Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in einer am 12.11.2019 veröffentlichten Grundsatzentscheidung bestätigt, dass Verkehrsüberwachungen durch private Dienstleister gesetzeswidrig sind und auf einer solchen Grundlage keine Bußgeldbescheide erlassen werden dürfen.
Die Entscheidung als solche ist nicht sonderlich überraschend, das OLG hat dies schon früher klargestellt (siehe OLG FFM, 2 Ss-OWi 295/17) – diese Entscheidung birgt aber eine ganz erhebliche Brisanz, da hier durch eine Behörde aktiv getäuscht wurde, wie der Entscheidung des OLG zu entnehmen ist.
Sachverhalt
Gegen den Betroffenen war ein Bußgeld wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften festgesetzt worden. Die zugrundeliegende Messung hatte der Zeuge B. vorgenommen. Der Zeuge war Angestellter einer privaten GmbH. Die Gemeinde hatte mit dieser GmbH einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zum Zweck der „Unterstützung bei der Durchführung von Geschwindigkeitsprotokollen, allgemeine Datenverarbeitung und Erstellung von Messberichten“ mit jeweiligen Stundenverrechnungssätzen geschlossen.
Das Amtsgericht Gelnhausen hatte den Betroffenen freigesprochen, weil der Bürgermeister der Gemeinde Freigericht als Ortspolizeibehörde im Wege verbotener Arbeitnehmerüberlassung einen privaten Dienstleister mit der hoheitlichen Verkehrsüberwachung beauftragt und für die so ermittelten Verstöße Verwarn- und Bußgelder hat verhängen lassen.
Entscheidung des OLG
Auf die hiergegen von der Staatsanwaltschaft Hanau eingelegte Rechtsbeschwerde hat das OLG nunmehr grundlegend ausgeführt: „Die vorliegend durchgeführte Verkehrsüberwachung durch den gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirk der Gemeinden Freigericht und Hasselroth ist gesetzeswidrig. Die im hoheitlichen Auftrag von einer privaten Person durchgeführte Geschwindigkeitsmessung hat keine Rechtsgrundlage. In der Folge hätte das Regierungspräsidium Kassel keinen Bußgeldbescheid erlassen dürfen.“ Die Ortspolizeibehörde dürfe die Verkehrsüberwachung nur durch eigene Bedienstete mit entsprechender Qualifikation vornehmen. Der Zeuge B. sei unstreitig kein Bediensteter der Gemeinde. Seine Überlassung im Wege der Arbeitnehmerüberlassung sei rechtswidrig. Das Verfahren könne damit nicht als Grundlage für den Erlass eines Bußgeldbescheids dienen.
„In der Folge dieses gesetzwidrigen Handelns sind sämtliche Verkehrsüberwachungen des gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirks der Gemeinden Freigericht und Hasselroth mindestens seit dem 23.03.2017 unzulässig“, stellt das OLG fest. „Darüber hinaus dürfte dies auch für die Gemeinden Brachttal und Nidderau gelten, da der Zeuge dort…ebenfalls unter den genannten Bedingungen tätig war“, so das OLG abschließend.
Brisant: Behörde hat getäuscht
Es ist schockierend und zeigt zugleich, wie dringend notwendig Verteidiger in einem Rechtsstaat sind: Das Oberlandesgericht führt aus, dass nicht nur „Getrickst“ wurde, sondern vorsätzlich getäuscht wurde durch den Bürgermeister. Das liest sich gerafft so:
Das Amtsgericht hat vorliegend allerdings nicht nur das gesetzeswidrige Agieren des verantwortlichen Bürgermeisters als Ortspolizeibehörde als solches aufgedeckt, es hat nach den Feststellungen darüber hinaus eine vorsätzliche Irreführung und Täuschung der Bürger und des Gerichts angenommen. Der Richtigkeit dieser Annahme kann der Senat angesichts der getroffenen Feststellungen nicht entgegentreten (…)
Der verantwortliche Bürgermeister hat in Kenntnis dessen, was rechtlich richtig gewesen wäre, vorliegend ein Konstrukt gewählt, um die einzig richtige Handlung, nämlich einen „Bediensteten“ zur Verkehrsüberwachung einzustellen, was in der Folge dieses Verfahrens mittlerweile geschehen ist, zu umgehen (…) dass im vorliegenden Messprotokoll lediglich darauf hingewiesen wurde, dass es sich um ein Leihgerät handelt, weil sich dies bei Würdigung des Eichscheines, der nicht für die Gemeinde, sondern für eine Privatfirma ausgestellt wurde, aufdrängt. Durch diese Formulierung sollten offensichtlich Nachfragen von Verteidigern (nach erfolgter Akteneinsicht) vermieden werden, was durchaus zulässig ist. Dass aus dem Messprotokoll hingegen nicht hervorgeht, dass der Einsatz des Messbeamten im Wege der Arbeitnehmerüberlassung erfolgt ist, sondern im Gegenteil der Eindruck erzeugt wird, dass es sich bei dem Messbeamten um einen bei der Gemeinde beschäftigten Ordnungspolizeibeamten handelte, ist in diesem Zusammenhang zu beanstanden.
Was man hier liest, hinterlässt fassungslos: Ein Bürgermeister verschleiert, dass er im Zuge der Arbeitnehmerüberlassung rechtswidrig eine Privatperson als Polizeihelfer einsetzt – dies durch Täuschung der eingesetzten Person (so das OLG ausdrücklich!) wie auch indem das Messprotokoll „geschönt“ wurde. Das OLG macht insoweit keine Umschweife und spricht von „gesetzwidriger Täuschung“. Ein Grund mehr, Bussgeldbescheide von Verteidigern prüfen zu lassen.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 6.11.2019, Az. 2 Ss-OWi 942/19; (Quelle: Pressemitteilung des Gerichts, ausgenommen meine eigenen Anmerkungen)
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