Ladendiebstahl: Zur Frage wann ein Ladendiebstahl vorliegt hat der Bundesgerichtshof (5 StR 593/18) eine umfassende Entscheidung getroffen, die nochmals betont, dass es auf den Einzelfall ankommt. Dabei ist es erst einmal so, dass bekanntlich für einen Diebstahl erforderlich ist, dass der Täter hinsichtlich der zuzueignenden Sache fremden Gewahrsam gebrochen und neuen begründet hat.
Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist entscheidend, dass der Täter diese derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den bisherigen Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung nach den Anschauungen des täglichen Lebens.
Dazu auch bei uns: Wann liegt versuchter Diebstahl vor?
Ladendiebstahl: Beschaffenheit der Sache ausschlaggebend
Hiernach macht es einen erheblichen Unterschied, ob
- es sich bei dem Diebesgut um umfangreiche, namentlich schwere Sachen handelt, deren Abtransport mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, oder
- ob es nur um kleine, leicht transportable Gegenstände geht.
Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen, wie etwa bei Geldscheinen sowie Geld- und Schmuckstücken, lässt die Rechtsprechung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen. Steckt der Täter einen Gegenstand in Zueignungsabsicht in seine Kleidung, so schließt er allein durch diesen tatsächlichen Vorgang die Sachherrschaft des Bestohlenen aus und begründet eigenen ausschließlichen Gewahrsam. Die Rechtsprechung weist daher beim Ladendiebstahl im Regelfall einer Person, die einen Gegenstand in der Tasche ihrer Kleidung trägt, die ausschließliche Sachherrschaft zu, und zwar auch dann, wenn er sich noch im Gewahrsamsbereich des Berechtigten befindet – ausser dieser hat die gesamte Zeit die Situation unter Kontrolle!
Ein Ladendiebstahl kann bereits beim schlichten Einstecken kleiner Sachen vorliegen!
Leichte Sachen sind leichter zu stehlen
Für ohne Weiteres transportable, handliche und leicht bewegliche Sachen kann jedenfalls dann nichts anders gelten, wenn der Täter sie in einem Geschäft in Zueignungsabsicht in eine von ihm mitgeführte Hand-, Einkaufs-, Akten- oder ähnliche Tasche steckt; hierdurch bringt er sie in ebensolcher Weise in seinen ausschließlichen Herrschaftsbereich wie beim Einstecken in seine Kleidung. Ob er hierbei die Aussicht hat, den Gewahrsam längere Zeit aufrechtzuerhalten, ist für die Frage, ob die Wegnahme vollendet ist, ohne Belang, denn die Tatvollendung setzt keinen gesicherten Gewahrsam voraus (BGH, 3 StR 182/08 und 3 StR 556/09). So führt der BGH dann im konkreten Fall aus:
Denn das Einstecken diente zugleich dem Verbergen vor möglichen Beobachtern (vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2016 – 5 StR 512/16). Beide Behältnisse waren geeignet, einen unproblematischen Abtransport der Beute zu ermöglichen und zudem den Berechtigten von einem ungehinderten Zugriff auf seine Ware auszuschließen; dieser hätte seinerseits in die Herrschaftsgewalt des Angeklagten eingreifen müssen, um wieder über die Flaschen verfügen zu können.
Ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn der Angeklagte die Flaschen in zwei Tüten gepackt und zudem eine weitere mit Waren gefüllte Tüte mit sich geführt hätte, um den Anschein eines regulären Einkaufs zu erwecken (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2013 – 2 StR 145/13, NStZ-RR 2013, 276; zu 32 500-g-Packungen Kaffee in vier Plastiktüten siehe auch BGH, Beschluss vom 4. Mai 1984 – 2 StR 133/84, StV 1984, 376), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn eine solche Konstellation liegt nicht vor. Maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalls (…)
BGH, 5 StR 593/18
Diebesfalle beim Ladendiebstahl
Bei einer Diebesfalle geht es darum, dass dem Dieb ein interessantes Objekt „angeboten“ wird, dass er stiehlt – wobei er nicht weiss dass es etwa mit einem Ortungsgerät versehen abgestellt wurde und somit im Auge behalten werden kann. Die Polizei hat in einem solchen Fall dann in die Gewahrsamsaufhebung eingewilligt, so dass es an dem für einen vollendeten Diebstahl erforderlichen Gewahrsamsbruch letztlich fehlt (BGH, 2 StR 289/61, 5 StR 322/20, 1 StR 462/16 – zur Abgrenzung siehe auch ganz früh BGH, 5 StR 941/52).
