Unterschrift: Eine Unterschrift muss nicht leserlich sein

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat am 26.07.2010 (Aktenzeichen: L 2 R 158/10) festgestellt, dass eine Unterschrift nicht unbedingt leserlich sein muss. Hintergrund war der Streit um ein Empfangsbekenntnis, dass unleserlich unterschrieben war – der Kläger war der Auffassung, dass mit der gängigen Rechtsprechung zumindest eine Teilleserlichkeit zu fordern sei (der BGH forderte z.B. in den 70ern noch einzelner lesbare Buchstaben).

Zu Recht blickt der LSG auf das Gesamtbild der Unterschrift und will dabei berücksichtigen, dass sich Unterschriften – ganz besonders bei Menschen, die häufig unterschreiben müssen – im Laufe der Zeit ändern:

Denn es ist zu berücksichtigen, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung die Leserlichkeit einer Unterschrift gerade bei Personen, die aus beruflichen Gründen tagtäglich eine Vielzahl von Unterschriften zu leisten haben, im Laufe der Zeit abnimmt.

Vor diesem Hintergrund, wenn man immer einen bestimmten leserlichen Teil fordert, hätte dies die sinnfreie Folge, dass der Betreffende irgendwann mangels klarer Unterschrift gar nicht mehr rechtsverbindlich unterzeichnen könnte. Das wäre vollkommen abwegig.

Auch der konnte sich dieser Thematik hin und wieder widmen und führte etwa im Jahr 2017 (BGH, XII ZB 504/15) zur Unterschrift aus:

Die Unterschrift unter dem Protokoll muss einen individuellen Charakter aufwei- sen und einem Dritten, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, ermögli- chen, diesen Namen aus dem Schriftbild noch herauszulesen. Die Unterschrift muss zwar nicht unbedingt lesbar sein, mindestens einzelne Buchstaben müs- sen aber – wenn auch nur andeutungsweise – zu erkennen sein (…) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt als Unterschrift ein Schriftzug, der individuellen Charakter aufweist und einem Dritten, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, ermöglicht, diesen Namen aus dem Schriftbild noch herauszulesen, der Unterzeichnende also erkennbar bleibt. Die Unterschrift muss zwar nicht unbedingt lesbar sein, mindestens einzelne Buchstaben müssen aber – wenn auch nur andeutungsweise – zu erkennen sein, weil es sonst an dem Merkmal einer Schrift fehlt. Anzulegen ist ein großzügiger Maßstab, wenn im Übrigen an der Autorenschaft und der Absicht, eine volle Unterschrift zu leisten, keine Zweifel bestehen. Dagegen stellt ein Schriftzug, der als bewusste und gewollte Namensabkürzung erscheint, keine formgültige Unterschrift dar (Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2011 – XII ZB 250/11- FamRZ 2012, 106 Rn.14 mwN; vgl. auch BGH Beschluss vom 29. November 2016 – VI ZB 16/16 – juris Rn. 7).


Im Folgenden die genaue Analyse des LSG, die einen sehr guten Eindruck gibt.
Aus den Gründen:

In Ihrer Argumentation, das fragliche Empfangsbekenntnis beinhalte keine Unterschrift, stützt sich die Beklagte auf Rechtsprechung, die ihre hohen Anforderungen an die Qualifikation eines Schriftzuges als Unterschrift angeblich rechtfertigen soll.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Urteil vom 21.3.1974 (VII ZB 2/74) zu der Frage, welche Anforderungen an eine Unterschrift im Sinne des § 130 Nr. 6 Zivilprozessordnung (ZPO) zu stellen seien, ausgeführt, zwar sei nicht zu verlangen, dass die Unterschrift lesbar sei; es müsse aber ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender individueller Schriftzug sein, der einmalig sei, entsprechende charakteristische Merkmale aufweise und sich als Unterschrift eines Namens darstelle. Dazu gehöre, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen seien, weil es sonst an dem Merkmal einer Schrift überhaupt fehle. Diesen Anforderungen genüge ein Schriftzug nicht, der mit einem nach unten rechts offenen Rundhaken beginne, der in zwei auseinandergezogenen Wellen auslaufe, da dessen Anfang nicht vermuten lasse, dass dies den Buchstaben „S“(für Rechtsanwalt S) darstellen könne.

