Heimtücke bei Mord

In einer grundlegenden Entscheidung hat der (BGH, 1 StR 363/23) kürzlich das Urteil des Landgerichts Konstanz aufgehoben, das einen Angeklagten wegen Totschlags zu 13 Jahren verurteilt hatte. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin, welche sich gegen die Ablehnung der Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe richteten, führten zu einer Neubeurteilung des Falles.

Sachverhalt

Der Angeklagte hatte nach wiederholten Beziehungsstreitigkeiten seine Partnerin erdrosselt. Trotz vorangegangener gewaltfreier Perioden kam es zwischen den Partnern zu regelmäßigen Auseinandersetzungen, die häufig in körperlichen Konfrontationen endeten. In einer Eskalation dieser Konflikte erwürgte der Angeklagte seine Lebensgefährtin mit einem Ladekabel und warf ihren Körper aus dem Fenster. Die anschließende Manipulation des Tatorts und die Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem Schicksal des Opfers zeugen von einer besonderen Rücksichtslosigkeit.

Juristische Analyse

Die Kernfrage der juristischen Auseinandersetzung betraf das Mordmerkmal der Heimtücke. Das Landgericht hatte dieses verneint, da es nicht zweifelsfrei feststellen konnte, ob das Opfer zum Zeitpunkt des Angriffs noch arglos war. Der BGH kritisierte diese Auffassung und stellte fest, dass Heimtücke auch dann gegeben ist, wenn das Opfer aufgrund der Kürze des Angriffs keine Zeit zur Verteidigung oder Flucht hatte. Das Gericht bemängelte zudem, dass das Landgericht spekulative Überlegungen in seine Bewertung einbezog, die nicht durch das Beweismaterial gestützt wurden:

Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 – 1 StR 86/13 Rn. 24).

Der Angriff beginnt allerdings nicht erst mit der eigentlichen Tötungshandlung, sondern umfasst auch die unmittelbar davor liegende Phase (BGH, Urteil vom 24. Mai 2023 – 2 StR 320/22 Rn. 12 mwN). Das Opfer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 – 1 StR 86/13 Rn. 24). Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren.

Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen oder zu fliehen (BGH, Urteil vom 24. Mai 2023 – 2 StR 320/22 Rn. 11 mwN). Ein Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig gegenübertritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass dem Opfer keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGH, Urteile vom 24. Mai 2023 – 2 StR 320/22 Rn. 12 und vom 19. Oktober 2011 – 1 StR 273/11 Rn. 23; jeweils mwN).

Fazit

Das BGH-Urteil betont, dass bei der Beurteilung von Heimtücke eine ganzheitliche Betrachtung des Tatgeschehens erforderlich ist, welche auch die psychologischen Elemente des Angriffs umfasst. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung des Schutzes der Opfer von heimtückischen Angriffen und setzt klare Maßstäbe für die Beurteilung von Arg- und Wehrlosigkeit.

Diese Entscheidung wird voraussichtlich richtungsweisend für zukünftige Fälle sein, in denen die Arglosigkeit des Opfers und die Absicht des Täters, diese auszunutzen, zentrale Streitpunkte darstellen. Sie zeigt auch die Bereitschaft des BGH, Revisionen gegen Urteile, die potenziell auf einer unzureichenden rechtlichen Grundlage beruhen, stattzugeben und eine umfassende rechtliche Überprüfung zu fordern.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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