Vergewaltigung unter Verwendung von Liquid Ecstasy

Das Landgericht Saarbrücken (3 KLs 35/22) hat entschieden, dass die Verabreichung sogenannter K.O.-Tropfen (hier: Gamma-Butyrolacton (GBL), „Liquid Ecstasy“) in ein Getränk, um den hierdurch herbeigeführten Zustand der Widerstandsunfähigkeit des Opfers zur Vornahme sexueller Handlungen an diesem auszunutzen, den Tatbestand des Verwendens eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB erfüllt. Damit kommt in diesem Fall die Mindeststrafe von 5 Jahren in Betracht.

Liquid Ecstasy

Zu dem Stoff GBL, auch Liquid Ecstasy genannt, führt das Gericht aus:

Die toxikologische Sachverständige … hat in der zu der vom Angeklagten bei der Tat verwendeten Substanz ausgeführt, Liquid Ecstasy sei üblicherweise als Partydroge bekannt, habe aber nichts mit zu tun. Sie werde verwendet, um eine Rauschintensivierung herbeizuführen. Diese Wirkung sei in Kombination etwa mit THC verstärkt, weshalb die Aussage der Zeugin … dafürspreche, dass es sich um diesen Stoff gehandelt habe.

Dieser werde auch als sogenannte K.O.-Tropfen verwendet. Hierbei handele es sich um Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB), das ein Betäubungsmittel sei und daher nicht frei erhältlich sei. Es gebe aber auch sogenannte Vorläufersubstanzen wie Gamma-Butyrolacton (GBL) und 1,4-Butandiol. Im hiesigen Fall sei es wohl GBL, das als Felgen- und Industriereiniger legal erworben werden könne. Zwar seien beide Vorläufersubstanzen denkbar, erfahrungsgemäß sei es jedoch eher GBL. Diese Vorläufersubstanzen würden im Körper binnen Sekunden und damit sehr schnell durch Enzyme in GHB umgesetzt. Die Wirkungen des Gamma-Butyrolacton (GBL) würden hierbei schneller eintreten als bei GHB selbst.

Die Aufnahme dieser Substanzen erfolge in der Regel oral. GBL sei regelmäßig geruchs- und farblos, könne aber auch säuerlich oder bitter schmecken. Es sei vollständig mit Wasser und Ethanol mischbar. GHB habe schließlich zwei Wirkungen. Bei einer niedrigen Dosis könne ein euphorischer, angstlösender und eventuell sexuell enthemmender Zustand, wie auch von der Zeugin — beschrieben, eintreten. Bei steigender Dosierung werde hingegen ein anderer Rezeptor angesprochen. Die Wirkung sei ähnlich wie bei Valium. Die Folge könnten starke Schlaf- oder gar Komazustände sein.

Der Abbau der Konzentration des GHB erfolge schnell. Die Folge sei ein wie von der Zeugin — beschriebenes sofortiges Aufwachen, allerdings ohne Befindlichkeiten wie nach einem „Kater“ aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums. Die Rauschwirkung könne eineinhalb bis drei Stunden je nach Dosis anhalten. Bei einer Dosierung von 0,5 bis 2,5 ml sei die Wirkung ähnlich einem Alkoholrausch und möglicher Benommenheit. Ab 2,5 ml liege eine hohe Dosis vor und es könne ein narkotischer Zustand eintreten. Sofern man von den Angaben des Angeklagten ausgehen, er habe 1,8 bis 2 ml in der Regel verwendet, handele es sich um eine mittlere Dosis. Dies hänge auch von der Dosis im Stoff, also hier dem Felgenreiniger ab. Auswirkungen habe auch die Alkoholmenge im Glas oder der Flasche, in die die Substanz eingebracht wurde.

Charakteristisches Symptom sei schließlich auch das Auftreten von Erinnerungslücken. Es könne eine anterograde Amnesie eintreten. Dies bedeute, dass alles was sich vor dem Eintreten der Wirkungen ereignet habe, erinnerlich sei, ab dem Eintreten der Wirkungen jedoch ein sogenannter „Filmriss“ auftrete.


Rechtliche Konsequenz des Einsatzes von Liquid Ecstasy

Das Gericht fasst die rechtliche Würdigung beim heimlichen Verabreichen von sogenannten K.O.-Tropfen wie folgt:

Durch das heimliche Verabreichen von sogenannten K.O.-Tropfen in Form von Gamma-Butyrolacton (GBL) hat der Angeklagte zudem den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB erfüllt. Die – wie hier – heimliche, gezielt zur Vornahme sexueller Handlungen eingesetzte Verabreichung bewusstseinstrübender Mittel stellt jedenfalls dann Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB dar, wenn auch eine körperliche Zwangswirkung auf das Opfer herbeigeführt und hierdurch die Widerstandsfähigkeit beseitigt wird (vgl. hierzu BGH, Urteile v. 15.9.1998 – 5 StR 173/98, BeckRS 1998, 31361078; v. 22.1.1991 – 5 StR 498/90, BeckRS 1991, 1559 mwN; Beschlüsse v. 24.5.2016 – 5 StR 163/16, BeckRS 2016, 10820; v. 13.11.2003 – 3 StR 359/03, BeckRS 2004, 1729 mwN; Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 177 Rn. 70; MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl. 2021, § 177 Rn. 118 mwN). So liegt es hier. Der Angeklagte hat der Nebenklägerin — gezielt und heimlich die K.O.-Tropfen im Getränk verabreicht, um auf diese Art und Weise ihre körperliche Widerstandsfähigkeit zu beseitigen oder jedenfalls so stark einzuschränken, dass er ungestört mit ihr sexuell verkehren konnte. Die Wirkung der K.O.-Tropfen war hierbei letztlich so stark, dass die Nebenklägerin jedenfalls in einem Schlafzustand war, keine Erinnerung an die sexuellen Handlungen hat und ihre Widerstandsfähigkeit vollständig aufgehoben war. Somit führten die K.O.-Tropfen zu einer erheblichen körperlichen Zwangswirkung bei der Nebenklägerin. Obgleich es keines Finalzusammenhangs zwischen der Gewaltanwendung der sexuellen Handlung mehr bedarf (vgl. BGH, Beschl. v. 14.7.2021 – 6 StR 318/21, BeckRS 2021, 20687 mwN), liegt ein solcher hier sicher vor. (…)


