Insolvenzverschleppung: Fortführungsprognose bei Start-Ups

Das Oberlandesgericht Düsseldorf, 12 U 59/22, hat zu den erleichterten Anforderungen an die positive Fortführungsprognose bei Existenzgründungen ausgeführt, dass die vom aufgestellten Grundsätze für eine positive Fortführungsprognose bei Existenzgründungen nicht uneingeschränkt gelten.

Solche Unternehmen sind in einer – mehr oder weniger langen – Anfangsphase in der Regel nicht ertragsfähig, allerdings sind in solchen Fällen trotz einer möglicherweise aktuell fehlenden Ertragsfähigkeit operative Geschäftsmöglichkeiten nicht dauerhaft ausgeschlossen. Zumindest bei Existenzgründungen sieht der BGH die Ertragsfähigkeit (Selbstfinanzierungskraft) nicht als Voraussetzung für eine positive Fortführungsprognose an, denn:

Es liegt in der Natur eines solchen Unternehmens, dass es zunächst nur Schulden macht und von Darlehen abhängig ist. In diesen Fällen muss daher auf die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum abgestellt werden, wobei die erforderlichen Mittel auch von Dritten (Fremdkapitalgeber oder Eigentümer) kurz-, mittel- oder langfristig zur Verfügung gestellt werden können (Scholz/Bitter, GmbHG, 12. Aufl. 2021, vor § 64 Rn. 56; MHLS/Nerlich, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 60 Rn. 91; Pape/Opp, Sanierungsgutachten, 1. Aufl. 2017, Rn. 325; Morgen/Rathje, ZIP 2018, 1955, 1960; Haarmann/Vorwerk, BB 2015, 1603, 1610; Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733, 1738).

Der Rückgriff auf eine Ertragsfähigkeit würde diesen Unternehmen dagegen die Überlebensfähigkeit absprechen und sie zum Marktaustritt zwingen. Bei einem Start-Up-Unternehmen wie der Schuldnerin müssen daher die Anforderungen an die Fortführungsprognose im Lichte der Besonderheiten derartiger Unternehmen betrachtet werden (vgl. Martini/Karrasch, NZI 2021, 858, 863; zustimmend ferner Henkel, EWiR 2021, 628, 629 f.; Cavaillès/Krings, jurisPR-HaGesR 12/2021 Anm. 3; de Raet, NZG 2021, 1269 f.). Die Fortführungsfähigkeit muss im Rahmen des § 19 InsO überwiegend, also zu mehr als 50 % wahrscheinlich sein; maßgeblich ist also, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken (Gehrlein, WM 2018, 1, 6; Haarmann/Vorwerk, a.a.O., S. 1608). Als Grundlage dieser Beurteilung ist allerdings zu fordern, dass eine nachvollziehbare, realistische (Finanz-)Planung mit einem operativen Konzept vorliegt, das die geplante Etablierung der Geschäftsidee eines Start-Up-Unternehmens erfolgversprechend erscheinen lässt.

Denn eine mittelfristige Liquiditätssicherung wird in der Regel nur dann erreicht werden, wenn durch das operative Geschäft auf Dauer ausreichend eigene Erträge erzielt werden können, weil bei einer andauernden Fremdfinanzierung perspektivisch zu erwarten ist, dass diese an entsprechende Grenzen stoßen wird (Martini/Karrasch, a.a.O.). Der Vortrag zu einer nachvollziehbaren, realistischen Finanzplanung darf sich dabei nicht in der bloßen Vorlage entsprechender Zahlen erschöpfen, vielmehr ist deren Herleitung zu erläutern und darzulegen, inwieweit die Zahlen laufend der tatsächlichen Geschäftsentwicklung angepasst wurden.

Sofern dabei Finanzierungsbeiträge des Investors … zur Vermeidung einer Zahlungsunfähigkeit eingeplant wurden, setzt dies weiter den Nachweis voraus, dass dem Investor entsprechende Planungen vorgelegt worden sind und er seine Finanzierungszusage – auch noch im streitgegenständlichen Zeitraum – hiervon abhängig gemacht hat.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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