Was auf den ersten Blick wie ein Provinzskandal klingt, hat das Potenzial, über Sachsen-Anhalt hinaus politische Wellen zu schlagen: Am 1. Juli 2025 durchsuchten Ermittler die Fraktions- und Büroräume der CDU, SPD und AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt. Der Vorwurf: Untreue durch unzulässige Zahlungen sogenannter Funktionszulagen.
Die Aktion wurde wohl auf Grundlage richterlicher Anordnungen durchgeführt und fußt auf einer Strafanzeige des Bundes der Steuerzahler – dabei wird hier nochmals deutlich, wie stringent Ermittler mit dem Begriff der Untreue untergehen und dass schon vermeintliche “Unsauberkeiten” zu Ermittlungsmaßnahmen führen. Hinweis: Der Blogbeitrag basiert auf den Informationen aus den verlinkten Presseberichten, ich möchte speziell nur den juristischen Aufhänger zur Untreue aufgreifen!
Der juristische Kern: Zweckbindung der Fraktionskostenzuschüsse
Im Zentrum steht der rechtliche Umgang mit Fraktionskostenzuschüssen. Diese Steuermittel dienen laut Fraktionsgesetz ausschließlich der parlamentarischen Arbeit – sie dürfen nicht parteipolitisch oder gar privat verwendet werden. Dennoch sollen Fraktionen – vor allem die CDU, aber auch SPD und AfD – über Jahre hinweg Zahlungen für Funktionszulagen geleistet haben, obwohl diese nach einer Parlamentsreform seit 2020 stark eingeschränkt wurden.
So weist die Rechnungslegung der CDU-Fraktion für das Jahr 2021 Zahlungen in Höhe von rund 66.000 Euro aus, für 2022 waren es noch einmal 47.250 Euro. Die SPD meldete 7.500 Euro, die AfD knapp 25.600 Euro. Alle anderen Fraktionen führten für die betreffenden Jahre keine derartigen Ausgaben auf.
Politischer Sprengstoff: Alkohol, Gastgeschenke und die Rolle der CDU
Der Fall erhält zusätzliche Brisanz durch Erkenntnisse aus einem Sonderbericht des Landesrechnungshofs, den unter anderem MDR und „FragDenStaat“ ausgewertet haben sollen: Dort tauchen fragwürdige Ausgaben auf – darunter Spirituosen, teure Weine und sogar Butterscotch-Flaschen, die angeblich als „Gastgeschenke für hochrangige Persönlichkeiten“ dienten. Eine einzige Klausurtagung der CDU-Fraktion soll Bewirtungskosten mit einem Pro-Kopf-Alkoholkonsum von 1,71 Litern verursacht haben. Insgesamt wurden allein für alkoholische Getränke über 5.000 Euro aus Fraktionsmitteln abgerechnet.
Das Fraktionsgesetz kennt aber keine Ausnahme für feucht-fröhliche Fraktionssitzungen. Der Landesrechnungshof stuft diese Ausgaben als „eindeutig privater Natur“ ein – und damit als unzulässig.
Ich bin in Untreue-Strafverfahren regelmäßig tätig – dabei zeigt sich gerade auf kommunalpolitischer Ebene, dass Politikern mitunter ein gewisser “Instinkt” zu fehlen scheint: Schnell wird ein vermeintlich nur unsauberes Arbeiten als “das machen ja alle abgetan”; speziell in kommunalpolitischen Gesellschaften glaubt man nicht selten, mit typischer politischer Selbstherrlichkeit über Gelder verfügen zu können … was aber quasi schon die Definition von Untreue ist. Andererseits ist die weltfremde Strenge, mit der Wirtschafts-Staatsanwälte solche Sachverhalte angehen, bereits der erste Bereich für eine Strafverteidigung.
Politischer Kontext und möglicher Flurschaden
Für die CDU Sachsen-Anhalts ist das Timing denkbar ungünstig. Nur Tage zuvor hatte Ministerpräsident Haseloff seine Bildungsministerin entlassen, am Tag der Durchsuchungen wurde der Tod des geschätzten Alt-Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer bekannt. Zudem steht eine Landtagswahl bevor – und die AfD könnte erstmals stärkste Kraft werden.
Während also politisch viel auf dem Spiel steht, ist der Ausgang der strafrechtlichen Ermittlungen noch völlig offen. Die CDU-Fraktion hat laut MDR bereits 21.000 Euro zurückgezahlt und will die Bewirtungsregeln verschärft haben. Doch Rückzahlungen entlasten strafrechtlich nicht ohne Weiteres – entscheidend ist, ob die Voraussetzungen des § 266 StGB erfüllt sind, insbesondere ob ein Vermögensnachteil für das Land eingetreten ist und ob die handelnden Personen vorsätzlich agierten.
Verfassungsrechtliche Dimensionen und Transparenzfragen
Der Vorgang wirft auch übergeordnete Fragen auf: Wie steht es um die parlamentarische Kontrolle der Fraktionsausgaben? Welche Rolle spielen die Rechnungshöfe – und wie wirkungsvoll sind ihre Berichte? Und schließlich: Ist es noch zeitgemäß, dass Fraktionen mit Millionenbeträgen operieren, ohne dass externe Compliance-Mechanismen greifen?
Sicher ist: Der Vorwurf der Untreue in einem Parlament trifft nicht nur Einzelpersonen – er untergräbt das Vertrauen in demokratische Institutionen. Es bleibt abzuwarten, ob die Ermittlungen auch politische Reformen nach sich ziehen. Derzeit jedenfalls steht nicht nur Butterscotch unter Verdacht, sondern ein ganzes System der Mittelverwendung im parlamentarischen Alltag.
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