Durchaus überraschend wenn auch nicht vollkommen fernliegend hat der Bundesgerichtshof (I ZR 276/14) sich zur Frage geäußert, wie man mit am Telefon geschlossenen Verträgen umgeht, die nach einem unverlangten Werbeanruf zu Stande gekommen sind. Die bisherige Rechtsprechung nahm hier teils unwirksame Verträge an, teils einen Schadensersatzanspruch in Höhe des aus dem Vertrag geschuldeten Betrages, so dass am Ende im Ergebnis keine Zahlungspflicht stand. Damit hob er frühere Entscheidungen des AG Bonn und des LG Bonn auf.
Der Bundesgerichtshof dürfte dieser Rechtsprechung nun zumindest in der bisherigen Form ein Ende bereitet haben, wie bereits die Leitsätze vermuten lassen
- Ein auf eine unzulässige Telefonwerbung gemäß § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 UWG gestützter Schadensersatzanspruch erfasst nur solche Schäden, die vom Schutzbereich dieser Bestimmung erfasst sind.
- Gegenstand des Schutzes gemäß § 7 Abs. 1 UWG ist die Verhinderung des Eindringens des Werbenden in die Privatsphäre des Verbrauchers und die geschäftliche Sphäre, insbesondere die Ungestörtheit der Betriebsabläufe des sonstigen Marktteilnehmers; es soll verhindert werden, dass dem Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer Werbemaßnahmen gegen seinen erkennbaren oder mutmaßlichen Willen aufgedrängt werden. Verhindert werden soll darüber hinaus, dass die belästigende Werbung zu einer Bindung von Ressourcen des Empfängers (z.B. Zeitaufwand, Kosten für Faxpapier, Vorhaltekosten von Empfangseinrichtungen, Entsorgungskosten) führt.
- § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG bezweckt nicht den Schutz der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer vor Belästigungen durch Werbeanrufe.
Unverlangter Werbeanruf: Unwirksamer Vertrag?
Der vorliegende Sachverhalt war etwas spezieller: Es gab zuerst einen Werbeanruf, bei dem dann die Einwilligung in weitere Anrufe erteilt wurde, im zweiten Anruf dann wurde der Vertrag geschlossen. Hier jedenfalls sieht der BGH keine Bedenken hinsichtlich des wirksamen Vertragsschlusses:
Der zur Belastung mit der Zahlungsverbindlichkeit führende Vertragsschluss ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts bei dem zweiten Telefonat erfolgt. Der zweite Anruf war jedoch durch die zuvor von der Beklagten ausdrücklich erklärte Einwilligung gedeckt, so dass insoweit die Annahme einer unerlaubten Handlung gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG sowie § 823 Abs. 1 BGB ausscheidet.
Der Umstand, dass der erste Anruf, bei dem die Beklagte ihre Einwilligung in einen weiteren Anruf erklärt hat, möglicherweise nicht durch eine ausdrücklich erklärte oder mutmaßliche Einwilligung der Beklagten gedeckt war, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts gehört eine von ihm insoweit angenommene Überrumpelungssituation und die damit einhergehende Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit nicht zum Bereich der Gefahren, die § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG verhindern will. Es ist vom Berufungsgericht auch nicht festgestellt noch sonst ersichtlich, dass der Vertragsschluss als eine Folge der Störung der Betriebsabläufe der Beklagten durch den ersten Telefonanruf anzusehen ist.
Diese Absätze sind durchaus schwierig zu deuten, wenn es um die Frage geht, ob ein solch geschlossener Vertrag letztlich nach §134 BGB nichtig wäre. Der BGH sagt weder ausdrücklich ja noch nein, lässt aber die Einwilligung aus dem ersten Telefonat auf der einen Seiten rechtswirksam im Raum stehen, verweist dafür auf der anderen Seite aber darauf, dass zumindest eine unerlaubte Handlung im Raum stehen könnte. Hier mag letztlich der doch etwas besondere Einzelfall ausschlaggebend sein.
Kein Schadensersatz bei unerlaubten Werbeanruf
Der BGH erinnert an die allgemeinen Grundsätze des Schadensersatzrechts, nämlich dass nur der vom jeweiligen Schutzbereich erfasste Schaden auch erstattungsfähig ist – und zeigt dann auf, dass der Schutzbereich hier nicht in der Überrumpelung und dem ungewollten Vertragsabschluss liegt:
Ersatzfähig ist nur der Schaden, der vom Schutzbereich der verletzten Norm erfasst ist (…) Eine Haftung besteht nur für diejenigen äquivalent und adäquat verursachten Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde (…)
Die Bestimmung des § 7 UWG, dessen Maßstäbe zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch im Rahmen der Prüfung eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß § 823 Abs. 1 BGB zur Anwendung kommen (…) soll Markt- teilnehmer vor einer unzumutbaren Belästigung bewahren (§ 7 Abs. 1 Satz 1 UWG). Gegenstand des Schutzes ist die Verhinderung des Eindringens des Werbenden in die Privatsphäre des Verbrauchers und die geschäftliche Sphäre, insbesondere die Ungestörtheit der Betriebsabläufe des sonstigen Marktteilnehmers; es soll verhindert werden, dass dem Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer Werbemaßnahmen gegen seinen erkennbaren oder mutmaßli- chen Willen aufgedrängt werden (…) Verhindert werden soll darüber hinaus, dass die belästigende Werbung zu einer Bindung von Ressourcen des Empfängers (z.B. Zeitaufwand, Kosten für Faxpapier, Vorhaltekosten von Empfangseinrichtungen, Entsorgungskosten) führt (…)
Dagegen bezweckt § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG nicht den Schutz der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer (…)
Das bedeutet, wie bisher alleine auf den Hinweis der herbeigeführten Entscheidung des Verbraucher einen Schadensersatzanspruch pauschal auf die fehlende Einwilligung zu stützen wird nicht funktionieren. Vielmehr muss kausal aufgezeigt werden, dass gerade durch den Anruf die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt war:
Im Streitfall kommt auch kein Schadensersatzanspruch der Beklagten gemäß §§ 3, 9 UWG in Verbindung mit § 4 Nr. 1 UWG aF in Betracht. Bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung dieser Bestimmung liegt eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher im Sinne von § 4 Nr. 1 UWG aF nur dann vor, wenn der Handelnde diese Freiheit (…) durch Belästigung, Nötigung oder durch unzulässige Beeinflussung (…) erheblich beeinträchtigt (…) Dafür ist Voraussetzung, dass die im Streitfall allein in Betracht kommende Belästigung die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände tatsächlich oder voraussichtlich erheblich beeinträchtigt und dieser dadurch tatsächlich oder voraussichtlich veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte (…)
Fazit
Die Entscheidung bedeutet keinen Freifahrtschein für Verträge nach unerwünschten Telefonanrufen, so kann sie aus meiner Sicht nicht verstanden werden. Es gibt Möglichkeiten eines Schadensersatzanspruchs, etwa wenn direkt beim ersten Telefonat der Vertrag geschlossen wird. Aber auch wenn man nachweisen kann, dass gerade durch den Anruf die Entscheidungsfreiheit betroffen war dürften sich Aspekte einer Verteidigung bieten. Die bisherige Prozess-Strategie in solchen Fällen aber muss in jedem Fall neu durchdacht werden.
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