Es ist jedoch in der Rechtsprechung und in der Literatur umstritten, ob die heimliche Verwendung von K.O.-Tropfen die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB darstellt. Während dies zum Teil bejaht wird (vgl. BGH, Beschl. v. 20.4.2017 – 2 StR 79/17, BeckRS 2017, 113350; Hörnle in: LK, 13. Aufl. 2023, § 177 Rn. 305), wird auch teilweise die Auffassung vertreten, es handele sich nicht um ein Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs (vgl. etwa BGH, Beschlüsse v. 27.1.2009 – 4 StR 473/08, BeckRS 2009, 10191, NStZ 2009, 505; v. 6.3.2018 – 2 StR 65/18, BeckRS 2018, 3924, NStZ-RR 2018, 141 jeweils zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB; Krüger NStZ 2019, 273, 275). Vielmehr stelle sich die Verabreichung von K.O.-Tropfen als schwere nach § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB aF (jetzt § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB) dar (vgl. BGH, Beschl. v. 24.5.2016 – 5 StR 163/16, BeckRS 2016, 10820; ausdrücklich offen gelassen hingegen BGH, Beschl. v. 7.3.2018 – 5 StR 652/17, BeckRS 2018, 4886). Anders könne dies jedoch beurteilt werden, wenn das Verabreichen des K.O.-Mittels etwa aufgrund seiner Zusammensetzung zu erheblichen Gesundheitsrisiken für das Opfern führen würde (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 6.3.2018 – 2 StR 65/18, BeckRS 2018, 3924, NStZ-RR 2018, 141).

(2) Die Kammer erachtet die Verabreichung der K.O.-Tropfen als tatbestandserfüllend im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB. Ein im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB liegt vor, wenn ein – auch für sich gesehen ungefährlicher – Gegenstand nach der konkreten Art seiner Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 9.1.2020 – 5 StR 333/19, BeckRS 2020, 412; Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 177 Rn. 154).

Für die Einstufung als Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB spricht zunächst der Wortlaut. Der Begriff „Werkzeug“ ist insofern als Synonym für „Gegenstand“ zu verstehen, worunter auch betäubende Substanzen zu fassen sind (vgl. Hörnle in: LK, 13. Aufl. 2023, § 177 Rn. 305). Des Weiteren hat der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren zum 6. StrRG Salzsäure als ein Beispiel für ein gefährliches Werkzeug erwähnt (vgl. BTDrucks. 13/9064 S. 18).

Bei dem vom Angeklagten verwendeten GBL handelt es sich um eine gefährliche Substanz, zumal die möglichen Wirkungen der Substanz bei dem Tatopfer für den medizinisch unerfahrenen Angeklagten nicht vorhersehbar und damit nicht abschätzbar waren. Der bei der Nebenklägerin — eingetretene und länger andauernde Schlafzustand stellt zudem – eingedenk der Ausführungen der toxikologischen Sachverständigen – ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar.

Schließlich streitet für die Anwendung dieses Qualifikationstatbestandes der Sinn und Zweck des § 177 StGB und hierbei insbesondere der Qualifikationen der Absätze 7 und 8. Diese sollen die Gesundheit und das Leben vor Gefährdungen und Verletzungen schützen (vgl. MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl. 2021, § 177 Rn. 3; Hörnle in: LK, 13. Aufl. 2023, § 177 Rn. 1). So ist die heimliche Beibringung von betäubenden Substanzen – mit im Ergebnis länger andauernden Schlafzuständen oder gar Bewusstlosigkeit – gefährlicher und eingriffsintensiver als etwa das Vorhalten eines Messers als bloßes Drohinstrument (vgl. Hörnle in: LK, 13. Aufl. 2023, § 177 Rn. 305). Zudem leuchtet es nicht ein, dass etwa das heimtückische Niederschlagen mittels eines Holzknüppels mit nachfolgender Bewusstlosigkeit vom Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB erfasst sein kann, das heimliche Beibringen von K.O.-Mitteln mit vergleichbaren Folgen von Bewusstlosigkeit oder eines intensiven und länger andauernden Schlafzustandes mit unter Umständen akut lebensgefährlichen Folgesituationen (Atemdepression, Herzstillstand, Erstickungstod durch Erbrechen) hingegen nicht hierunter fallen soll, gleichwohl aber nach herrschender Rechtsprechung (s.o.) als Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB angesehen wird.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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