Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12. Dezember 2024 (III ZR 421/23) befasst sich mit der zivilrechtlichen Haftung einer ehemaligen Steuerberaterin und Buchhalterin eines Schneeballsystems. Dabei setzt sich der BGH mit grundlegenden Fragen des Beweiswertes eines Geständnisses in einem Strafverfahren auseinander und beleuchtet die juristischen Kriterien zur Erkennbarkeit eines betrügerischen Geschäftsmodells.
Der Sachverhalt
Das Verfahren drehte sich um die EN S. GmbH (ENS), die über ein betrügerisches Schneeballsystem Kapitalanleger geschädigt hatte. Das Geschäftsmodell der ENS basierte auf der angeblichen Vermietung von Speichermedien, die jedoch nie existierten. Stattdessen wurden Anlegergelder lediglich dazu verwendet, bestehende Verbindlichkeiten zu decken – ein klassisches Schneeballsystem.
Die beklagte Steuerberaterin, die mit einem der Geschäftsführer verheiratet war, unterstützte das Unternehmen durch Buchhaltungs- und Steuerberatungsleistungen. Sie legte im Strafverfahren ein Geständnis ab, wurde aber im Zivilverfahren freigesprochen, da nach Ansicht der Vorinstanzen ihre Kenntnis vom betrügerischen Charakter des Systems nicht sicher nachweisbar war.
Das juristische Konzept des Schneeballsystems
Ein Schneeballsystem ist ein betrügerisches Geschäftsmodell, bei dem die Auszahlungen an bestehende Investoren ausschließlich durch Gelder neuer Investoren finanziert werden. Solche Systeme sind von Natur aus instabil, da sie zwangsläufig zusammenbrechen, sobald keine neuen Investoren mehr gewonnen werden können. In der Praxis sind Schneeballsysteme oft durch unrealistisch hohe Renditeversprechen und intransparente Geschäftsstrukturen gekennzeichnet.
Die rechtliche Bewertung dieser Systeme erfolgt häufig unter den Straftatbeständen des Betrugs (§ 263 StGB) und der Untreue (§ 266 StGB). Für eine zivilrechtliche Haftung kommt insbesondere eine deliktische Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den genannten Straftatbeständen in Betracht.
Der Beweiswert eines Geständnisses
Der BGH widmet in seinem Urteil umfassende Aufmerksamkeit der Beweiswürdigung eines Geständnisses. Die Beklagte hatte im Strafverfahren ein Geständnis abgelegt, dessen Wahrheitsgehalt sie im Zivilverfahren bestritt. Der BGH hob hervor, dass ein Geständnis ein starkes Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen darstellt, insbesondere wenn es durch andere Beweismittel bestätigt wird.
Würdigung durch den BGH
- Bestätigung durch äußere Umstände
Der BGH betonte, dass das Geständnis der Beklagten durch objektive Tatsachen gestützt wurde, wie beispielsweise die aus der Buchhaltung ersichtlichen Zahlungsflüsse, die typisch für ein Schneeballsystem waren. Diese Umstände verliehen dem Geständnis erhebliches Gewicht. - Motivlage und Glaubwürdigkeit
Der BGH kritisierte die Annahme der Vorinstanzen, das Geständnis sei lediglich aus Furcht vor einer Haftstrafe abgelegt worden. Eine solche Motivlage entwerte das Geständnis nicht automatisch, solange es durch andere Beweismittel untermauert wird. - Gesamtabwägung der Beweisanzeichen
Nach Ansicht des BGH hatten die Vorinstanzen es versäumt, eine Gesamtschau der Beweisanzeichen vorzunehmen. Ein Geständnis gewinnt an Beweiskraft, wenn es mit anderen belastenden Indizien in Einklang steht.
Erkennbarkeit des betrügerischen Modells
Der BGH stellte klar, dass die Erkennbarkeit eines Schneeballsystems durch einen Gehilfen – wie die Beklagte – nicht allein von einer positiven Kenntnis abhängt. Entscheidend ist vielmehr, ob der Gehilfe es zumindest für wahrscheinlich hielt, dass das System betrügerisch war, und dies in Kauf nahm.
Belastende Indizien
- Die Buchhaltung der ENS offenbarte, dass angebliche Einnahmen nicht aus realen Geschäften stammten.
- Die Beklagte veranlasste Zahlungen trotz offensichtlicher Ungereimtheiten, wie etwa der Verwendung nicht existenter E-Mail-Adressen und fingierter Rechnungen.
- Es fehlten jegliche Aufzeichnungen über die angeblich vermieteten Speichermedien.
Kritik an den Vorinstanzen
Der BGH rügte die isolierte Betrachtung der Indizien durch die Vorinstanzen. Stattdessen sei eine ganzheitliche Würdigung erforderlich, die den Gesamtzusammenhang berücksichtigt und die Belastungsindizien zueinander in Beziehung setzt.
Wer Strafprozesse im Wirtschaftsstrafrecht führt, muss zwingend auch an sehr wahrscheinlich folgende Zivilprozesse denken. Ein wenig nivelliert sich hier oft die Thematik, da im Strafprozess horrende Einziehungen von Vermögenswerten erfolgen und die Geschädigten sich hier gütlich halten können – gerade in Dreiecksverhältnissen ist das aber nicht zwingend. Dabei ist ein Geständnis in einem Strafverfahren allenfalls ein Indiz – bei Umständen wie hier, aber ein sehr starkes Indiz!
Auswirkungen und Fazit
Die Entscheidung des BGH hat weitreichende Bedeutung für die Beweiswürdigung in zivil- und strafrechtlichen Verfahren. Sie unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Gesamtabwägung der Beweismittel und hebt die besondere Beweiskraft eines Geständnisses hervor, sofern es durch andere Indizien gestützt wird.
Mit Blick auf Schneeballsysteme betont der BGH die Verantwortung von Gehilfen, deren berufliche Tätigkeiten solche Systeme ermöglichen. Die Entscheidung mahnt zur Vorsicht bei der Unterstützung oder auch nur irgendwo am Rande erfolgter Mitwirkung von Geschäftsmodellen, deren Legalität fragwürdig erscheint.
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