FIlesharing-Abmahnungen: Zur Speicherpraxis bei einem TV-Kabelnetzbetreiber

Ein Beschluss des OLG Köln (6 W 159/10) vom 9. Juni 2011 offenbart die Speicherpraxis hinsichtlich IP-Adressen bei einem TV-Kabelnetzbetreiber, der zugleich Internetzugänge offeriert. Hier wurde durch den Kabelnetzbetreiber (als Antragsgegnerin, darum „sie“):

klargestellt, dass sie ohne Verarbeitung von Verkehrsdaten nicht sicher sagen könne, ob in Bezug auf die antragsgegenständlichen IP-Adressen und Zeitpunkte schon Daten gelöscht seien. Tatsächlich werde in ihren von einem Dienstleister verwalteten, die Adresszuteilung an ihre Kunden vornehmenden operativen Systemen (bezeichnet als DHCP-Systeme entsprechend dem Dateiformat Dynamic Host Configuration Protocol oder als BACC-System entsprechend der Nomenklatur des Dienstleisters) die Zeit der erstmaligen Vergabe einer dynamischen („start binding time“) gespeichert und erst bei einer Neuvergabe derselben Adresse überschrieben und gelöscht, die in der Regel nur nach einem Abschalten des Modems des Kunden oder nach einer Störung des Systems stattfinde.

Das Ergebnis: Es kann mitunter möglich sein, weit über die 1 Woche hinaus, die man von anderen Providern kennt, eine IP-Adresse einem Anschluss zuzuordnen. Und das OLG Köln bestätigte im Ergebnis das LG Köln (225 O 41/10), das vorher feststellte, dass IP-Adressen-Zuordnungen aus dieser Datenbank an den Rechteinhaber herauszugeben sind, wenn ein entsprechender gerichtlicher Auskunfts-Beschluss (§101 IX UrhG) vorliegt.

Im Folgenden ein Auszug aus den Gründen, dabei muss als Hintergrund bekannt sein, dass der Provider sich versuchte damit zu verteidigen, dass damit quasi Zugriff auf Daten einer genommen werden würde:

Entgegen der Auffassung der Beteiligten kann auch nicht angenommen werden, dass ihr die Verwendung des in ihren operativen Systemen gespeicherten erstmaligen Vergabezeitpunkts der abgefragten IP-Adresse rechtlich unmöglich ist, was vor allem bei ausschließlich zur Erfüllung der Speicherpflicht aus § 113a TKG erhobenen und gespeicherten Daten hätte in Betracht kommen können.

In Rede steht hier jedoch nicht die Verwendung von Daten in dem besonderen, inzwischen aufgelösten „Vorratsdatenspeicher“ der Beteiligten; es geht vielmehr um solche fortlaufend gespeicherte (DHCP-) Daten in den für den operativen Betrieb ihres Telekommunikationsnetzes bestimmten und benutzten Systemen, die auch noch nach mehr als zwei Stunden die „start binding time“ der jeweiligen IP-Adressen erkennen lassen. Eine objektive Zweckbindung nach §§ 113a, 113 b TKG für Auskünfte gegenüber den Strafverfolgungsbehörden besteht bei diesen Daten nicht. Eventuelle subjektive Absichten der Beteiligten in diese Richtung wären unerheblich; ihre Einlassung im Erörterungstermin, erst durch eine Durchsuchungsaktion der Staatsanwaltschaft Bonn im März 2010 auf den Verbleib der betreffenden Daten in ihren operativen Systemen aufmerksam gemacht worden zu sein, spricht allerdings gegen eine bewusst auf den Bereich der Vorratsdatenspeicherung beschränkte Datenerfassung.

Ob die Beteiligte gegen die gesetzlichen Regeln insbesondere des TKG zum Schutz personenbezogener Daten verstößt, indem sie – auch noch weit über ein Jahr nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung und nach der erwähnten Durchsuchungsaktion der Staatsanwaltschaft Bonn – in ihren operativen Systemen die „start binding time“ einzelner IP-Adressen jeweils bis zu ihrer Neuvergabe vorhält, statt diese Daten in kürzeren zeitlichen Abständen zu löschen, bedarf keiner Entscheidung.

Selbst wenn es so wäre, stünde dies einer Verwendung der von der Sicherungsanordnung vom 02.03.2010 erfassten Daten nicht entgegen, die Vorgänge vom 28.02.2010 betreffen. Betriebs- und abrechnungstechnisch mag die Beteiligte diese Daten schon nach wenigen Stunden nicht mehr benötigen; eine rechtliche Verpflichtung zur „sofortigen“ Datenlöschung und ein nach weniger als einer Woche eingreifendes Verwertungsverbot in Bezug auf solche in den operativen Datenverarbeitungssystemen verbliebenen Verkehrsdaten folgt daraus aber nicht.

Von Telekommunikationsnetzbetreibern kann nur erwartet und verlangt werden, dass sie nicht mehr benötigte Daten ohne schuldhaftes Zögern löschen. Bei den Telefonnetzbetreibern wird unter den heutigen technischen Gegebenheiten die Löschung der zur Aufnahme einer Internetverbindung vergebenen „dynamischen“ IP-Adressen sieben Tagen nach Beendigung der Verbindung jedenfalls noch als unverzüglich angesehen (OLG Frankfurt am Main, MMR 2010, 645).

Der Senat kann offen lassen, ob Kabelnetzbetreiber wie die Beteiligte, die üblicherweise keine Zwangstrennung vornehmen, sondern IP-Adressen unter Umständen über lange Zeiträume hinweg vergeben, die „start binding time“ bereits während des Bestehens der Verbindung in gewissen Abständen löschen (überschreiben) lassen müssen; denn jedenfalls für eine die Verwertung der hier in Rede stehenden Daten ausschließende rechtliche Verpflichtung, dies in kürzeren Abständen als einer Woche oder drei Tagen (wie nach Angaben der Antragstellerin vom Anbieter XY praktiziert) zu tun, ist eine gesetzliche Grundlage nicht ersichtlich.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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