Branchenbuch-Abzocke: Täuschung bei mangelnder wirtschaftlicher Werthaltigkeit?

Das Amtsgericht Bonn hat sich mit Urteil vom 06.04.2011 (101 C 453/10) mit einem fragwürdigen -Anbieter beschäftigt. Der angebliche und zahlungsunwillige „Kunde“ hatte negative Feststellungsklage erhoben. Im Ergebnis verneint das Amtsgericht Bonn eine Zahlungspflicht und stellt derweil gleich die wichtigsten Fragen klar.

Zuerst einmal ist auch beim Amtsgericht Bonn die negative Feststellungsklage am Wohnsitz des angeblichen Schuldners in solchen Fällen möglich (zu der Frage siehe meine Darstellung hier):

Das Amtsgericht Bonn ist örtlich zuständig, § 12 ZPO, da für eine negative Feststellungsklage dasjenige Gericht zuständig ist, das für eine Leistungsklage umgekehrten Rubrums zuständig wäre (vgl. Zöller/Vollkommer, § 12 Rn. 3).

Des Weiteren hat das AG Bonn auf einen wichtigen Umstand hingewiesen: Manche Anbieter schreiben (warum auch immer) in ihren AGB, dass man sich die „Annahme vorbehält“ und diese schriftlich mitgeteilt wird. In diesem Fall wurde keine Annahmeerklärung vorgenommen. Das Amtsgericht liess als konkludente Annahmeerklärung auch nicht den erfolgten Eintrag ausreichen, ebenso war die Annahmeerklärung nicht überflüssig. Dazu das Gericht:

Die Beklagte macht in ihrem Formular ausdrücklich deutlich, dass sie sich vorbehält, Angebote abzulehnen oder zu korrigieren, soweit diese nicht zu ihrem Gesamtangebot passen. Insbesondere aufgrund dieses sehr unkonkret formulierten Vorbehaltes ergibt sich aus den Umständen, dass die Klägerin eine Annahmeerklärung nach der Verkehrssitte zu erwarten hatte. Selbst wenn die entsprechende Klausel aber wirksam sein sollte und eine konkludente Annahme erfolgt sein sollte, verkennt die Beklagte, dass ihren eigenen Bedingungen nach eine Annahme nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen kann. Dies hat die für den Vertragsschluss darlegungs- und beweisbelastete Beklagte aber schon nicht vorgetragen, obwohl sich die Erforderlichkeit dieses Vortrags schon aus ihren eigenen Geschäftsbedingungen ergibt, deren Kenntnis durch die Beklagte ohne Weiteres vorausgesetzt werden muss. Zudem lässt die Übersendung der Rechnung am 19.10.2010, also über sechs Wochen nach der Abgabe des Angebots durch die Klägerin, vermuten, dass die erst unmittelbar vor Rechnungsstellung erfolgt ist und die Beklagte daher die von ihr selbst gesetzte Annahmefrist nicht eingehalten hat.

Bei manchen Anbietern also bereits ein „Einfallstor“ mehr, das genaue Studium der AGB lohnt sich insofern in jedem Fall. Das ebenfalls beliebte „Argument“, man hätte halt genau aufpassen müssen bei dem, was man da unterschreibt, wird vom Amtsgericht Bonn, unter Rückgriff auf LG Köln (9 S 139/07), ebenfalls abgebügelt:

Soweit der beim Kunden durch ein rechtserhebliches Täuschungsverhalten der Beklagten ausgelöst worden ist, so scheitert die Möglichkeit zur Vertragsanfechtung nicht daran, dass der Irrtum des Kunden auch auf eigener Fahrlässigkeit im Umgang mit seiner geschäftlichen Post beruht.

Zur Annahme einer Täuschung wird wie inzwischen schon üblich festgestellt:

Insbesondere in Fällen, in denen der Verfasser eines Vertragsangebots mittels Aufmachung und Formulierung eine Art der Gestaltung wählt, die objektiv geeignet und subjektiv bestimmt ist, beim Adressaten eine fehlerhafte Vorstellung über die tatsächlichen Angebotsparameter hervorzurufen, kann eine Täuschung selbst dann angenommen werden, wenn der wahre Charakter des Schreibens bei sorgfältigem Lesen hätte erkannt werden können (vgl. BGH, NJW 2001, 2187). Die jeweilige Täuschung muss mithin planmäßig eingesetzt worden und nicht bloß Folge, sondern Zweck des Handelns sein (BGH, NJW 2001, 2187). So kommt es nach der Rechtsprechung des BGH bei einer lediglich irreführenden Darstellung im Angebotsschreiben vor allem darauf an, wie stark maßgebliche Vertragsparameter verzerrt oder entstellt aufbereitet worden sind.
Vorliegend führt die Gesamtschau der Umstände zumindest zu der Annahme einer von der Beklagten in Kauf genommenen, wenn nicht sogar zu einer von ihr beabsichtigten Täuschung der von ihr angeschriebenen Ärzte. Es ist angesichts der Gesamtumstände, insbesondere des gewählten Angebotstextes anzunehmen, dass die Beklagte davon ausging, die Klägerin würde bei Kenntnis aller Umstände die begehrte Willenserklärung nicht abgeben, und deshalb den Angebotscharakter verschleierte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin nicht als Privatpartei, sondern als Ärztin handelte. Die anzunehmende Fahrlässigkeit der Klägerin im Umgang mit ihrer Post hindert vorliegend nicht den Schluss auf eine arglistige Täuschung der Beklagten.

Viel interessanter ist, dass man bei „fehlender wirtschaftlicher Werthaltigkeit“ zusätzliche Pflichten verlangt – ein Absatz, der vielen gefallen wird:

Zusätzlich spricht für die Täuschungsabsicht auch die fragliche wirtschaftliche Werthaltigkeit der angebotenen Leistung (AG Bonn, aaO). Zwar ist die (mangelnde) Werthaltigkeit der Leistung kein Anfechtungsgrund als solcher, da jedem im Wirtschaftsleben unter Berücksichtigung der Vertragsfreiheit unbenommen ist, auch wirtschaftlich sinnlose Verträge zu schließen (vgl. AG Bonn, Urteil v. 10.05.1995, 3 C 41/95; Urteil v. 19.05.2008, 3 C 436/07). Jedoch steigen die Transparenzanforderungen an ein Vertragsangebot proportional zum Grad der Geringwertigkeit der angebotenen Leistung. Die Missachtung dieser im Einzelfall festzustellenden Transparenzanforderungen spricht für die Täuschungsabsicht des Anbietenden. Mit anderen Worten: Je weniger wirtschaftlich werthaltig die offerierte Leistung ist, desto höher sind die Anforderungen an die Hinweis-, Transparenz und Verständlichkeitsanforderungen des Vertragsangebots. Die fragliche wirtschaftliche Werthaltigkeit der angebotenen Leistung folgt hier schon daraus, dass sie von Konkurrenzunternehmen kostenlos angeboten wird.

Das Urteil bietet im Ergebnis weitere Argumente für die Gegenwehr – es zeigt sich aber zugleich, dass mitunter, um endgültig „Ruhe zu haben“, nur eine mit dem üblichen Risiko notwendig ist. Das Thema „Branchenbuch-Abzocke“ bleibt aktuell, beachten Sie dazu auch die weiteren Artikel zum Thema (unter diesem Artikel aufgelistet). 

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht.