschluss aus:
§ 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB setzt schon nach seinem Wortlaut voraus, dass es sich um „pornographischen Inhalt“ handelt. In Rechtsprechung und Schrifttum wird – auch wenn der Begriff der Pornographie des § 184 StGB insoweit nicht vollständig übertragen wird – für die Verwirklichung des Tatbestandes verlangt, dass die Vermittlung sexueller Inhalte ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize beim Betrachter ausgerichtet ist (vgl. BGHSt 59, 177 <178 Rn. 43, 179 Rn. 49>; BTDrucks 18/3202, S. 27; Hörnle, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 184b Rn. 14; Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 184b Rn. 5; Ziegler, in: BeckOK StGB, 54. Edition Stand 1.8.2022, § 184b Rn. 3).
Das ist hier zweifelhaft, da das Amtsgericht selbst annimmt, dass die Bilddatei nicht auf die Befriedigung sexueller Bedürfnisse ihrer Betrachter ausgelegt ist, sondern im Internet als „Spaßvideo“ kursiert. Das Bundesverfassungsgericht ist zwar an die einfachrechtliche Einordnung des vorlegenden Gerichts grundsätzlich gebunden (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 133, 1 <10 f. Rn. 35>). Das enthebt das vorlegende Gericht indes nicht der Aufgabe, sich mit den in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen auseinanderzusetzen, die dazu führen könnten, dass es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Norm nicht mehr ankommt, weil deren tatbestandliche Voraussetzungen schon nicht erfüllt sind. Das ist hier nicht geschehen.
Ich bin mir unsicher, ob man beim BVerfG in der Lage ist, am praktischen Leben teilzunehmen: Offenkundig (!) handelt es sich um ein Meme (ich kann mir sogar denken welches, da ich vom Sachverhalt her passende Verfahren hier habe), das keineswegs lustig ist, sondern als geschmackloses, vermeintlich spaßiges Video kursiert. Lassen wir dahinstehen, dass das BVerfG den Bereich „lustiger Kinderpornografie“ konstruiert, weil man zwar faktisch etwas pornografisches mit Kindern sieht, aber das lustig und nicht sexuell erregend sein soll: Diese unwürdigen Diskussionen haben wir in der Praxis halbwegs aus dem Gerichtssaal verbannt, zumal hier die Unschärfe zwischen objektiven und subjektiven Kriterien faktischer Willkür die Tore öffnet. Ich frage mich, wie man sich beim BVerfG die Praxis im Gerichtssaal bei diesen „Dual Use“-Videos vorstellt.
Ärgerliche Zurückweisung
Sehr viele Praktiker in diesem Land haben auf diese Entscheidung gewartet, um nicht zu sagen: Man ist zwingend darauf angewiesen. Für mich hat es den deutlichen Geschmack, dass man sich hier die Finger nicht verbrennen wollte, vielleicht auch gar nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht (was erklären würde, warum die Entscheidung leise publiziert wurde und nicht mal eine Pressemitteilung erhalten hat).
Dabei ist es in der Tat so, dass die formellen Voraussetzungen für eine Vorlage nach Art. 100 I GG sehr hoch sind. Warum man dann aber den Kollegen bei den Fachgerichten nicht die Gelegenheit zur Nachbesserung unter konkreten Hinweisen gibt, sondern vielmehr die Hürden so hoch legt, dass sich verständlicherweise kein weiterer Richter mehr die Finger verbrennen möchte, weil man Sorge hat sich zu blamieren (tut man nicht, aber ich verstehe, dass man das so empfindet) ist doch nur nachvollziehbar. Zumal man sich vor Augen halten muss, dass der durchschnittliche Richter am Amtsgericht eine Vielzahl laufender Verfahren hat und sich nicht mal eben ein paar Wochen allein für einen Vorlagebeschluss nehmen kann.
Folgen für die Praxis
Die Folgen für die Praxis sind enorm, ich befürchte, vielen – auch nicht beim BVerfG – ist noch nicht ganz klar, was diese wirklich ärgerliche Vorgehensweise bedeutet:
- Konkrete Verfahren in denen ausgesetzt war: Entsprechend Art. 100 I GG hat der Richter, der Zweifel an einer Norm hat, diese zwingend vorzulegen und das Verfahren auszusetzen, ein Ermessen gibt es nicht. Die Richter, die das nun getan haben, müssen genau überlegen, ob diese Zweifel beseitigt sind und wie das auf einmal gekommen sein soll; sie sind genau genommen gezwungen, umgehend eine neue Vorlage mit korrigierter Begründung aufzusetzen – und das so lange, bis die Hürde der Unzulässigkeit überwunden wurde;
- Andere Verfahren, die ausgesetzt waren: Alle Richter, die ausgesetzt haben, mit Blick auf die Vorlage beim BVerfG, werden sich fragen müssen, ob sie damit nicht schon Zweifel dokumentiert haben; falls ja müssen sie genau genommen jetzt eigene Vorlagebeschlüsse zimmern, da bereits der Blick auf die bisherige Aussetzung zeigt, dass man genau genommen nicht wegen gleich gelagerter Vorlagen in anderen Verfahren aussetzen darf, sondern vielmehr immer zwingend vorlegen muss (in jedem Kommentar zur Aussetzung nachzulesen, das ist nichts Neues, es war aber bisher sinnvoll, das zu ignorieren; zur Vertiefung Karlsruher Kommentar, §228 Rn.2, mit ausdrücklicher Bezugnahme auf gleichgelagerte Verfahren); Richter müssen daran denken, dass eine Befangenheit im Raum steht, wenn man seine Bedenken aus sachfremden Motiven ignoriert;
- Strafverteidiger: Diese Verfahren sind für uns nie leichtes Brot, jetzt wird es noch nerviger – zuvorderst sollte in bereits ausgesetzten Verfahren mit Blick auf das immer noch anhängige Verfahren beim BVerfG – 2 BvL 3/23 die weitere Aussetzung angeregt werden; sodann sollte stilvoll die Diskussion mit dem Gericht über das weitere Vorgehen geführt werden, etwa ob dies nicht schon als Zeitgewinn sinnvoll ist mit Blick auf die Ankündigung der Justizminister, dass man den Zustand nicht beibehalten möchte;
aus meiner Sicht ist es jedenfalls absolut unvertretbar, nicht zwingend alles bis in die Revision zu führen, um sodann wenigstens die Türe für eigene Verfassungsbeschwerden offenzuhalten. Mit der Rüge der Befangenheit wäre ich persönlich in dieser komplexen und für alle nun vergifteten Situation zurückhaltend. Es ist bedauerlich, dass das BVerfG diese Mehrarbeit – auch für sich selbst – verursacht hat, weil man unbedingt nach Schema F diese heiße Kartoffel vom Teller haben wollte.
Ich tue mich übrigens bis heute schwer, mit der Frage, wo die Diskussion als zielgerichtete Stoßrichtung geführt werden sollte. Es bietet sich an, nur dort, wo auch ein minder schwerer Fall in Betracht kommt, hierzu aktiv zu diskutieren. Dies mag auch ein sinnvoller Weg sein; allerdings lässt sich nicht wegreden, dass auch in einem normalen Strafrahmen die (nicht-)Existenz eines vom Gesetz vorgesehenen minderschweren Fällen eine Rolle spielen kann, etwa bei der Frage, wie man ein Tatverhalten bewertet und wo man sich im Strafrahmen bei niedrigschwelligen Taten orientiert.
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