Im Urteil vom 11.2.1982 (III ZR 39/81) hat der BGH sich insbesondere zur Abgrenzung eines bloßen Handzeichens von einer Unterschrift geäußert und ausgeführt, dass jedenfalls ein Schriftzug, der durch eine „nahezu senkrecht verlaufende Linie mit feinem Aufstrich und kurzen wellenförmigem Auslauf“ geprägt sei, sich seinem Erscheinungsbild nach nicht als Unterzeichnung mit vollem Namen, sondern als Handzeichen, d.h. als erkennbar abgekürzte Form des Namens, darstelle und „allenfalls als ein Buchstabe, vielleicht mit einem kleinen Abstrich“, gedeutet werden könne, so dass von einer wirksamen Unterzeichnung der Berufungsbegründung nicht ausgegangen werden könne.

Die Rechtsprechung des BGH hat sich hinsichtlich der Anforderungen an die Unterschrift inzwischen geändert und dem Umstand Rechnung getragen, dass im Hinblick auf die mit dem Einsatz moderner Kommunikationstechniken verbundene Lockerung der Formvorschriften eine weniger strenge Handhabung der Grundsätze über die Unterschrift angezeigt ist.

So hat der 8. Zivilsenat des BGH im Urteil vom 13.5.1992 (VIII ZR 190/91) ausgeführt, dass zur Bestimmung der Anforderungen an die anwaltliche Unterschrift auf einem Empfangsbekenntnis die gleichen Maßstäbe anzulegen seien wie bei bestimmenden Schriftsätzen. Als Unterschrift genüge ein Schriftzug, der individuellen Charakter aufweise und einem Dritten, der den Namen des Unterzeichnenden kenne, ermögliche, diesen Namen aus dem Schriftbild noch herauszulesen. Die Unterschrift müsse demnach nicht unbedingt lesbar sein, mindestens einzelne Buchstaben müssten aber – wenn auch nur andeutungsweise- zu erkennen sein.

Auch in seinem Urteil vom 10.7.1997 ? IX ZR 24/97 hat der BGH ein handschriftliches Gebilde als für einen Namen stehend angesehen, welches mit drei steil und gerade verlaufenden Ab- und Aufstrichen, als Buchstabe „K“ zu deuten, begann und sich mit einem kürzeren, flacher ansteigenden und leicht gekrümmten weiteren Aufstrich fortsetzte. An dieser Feststellung ändert auch der Umstand nichts, dass der Urheber des Schriftgebildes den Schriftzug mit voller maschinenschriftlicher Namensnennung unterlegte.
Schließlich hat der BGH auch in der Entscheidung vom 27.9.2005 (VIII ZB 105/04) ausgeführt, dass bei Anlegung eines großzügigen Maßstabes das Erfordernis einer Unterschrift dann noch erfüllt sei, wenn der Schriftzug die Absicht erkennen lasse, eine volle Unterschrift und nicht nur eine Paraphe oder Abkürzung zu leisten, auch wenn er einfach strukturiert und einem starken Abschleifungsprozess unterlegen sei und individuell ausgeführt worden sei. Einem solchen Schriftzug könne der Charakter einer Unterschrift nicht abgesprochen werden.

Eine Namensunterschrift hat auch das OLG Köln in der Entscheidung vom 28.6.2005 (22 U 34/05) in einem Fall bejaht, in dem die ersten beiden Wellen den Anfangsbuchstaben „W“ und die weiteren Wellen ersichtlich für den Rest des Namens standen.

Das Bundessozialgericht hatte sich bereits im Jahr 1970 (Urteil vom 30.6.1970 (7/2 RU 35/68) dahingehend geäußert, es könne zwar auch ein unleserliches Schriftgebilde als Unterschrift anzusehen sein. Es müsse jedoch zumindest andeutungsweise Buchstaben erkennen lassen, aus denen ein Dritter, der den Namen des Unterzeichners kenne, diesen Namen noch herauslesen könne.