Ladendiebstahl: Festhalten in den Händen und beobachtet durch Ladendetektiv
Es war ein eher wenig aufregender Sachverhalt, der vor dem Amtsgericht Aachen verhandelt wurde: Mein Mandant war wegen einer Vielzahl von Ladendiebstählen im Kleinsbereich angeklagt. Interessant wurde die Sache dann aber durch die danach laufende Revision, in der ich weiter tätig war: Das Gericht hatte festgehalten, dass der Angeklagte eine Handtasche „fest in den Händen hielt“ und versuchte, eine Diebstahlsicherung durch Schlagen auf Ausstellungsmöbel zu lösen. Dabei wurde er von einem „Ladendetektiv“ beobachtet und während dessen aufgegriffen. Das Amtsgericht schloss sich meiner Wertung an, dass es sich hierbei um einen versuchten Diebstahl handelt, während die Staatsanwaltschaft der Auffassung war, dass es ein vollendeter Diebstahl war.
Das OLG Köln teilte der StA mit, dass man gleichsam von einem Versuch ausgeht, weswegen die Revision zurück genommen wurde. Insbesondere stellt das OLG klar, dass nur in Ausnahmefällen ein „festes Halten“ als Gewahrsamsbegründung angesehen werden kann. Auch die ständige Floskel vom „Diebstahl ist keine heimliche Tat“ wird nochmals ins Rechte Licht gerückt. Vielmehr stellt das OLG zu Recht gerade klar, dass eine Beobachtung gerade einen Diebstahl verhindern kann – ein häufiger Fehler in diesem Bereich.
Im Folgenden gebe ich die Stellungnahme des OLG, die nun ansonsten nicht publiziert werden wird, zur Kenntnis. Sowohl Kollegen als auch Examenskandidaten werden daran Interesse haben.
Die Mitteilung des OLG Köln:
Die mit der Revision vertretene Ansicht, das Tatgeschehen sei als vollendeter
Diebstahl zu werten bzw. das Urteil leide an einem Darstellungsmangel hinsichtlich der für die Frage der vollendeten oder versuchten Wegnahme maßgeblichen Umstände, vermag der Senat nach dem Ergebnis der Vorberatung in einer vorläufigen Einschätzung der Rechtslage nicht zu teilen.Im Ansatz ist der Revision zwar darin zuzustimmen, dass bei handlichen und leicht zu bewegenden Gegenständen für die Wegnahme ein bloßes Ergreifen und Festhalten genüg.en kann, wenn der Berechtigte seine ungehinderte Verfügungsgewalt nur noch gegen den Willen des Täters und unter Anwendung von körperlicher Gewalt wiederherstellen könnte. Dabei bleibt allerdings für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft entscheidend, ob der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt,
dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben
kann; ob das der Fall ist, richtet sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens (BGHSt 23, 254, 255).Davon ausgehend hat der Senat bereits entschieden, dass vollendeter Diebstahl durch bloßes Ergreifen und Festhalten der Sache eher nur bei kleinen, unauffälligen und leicht beweglichen Gegenständen wie Geldscheinen oder Münzen in Betracht kommt (…)
Befindet sich der Täter noch im räumlichen Machtbereich des bisherigen Gewahrsamsinhabers, ist neuer Gewahrsam regelmäßig erst dann begründet, wenn der Täter die Sache an sich genommen hat und der Wegschaffung unter normalen Umständen kein Hindernis mehr entgegensteht. Lediglich versuchter Diebstahl ist deshalb angenommen worden für den Fall, dass der Täter eine Packung Pralinen und ein Päckchen Plätzchen in den Einkaufswagen legt, die Ware mit einem Kleidungsstück überdeckt und nach Bezahlung der
übrigen Ware die Kasse passiert (…)Dies steht auch in Einklang mit gesicherter Rechtsprechung.
So hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 08.03.1988 (BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 4) ausgesprochen, ein allgemeiner Rechtssatz des Inhalts, vollendeter Diebstahl liege stets vor, sobald der Täter die jeweilige Abteilung eines Kaufhauses mit einer dort weggenommenen Sache verlasse, lasse sich nicht aufstellen; vielmehr beurteile sich die Frage, ob der Täter fremden Gewahrsam gebrochen und eigenen· begründet hat, ob somit die tatsächliche Sachherrschaft auf ihn übergegangen und deshalb
der Diebstahl vollendet ist, auch hier nach den Anschauungen des täglichen
Lebens und hänge von den Umständen des Einzelfalles ab (…)
In einer weiteren Entscheidung vom 26.06. 2008 – 3 StR 182/08 – (= NStZ 2008, 624) hat der BGH entschieden, dass der Diebstahl eines Laptop in einem Ladenlokal spätestens dann vollendet sei, wenn der Täter mit dem Gerät in der Hand das Ladenlokal und damit den Herrschaftsbereich des Ladeninhabers verlassen habe. Er bezieht sich dabei auf den Grundsatz, dass entscheidend ist, ob der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber
ausüben kann (BGHSt 16, 271, 273 ff.) und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen, und verweist auf die Rechtsprechung, die bei handlichen und leicht beweglichen Sachen regelmäßig schon ein Ergreifen und Festhalten
bzw. das offene Wegtragen des Gegenstands als Wegnahmehandlung genügen lässt und in Fällen, in denen der Täter einen leicht zu transportierenden Gegenstand an sich gebracht hat, einer Person jedenfalls dann die ausschließliche Sachherrschaft zuweist, wenn sie den umschlossenen Herrschaftsbereich des Gewahrsamsinhabers verlassen hat. Daran anknüpfend lässt der BGH auch in diesem Fall offen, ob die Wegnahme schon vor dem Verlassen des Ladenlokals vollendet war und zieht sich auf die Feststellung zurück, die Vollendung sei jedenfalls eingetreten, als der Täter das Ladenlokal verlassen hatte.Dass eine Vollendung vor dem Verlassen des Ladenlokals in jedem Fall allein schon wegen des Ergreifens und Festhaltens anzunehmen ist, kann dem also gerade nicht entnommen werden (…)
Hinzu kommt, dass die Beobachtung zwar nicht grundsätzlich der Annahme einer vollendeten Wegnahme entgegensteht. Denn weder ist der Diebstahl eine heimliche Tat, noch setzt er die Vollziehung des
Gewahrsamswechsels derart voraus, dass der Täter endgültigen und gesicherten Gewahrsam erlangt (…) Maßgebend sind aber auch insoweit die konkreten Umstände des Einzelfalles, wobei namentlich die räumliche Nähe des Eigentümers oder seines Beauftragten, die Schnelligkeit ihres Eingreifens, Umfang und Gewicht des Diebesguts sowie das Vorhandensein von Alarmeinrichtungen zu berücksichtigen
sind (…) Hat der bei dem Ansichnehmen der Ware beobachtete Dieb von vornherein keine Chance die Beute zu bergen liegt mangels Begründung neuen Gewahrsams kein vollendeter Diebstahl
vor (…)Vor diesem Hintergrund dürfte die Formulierung im angefochtenen Urteil, dass der Angeklagte die Handtasche „fest in seinen Händen“ hielt, nicht von entscheidender Bedeutung sein. Sie wird schwerlich dahin zu verstehen sein, dass damit bereits eine Abwehrhaltung des Angeklagten gegen einen möglichen Zugriff des Berechtigten auf die Sache zum Ausdruck gebracht werden sollte. Andererseits ging der Angeklagte selbst offenbar davon aus, die Sachherrschaft ungehindert und unter Ausschluss des Berechtigten nur ausüben zu können, wenn er zuvor die Diebstahlssicherung der Handtasche entfernte,
was ihm nach den Urteilsfeststellungen indessen tatsächlich nicht gelungen
ist. Da er zudem bei diesem Vorgang beobachtet und in der Folge noch im Ladenlokal „durch hinzugetretenes Personal festgehalten“ werden konnte, dürften die Urteilsgründe – auch ohne weitergehende Feststellungen zu den örtlichen und situativen Verhältnissen – hinreichend belegen, dass er von vornherein keine Chance hatte, die Handtasche aus dem Herrschaftsbereich des Berechtigten zu entfernen und sie diesem dauerhaft zu entziehen.
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