Zur Zeit ändert sich langsam die Welt der juristischen Literatur, viele große Namen verschwinden, manche plötzlich, andere langsam. Wir haben letztes Jahr erlebt, wie Brox, Jescheck und Rudolphi verstorben sind. Und Roxin macht sich langsam auf den Weg, seine Werke zu übergeben.
Sein Buch zum Strafverfahrensrecht ist in der letzten 25. Auflage mit Stand 1998 (!) ziemlich in die Jahre gekommen – umso größer ist die Auszeichnung, die dieses Buch dadurch erfahren hat, dass es selbst 2009 noch in Aufsätzen und aktueller Literatur zitiert wurde. Entsprechend auch mein Eindruck aus Lehre und Praxis: Das Buch habe ich sowohl (hoch geschätzt) bei Studenten, Referendaren und Strafverteidigern gefunden.
Eine Besprechung dieses Buches ist eher Formalie: Das Urteil, dass es sich um ein herausragendes Werk handelt, steht längst fest.
Zur Darstellung des Buches mache ich es kurz: Es ist in der Reihe „juristische Kurz-Lehrbücher“ erschienen und in dem – von mir schon mehrfach kritisierten – Stil gehalten. Sprich: Viel Text, keine Grafiken und Literatur-Verzeichnisse die nahe an das gefährliche Werkzeug herankommen.
Aber: Das Buch lebte vom Schreibstil Roxins, der ebenso überzeugend wie zugänglich schreiben konnte und damit jede Textlawine durchaus lesbar werden lies.
Nunmehr gibt es einen Wandel: Auf dem Titel steht nicht mehr Roxin alleine, sondern nun auch „Schünemann“. Bernd Schünemann hat das Werk von Roxin übernommen und nach der Lektüre des Vorworts war ich äusserst kritisch, was mich erwartet, angesichts z.B. dieses Satzes:
Hegels Wort von der Eule Minerva vergleichbar, die erst mit einbrechender Dämmerung ihren Flug beginnt, hat das Schrifttum zum Strafverfahren im letzten Jahrzehnt einen neuen Höhepunkt erreicht […]
Holla, da geht’s ab. Gleichsam weist der Autor darauf hin, dass einzelne Inhalte (Geschichte ab 1945, Zur Geschichte, Rechtsvergleichung) gestrichen wurden – wer das also z.B. für eine Seminararbeit braucht (was wohl eher selten der Fall sein wird), muss die 25. Auflage bemühen.
Inhaltlich bietet das Buch dennoch das umfassende deutsche Strafrecht:
- Strafgerichtsverfassungsrecht
- Grundsätze des Strafverfahrensrecht
- Die Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten
- Gegenstand und Voraussetzungen des Strafverfahrens; Prozesshandlungen; richterliche Entscheidungen
- Die Stoffsammlung, insbesondere das Beweisrecht
- Zwangsmaßnahmen und Grundrechtseingriffe
- Vorverfahren und Zwischenverfahren
- Hauptverfahren in erster Instanz
- Urteil, Sitzungsprotokoll und Rechtskraft
- Die Rechtsbehelfe
- Strafvollstreckung, Kosten, Entschädigung
- Besonderheiten des ordentlichen Verfahrens
- Beteiligung des Verletzten am Strafverfahren
- Besondere Verfahrensarten
- Epilog
Inhaltlich gibt es dabei nichts anzumerken: Es ist eine umfassende Darstellung. Dabei muss betont werden, dass es nicht gemessen an einem „Kurz-Lehrbuch“ umfassend ist, sondern dass es wirklich eine in sich geschlossene umfassende Darstellung bietet.
Was mir allerdings fehlte ist die notwendige Tiefe mit Blick auf die Europäisierung. Zu viele (neue) Fragen werden in Zukunft gestellt und das Buch bietet mir persönlich bei diesem Aspekt zu wenig Material: Zwar werden Lissabon und speziell das Verbot der Doppelbestrafung thematisiert, doch das komplizierte Nebeneinander von EMRK, Grundrechten und (neuer) Grundrechtecharta verdient speziell aus strafverfahrensrechtlicher Sicht sehr viel Analyse und Beachtung. Dies bitte ich nicht falsch zu verstehen: Zumindest EMRK und Grundrechte werden brauchbar – aber eben ohne Tiefgang – thematisiert, ich hoffe hier auf Nacharbeit in der nächsten Auflage.
Jurakopf-Einschätzung
Insgesamt ist das Buch natürlich das herausragende Werk zum Strafverfahrensrecht. Für Studenten, die die Strafprozessordnung bisher nur aus dem Inhaltsverzeichnis ihres Gesetzestextes kennen, wird das Buch gleichsam zu anspruchsvoll und umfassend sein. Hinzu kommt, dass es didaktisch nicht so aufbereitet ist, dass man – wie man es als Student nun mal gewohnt ist – für den Fall lernt oder die einzelne (am Fall orientierte) Frage. Das wird das Buch für Studenten, die Strafverfahrensrecht als Pflichtfach belegen, am Ende unattraktiv machen. Wer aber zielgerichtet einzelne Fragestellungen nachschlägt, wird sich über das ausgezeichnete Werk freuen (dafür wird man es sich aber nicht kaufen müssen).
Alle anderen, die sich mit dem Strafverfahrensrecht beschäftigen (müssen) finden hier ein ausgezeichnetes umfassendes Handbuch, das sich seine Güte aber auch entsprechend entlohnen lässt.
Daten zum Buch
Claus Roxin, Bernd Schünemann
Strafverfahrensrecht
Verlag C.H.Beck
Reihe Juristische Kurz-Lehrbücher
ISBN 9783406552229
Preis: 24,90 Euro
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