Im vorliegenden Fall lässt der nach rechts offene Rundbogen am Beginn des Schriftzuges ohne Weiteres den Buchstaben „C“ des Familiennamens der Urheberin (C) erkennen. Aber auch der Rest des Schriftzuges, der mit einer flach ansteigenden, langgezogenen Welle beginnt und mit einem Aufstrich nach links oben endet, ist individuell geprägt und auch nicht von einer derartigen Kürze, dass er nur als Handzeichen oder Paraphe gewertet werden könnte. Die Individualität der Unterschrift wird dabei nicht an ihrer Leserlichkeit gemessen; maßgeblich ist der Wille der Namensunterzeichnung in Abgrenzung von einer Abkürzung oder Paraphe. Dass es sich gerade nicht um eine Namensabkürzung handelte, wird augenscheinlich darin deutlich, dass die Urheberin auf dem von der Geschäftsstelle an die Beklagte per Post übersandten Exemplar den Zusatz („Cal“) aufbrachte, der gerade keine Ähnlichkeit mit dem wesentlich längeren Schriftgebilde auf der Unterschriftenzeile besitzt, vor allem aber eindeutig lediglich drei Buchstaben ohne Zwischenräume, nämlich eine Abkürzung des aus 9 Buchstaben bestehenden Namens, erkennen lässt. Außerdem ist die Auffassung der Beklagten keineswegs zwingend, dass ein handgeschriebenes kleines „n“ (Endbuchstabe des Namens C) immer mit einem Abstrich endet. Individuellen Handschreibweisen, bei der ein „n“ durchaus einem „u“ ähnelt, ist Rechnung zu tragen, da selbst Unterschriften derselben Person Variationsbreiten aufweisen können und Abschleifungsprozessen angemessen Rechnung zu tragen ist (BGH, Urteil vom 10.7.1997, aaO, Rn 10 und BSG, Urteil vom 30.6.1970, aaO, Rn 16).

Das BSG hat in der letztgenannten Entscheidung ausgeführt, dass es genügt, dass Buchstaben nur andeutungsweise erkennbar sind. Die Lesbarkeit des Schriftzuges selbst sei nicht erforderlich. Das BSG hat betont, dass Undeutlichkeiten und sogar Verstümmelungen nicht schaden. Der im dortigen Fall zu beurteilende Schriftzug ließ nur „sehr undeutlich“ Unterschriftszeichen erkennen. Der letzte Teil des Schriftzuges ließ nur andeutungsweise das Ende des Familiennamens des Verfassers („ler“) erkennen. Der Senat teilt die vom BSG bereits im Jahr 1970 vertretene Auffassung, wonach Mängel „nur nicht soweit gehen“ dürfen, „dass der Schriftzug nicht mehr als solcher angesprochen werden kann, weil seine Entstehung aus der ursprünglichen Schrift nicht einmal andeutungsweise zu erkennen ist“. Denn es ist zu berücksichtigen, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung die Leserlichkeit einer Unterschrift gerade bei Personen, die aus beruflichen Gründen tagtäglich eine Vielzahl von Unterschriften zu leisten haben, im Laufe der Zeit abnimmt. Dies kann nicht dazu führen, dass der Urheber schließlich damit rechnen muss, ab einem bestimmten Abschleifungsgrad nicht mehr rechtswirksam zu unterzeichnen.

Der Senat ist daher der Ansicht, dass der Aufstrich am Ende des Schriftzuges ohne Weiteres als kleines handschriftliches „n“ (geschrieben wie eine kleines „u“) zur Darstellung gelangte, mag der Endbuchstabe letztlich auch undeutlich bzw. verstümmelt sein. Dies passt auch insgesamt zum individuellen Schriftbild der Verfasserin, welches durch Bögen und Wellen, die deutlich erkennbar bereits einem Abschleifungsprozess unterlegen sind, gekennzeichnet ist. Folglich ist nicht nur der Anfangsbuchstabe des Namens der Urheberin, sondern auch ein weiterer Buchstabe, aber auch ein aus der ursprünglichen Schrift in Buchstaben entstandener und individuelle Eigentümlichkeiten aufweisender Schriftzug wenigstens andeutungsweise, was genügt, erkennbar.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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